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Pressestimmen von Montag, 10.Juni 2002

zusammengestellt von Helmut Schmitz. 9. Juni 2002

Koalitionsspekulationen/ Nitrofen-Skandal

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Die Kommentare der deutschen Tageszeitungen befassen sich an diesem Montag mit Spekulationen über eine Regierungsbildung nach den Bundestagswahlen sowie mit den Folgen des Nitrofen-Skandals.

DIE WELT schreibt:

"Noch lässt sich nicht absehen, ob die Möllemann-Affäre der FDP massiv schadet, oder ihr am Ende sogar neue Wähler zutreibt. Doch die Schlachtordnungen im Wahlkampf beginnen sich bereits zu verschieben. Während SPD-Generalsekretär Franz Müntefering wieder einmal die Chance wittert, das bürgerliche Lager in die rechte Ecke schieben zu können, die Linksliberalen umgarnt und gezielt vom Tandem Stoiber/Möllemann gegen Schröder/Fischer spricht, besinnt sich die Union unverkennbar auf ihre eigenen Kräfte. Das wird mit der Berufung von Wolfgang Schäuble in das Kompetenzteam endgültig deutlich. Er ist der dritte – nach Lothar Späth für Wirtschaft und Annette Schavan für Bildung –, der ein Politikfeld besetzt, das klassischerweise bei Koalitionsverhandlungen von der FDP reklamiert wird: die Aussen- und Sicherheitspolitik."

In der LEIPZIGER VOLKSZEITUNG heißt es:

"Die Union freut sich, dass Gysi das linke Lager gegen "die Bürgerlichen" in Stellung bringt. Das lenkt ein wenig davon ab, dass sich momentan keiner so recht vorstellen mag, ob Westerwelle und Möllemann einen politisch verträglich Kurs fahren wollen. Gegenüber den Liberalen wachsen die Zweifel über deren echte Stärke und über deren wahre Absichten. Im Ergebnis rückt die große Koalition als sicherste Regierungs-Variante näher. Stoibers ehrlichster Mann, Lothar Späth, warnt nicht ohne Grund vor zu großen Reform- Erwartungen. Das Cleverle kennt die Wirklichkeit und die großen Beharrungskräfte in den Systemen."

Die BERLINER ZEITUNG kommentiert:

"Große Koalition? Um Gottes willen, sagen SPD und Union. Nichts mobilisiert Anhänger und Wahlkämpfer weniger als solch eine Perspektive. Deshalb sprechen sie nicht darüber. Öffentlich. Aber intern laufen die Planungen für ein Bündnis der beiden Volksparteien, denn es ist ein sehr wahrscheinliches Ergebnis der Bundestagswahl am 22. September. Es würde sogar viele Wähler zufrieden stellen - jene Mehrheit, die auf den Kanzler Gerhard Schröder nicht verzichten und dennoch Christdemokraten an der Regierung sehen möchte. Aber wollen wir eine große Koalition? Um Gottes willen. Nichts wäre besser geeignet, den Populisten vom Schlage Möllemann tatsächlich 18 Prozent der Wähler zuzutreiben. Haider, Le Pen, Fortuyn - sie alle haben ihre Erfolge der zur politischen Erstarrung übertriebenen Konsensdemokratie zu verdanken."

Mit den Folgen des Nitrofen-Skandals für die Bio-Landwirtschaft beschäftigen sich die STUTTGARTER NACHRICHTEN:

"Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich"s weiter ungeniert - diese Erkenntnis gilt sicher nicht für den Nitrofen-Skandal, im Gegenteil. Die Bio-Landwirtschaft lebt vom Ruf, ihre Produkte seien bedenkenlos zu konsumieren. Doch der ist binnen weniger Tage dahin. Jetzt haben die Belgier ein Importverbot für deutsche Bioprodukte erlassen, und die EU erwägt eine europaweite Sperre. Das ist beiden schwer zu verdenken. Zu verwirrend sind die täglichen Meldungen über neue Nitrofen-Funde. Keiner weiß, ob das ganze Ausmaß des Skandals schon aufgedeckt ist."

Der Bonner GENERAL-ANZEIGER meint dazu:
"Man wird der Bundesregierung nicht vorwerfen können, zu wenig für die Aufklärung des Nitrofen-Skandals zu tun. Aber wenn die erschrockene Öffentlichkeit beinahe täglich mit neuen Wahrheiten über die Verseuchung konfrontiert wird, helfen auch noch so intensive Beschwichtigungen der Politik nicht mehr. Das Vertrauen in die Bio- Produktion ist momentan nicht vorhanden. Gut möglich, dass die ganze Landwirtschaft vor einer neuen Misstrauenswelle der Konsumenten steht."

Abschließend der MANNHEIMER MORGEN:
"Als Renate Künast Anfang vergangenen Jahres über Nacht zur Verbraucherministerin aufstieg, begriff sie die Krise als Chance und versprach nassforsch mehr Klasse statt Masse. Was die ehrgeizige Grüne übersah: Auch in der ökologischen Landwirtschaft ist der kleine Familienbetrieb, der sein Futter aus der näheren Umgebung bezieht und seine Erzeugnisse direkt ab Hof oder in der Region vermarktet, längst vom Aussterben bedroht. Vor allem in den neuen Bundesländern arbeiten viele der eilends auf "Öko" getrimmten alten Agrarfabriken wie ihre konventionelle Konkurrenz auch: Die Ackerflächen und Rinderherden möglichst groß, Anbau, Zucht und Mast möglichst effizient, der Verkauf möglichst überregional."