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Pressestimmen von Mittwoch, 3. Juli 2002

Stephan Stickelmann4. Juli 2002

Katharina Reiche im Unions-Wahlkampfteam / Regierungserklärung von Frankreichs Premierminister Raffarin / Transatlantischer Streit

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Die von Edmund Stoiber gegen innerparteilichen Widerstand durchgesetzte Berufung der CDU-Abgeordneten Katharina Reiche ins Wahlkampfteam ist das vorrangige Kommentarthema der Tageszeitungen. Beachtung finden ferner die Regierungserklärung des französischen Premierministers Jean-Pierre Raffarin sowie der amerikanisch-europäische Streit über den Internationalen Strafgerichshof beziehungsweise die Verlängerung der Bosnien-Mission.

Zu Katharina Reiche notiert die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG:

"Edmund Stoiber hat doch noch die Kurve bekommen. Alles andere als die Berufung Katherina Reiches als Fachfrau für Familienpolitik mit allen Kompetenzen wäre peinlich gewesen: für den Kanzlerkandidaten und auch für CDU-Chefin Angela Merkel. Mit einem Frauen- und Familienbild aus dem vorigen Jahrhundert sind gerade im Osten keine Punkte zu holen. Wenn Stoiber nun die 28-jährige Brandenburgerin in sein Wahlkampfteam holte, dann nicht nur, weil sie jung, weiblich und ostdeutsch ist. Stoiber, der selbst für ein traditionelles Familienbild steht, will damit der Union ein modernes Antlitz geben."

Der REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER ist der Ansicht:

"Edmund Stoiber, und auch dies wurde gestern erneut klar, lässt sich nicht in eine rechts-konservative Ecke drängen. Lässig und souverän hat er nicht nur die SPD-Wahlkampfzentrale ausgekontert, wo bereits die Messer gewetzt wurden. Auch und vor allem die Grünen stehen nun urplötzlich ohne ihr zuvor so vehement angegriffenes familienpolitisches Feindbild da. Insofern war Stoibers gestrige Entscheidung für Frau Reiche nicht nur aus familien- und frauenpolitischer Sicht eine strategische Großtat. Auch im Kampf um die politische Mitte hat der Kandidat einen weiteren Punktsieg eingefahren."

In der FRANKFURTER RUNDSCHAU heißt es:

"Auf dem Spiel standen Stoibers Kernkompetenzen: sein Image als moderner Kandidat der Mitte und seine Führungskraft. Am Kandidaten wurde mächtig gezogen, aber am Ende sank er nicht hin. Der Koalition aus zu kurz gekommener weiblicher Konkurrenz, knochenkonservativer Männlichkeit und kirchlichen Kreisen, denen mehr noch als die 'wilde Ehe' die allzu forschungsfreundliche Position der Kandidatin zur Gentechnologie nicht passte, blieb der Erfolg versagt. Kein Zugeständnis? Nirgends. Jedenfalls nicht öffentlich."

Der MANNHEIMER MORGEN gibt allerdings zu bedenken:

"Auf einem anderen Blatt steht, ob die Kritik aus Kirche und Frauen-Union womöglich doch gerechtfertigt ist. Jung, ostdeutsch und weiblich - mit der Kombination dieser Anforderungen in einer Person ist schon Helmut Kohl gescheitert, als er einst Claudia Nolte zur Ministerin machte. Sie hat keine Spuren in der Politik hinterlassen. Noch hat die Frau für die Frauenpolitik in Stoibers Kompetenzteam ihre Kompetenz nicht bewiesen. Ein paar flotte Sprüche zur Partnerschaft ohne Trauschein sind noch kein Programm. Katherina Reiches politische Reifeprüfung steht noch bevor."

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG kommentiert die Regierungserklärung des französischen Ministerpräsidenten:

"Besser als die Karikaturisten kann man es nicht auf den Punkt bringen. Vor den Abgeordneten der Nationalversammlung trägt Jean-Pierre Raffarin seine erste große Regierungserklärung vor. Der gelernte Fachmann für Kommunikation spricht mit aller Verführungskunst, aber der Ton wird angegeben von einem Abwesenden: Jacques Chirac bläst die Noten, nach denen selbst ein starker Mann wie Raffarin tanzen muss. Raffarins Regierungserklärung ist gewissermaßen die Ausführungsbestimmung des Chirac'schen Willens."

Noch einmal Themenwechsel: Das NEUE DEUTSCHLAND beschäftigt sich mit dem derzeitigen Stand der transatlantischen Beziehungen:

"Uneingeschränkte Solidarität mit den Freunden jenseits des großen Teiches fällt in diesen Tagen schwer, macht es doch die letzte Supermacht ihren Verbündeten nicht leicht. Dabei steht die Sabotage des Internationalen Strafgerichtshofes, für die jetzt sogar eine UNO-Friedensmission in Haft genommen wird, keineswegs allein. Die Aushebelung wichtiger Abrüstungsverträge begann schon unter Clinton, die Desavouierung der UNO ist seit langem Programm, das Nein zum Klimaschutz exemplarisch für eine Politik, die nur eine Regel kennt: Wir bestimmen die Regeln. Irgendwie dämmert es langsam auch den Verbündeten. Bündnispartner sind im außenpolitischen Kalkül Washingtons nur noch von Interesse, wenn man sie zur Durchsetzung der eigenen Interessen braucht. Wer braucht noch Feinde, wenn er solche Freunde hat?"