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Pressestimmen von Montag, 17. Juli 2006

Hajo Felten16. Juli 2006

G-8-Appell zu Nahost / Köhler rügt Koalition

https://p.dw.com/p/8nmh

Auf dem G-8-Gipfel in St. Petersburg haben sich die sieben wichtigsten Industrienationen und Russland auf gemeinsame Forderungen nach einem Ende der Gewalt zwischen Israel und dem Libanon einigen können. Der Konsens wird in der deutschen Presse zwar grundsätzlich begrüßt, gleichzeitig werden aber auch einige Fragen angesprochen:

Für die NÜRNBERGER NACHRICHTEN zeigt das zähe Ringen der G 8-Staaten um eine Einigung auch deren Hilflosigkeit:

"Wollten die Staats- und Regierungschefs ihrer globalen Verantwortung gerecht werden, hätten sie angesichts der akuten Gefahr eines Flächenbrandes rasch abgestimmte gemeinsame Schritte zur Eindämmung des Wahnsinns beschließen müssen. Stattdessen stritten sie beim Dinieren und Debattieren in den prunkvollen Zarengemächern lange um die Schuldfrage und noch länger um die Formulierung einer Deklaration. Wobei doch ohnehin klar war, dass jener wohlfeile Appell zur Mäßigung an sämtliche Kriegsparteien, der am Abend endlich verabschiedet wurde, allein kaum ausreicht, die Gewalt zu stoppen."

Das Düsseldorfer HANDELSBLATT bemerkt dazu:

"Die Vereinigten Staaten betonen das Selbstverteidigungsrecht der Israelis und die Richtigkeit ihres Vorhabens, die Hisbollah wegzubomben, auch wenn darunter die libanesische Zivilbevölkerung leidet und die mühsam errungene Stabilität des Landes zerfällt. Putin betont dagegen auch die Sicherheitsinteressen der arabischen Welt. Die Verhältnismäßigkeit der Mittel sei nicht gewahrt, wenn Brücken, Flughäfen und Tanklager zerschossen werden. Der russische Präsident sah sich so wieder einmal bestätigt, dass der Westen mit zweierlei Maß misst, wenn es um die Bekämpfung des internationalen Terrors in Nahost und Tschetschenien geht."

Die STUTTGARTER ZEITUNG gibt zu bedenken:

"Diese Gipfel haben anders als der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen keinerlei Legitimität. Die Zusammensetzung ist willkürlich und grenzt ans Absurde. So ist Kanada drin, aber China und Indien nicht. So ist es nicht verwunderlich, wenn diese Treffen in aller Regel folgenlose Resolutionen zu allen möglichen Themen der Welt verabschieden."

Der Kölner STADT-ANZEIGER schreibt zum G 8-Gipfel:

"Der von Gastgeber Russland gesetzte Schwerpunkt Energiesicherheit ist angesichts der Militäraktionen im Nahen Osten zu einem Punkt unter «ferner liefen» geworden. Die vernehmliche Kritik an der zunehmend gelenkten Demokratie Russlands machte zudem die Bandbreite der Meinungen in einem Club deutlich, der doch einmal angetreten war, global relevante wirtschaftliche und politische Fragen auf der Basis gemeinsamer Werte und Ziele zu beantworten. Davon war das G-8-Treffen wahrscheinlich nie weiter entfernt als heute."

THEMENWECHSEL:

Bundespräsident Köhler hat die große Koalition zu mehr Sachlichkeit aufgerufen. Union und SPD seien zu sehr in Parteipolitik verhaftet und zu wenig konzentriert auf Sachprobleme, sagte Köhler in einem Fernseh-Interview. Die Kritik des deutschen Staatsoberhauptes finden in den meisten Tageszeitungen ein positives Echo. Im MANNHEIMER MORGEN heißt es dazu:

"Man fühlt sich an die Kritik des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker erinnert, der 1992 in der Ära Kohl die Parteien als «machtbesessen und machtvergessen» tadelte. In der Tat: Die beiden großen Volksparteien verfügen derzeit über 70 Prozent der Mandate im Bundestag, aber sie nutzen nicht die Gunst der Stunde, um im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit mit all ihrer Macht alte Blockaden zu überwinden und verkrustete Denkstrukturen aufzubrechen. Stattdessen vertändeln sie die Zeit, wie es Köhler bissig formuliert, in substanzlosen «Sandkasten spielen». Das ödet den Wähler an."

Die MÜNCHNER ABENDZEITUNG kommentiert:

"Jetzt hat Köhler in einem TV-Interview mit der Faust auf den Tisch gehauen. In einem präsidialen Donnerwetter geißelte er die Koalition für ihr nervtötendes parteipolitisches Gezänk und den Reform- Stillstand. Der Mann agiert als Sprachrohr für all den Frust und Unmut, der sich in der Bevölkerung über Schwarz-Rot angestaut hat. Gewiss: Köhler ist kein Schönredner wie Richard von Weizsäcker, erst Recht kein Prediger wie Johannes Rau. Jetzt aber hat er uns aus dem Herzen gesprochen. Und könnte so vielleicht doch ein echter Bürgerpräsident werden."

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG meint, dass Köhler für seine Parteienschelte nicht nur Lob erhalten wird. Sie schreibt:

"Doch geht es in der Politik nicht nur um das Lösen von Sachproblemen, sondern auch darum, wer sie mit welchem Auftrag und Ziel bewältigt, kurz: um die demokratisch legitimierte Organisation von Macht. In diesem von den Parteien beherrschten Prozess wird der Ökonom Köhler wohl nicht mehr richtig heimisch werden. Die Parteien aber repräsentieren, bei allen Schwächen des Systems, das Volk. So ist auch die große Koalition kein schlechtes Abbild der Gemütsverfassung der Deutschen. Wer den Parteien die Schuld gibt, gibt sie immer auch deren Wählern."

Der Bonner GENERAL ANZEIGER findet Köhlers Kritik berechtigt, befürchtet aber, dass die Einwände ungehört verpuffen werden:

"Man musste es befürchten, seitdem die CDU-Chefin in ihrer Kanzlerinnenantrittsrede einer Politik der kleinen Schritte das Wort redete. Kommt eine solche Politik dann auch noch unausgegoren daher, weil man zwar Steuern erhöht, aber nicht entsprechend die Abgaben senkt, sind alle Seiten unzufrieden. Ob das lange gut geht, darf man bezweifeln."