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Pressestimmen von Montag, 28. August 2006

Ulrike Quast27. August 2006

Hartz-IV-Empfänger im Anti-Terror-Einsatz / Diskussion um deutschen Libanon-Einsatz

https://p.dw.com/p/90uW

Der Vorschlag von Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee, Langzeitarbeitslose Hartz-IV-Empfänger als Sicherheitskontrolleure im öffentlichen Nahverkehr einzusetzen, ist auf breite Kritik gestoßen. Die Tagespresse spricht von einem nicht durchdachten populistischen Vorschlag.

Die ESSLINGER ZEITUNG formuliert spöttisch:

"Da wird der Terrorist, der verschwörerische, aber sofort vom Bombenlegen ablassen, wenn er eine derartige Bedrohung vor Augen hat! Immerhin muss er gleich mit Millionen von Arbeitslosen rechnen, die als Undercover-Fahnder auch noch allzeit präsent sind. Ihre wahre Identität als verdeckte Beschützer einer wehrlosen Bevölkerung dürfte auch dem hartgesottenen Islamisten nie und nimmer auffallen. Chancenlos ist da der normale Polizist. Den verrät selbst auf der Zivilstreife die aus jedem Krimi bekannte Beule der Pistole im Jackett sofort. Dass nicht schon früher einer auf so einen Tiefensee-Gedanken gekommen ist."

Die MÄRKISCHE ALLGEMEINE aus Potsdam schreibt:

"Vielleicht wollte Tiefensee mit seinem Vorschlag, Hartz-IV- Empfänger 'zur Verbesserung der Sicherheit' als unbewaffnete Patrouillen im Nahverkehr einzusetzen, ein Zeichen setzen. Er hätte es lassen sollen. Gerade im sensiblen Sicherheitsbereich sind gut ausgebildete, motivierte Kräfte gefragt. Zur Zugbegleitung verdonnerte Arbeitslose stellen eher ein Risiko dar. Tiefensees Vorschlag ist keine brauchbare Antwort auf die fehlgeschlagenen Kofferbomben-Anschläge, aber er ist geeignet, das ohnehin angespannte Nervenkostüm der Deutschen nach den sommerlichen Politiker-Vorschlägen zum Urlaubsverzicht (Peer Steinbrück) und Autokauf (Walter Riester) weiter zu strapazieren."

Das HANDELSBLATT aus Düsseldorf meint:

"In einem Klima der Angst wird der Sinn von Maßnahmen jedoch weniger hinterfragt. Als Leitschnur der Debatte ist deshalb bei allem Verständnis für den Wunsch nach mehr Sicherheit Misstrauen angebracht gerade in Zeiten der großen Koalition. Denn beide Volksparteien haben schon früher ihren Hang demonstriert, für die Lösung von Problemen sehr schnell nach dem starken Staat zu rufen."

Die MITTELDEUTSCHE ZEITUNG aus Halle kommentiert:

"Es entbehrt nicht einer gewissen traurigen Ironie: Je weniger echte Beschäftigungschancen es für arbeitslose Hartz-IV- Empfänger gibt, umso fantasievoller werden die Vorschläge unserer Politiker, sie dennoch sinnvoll zu beschäftigen. Für die eine wie die andere Tätigkeit dürften die meisten Betroffenen nicht entferntest qualifiziert sein. Man stelle sich nur den beherzten nächtlichen Einsatz einer arbeitslosen Bürokauffrau gegen randalierende Neonazis oder angetrunkene Jugendliche im öffentlichen Nahverkehr der Städte vor. Können in Zeiten des Terrors ungeschulte Arbeitslose unsere Sicherheit garantieren? Wohl kaum."

Themenwechsel. Deutschland ist offenbar bereit, im Rahmen der UN-Libanon-Truppe die Führung des Marineeinsatzes zu übernehmen. Nach den Worten von Verteidigungsminister Franz Josef Jung kann die angebotene Sicherung der libanesischen Küste durch die Bundeswehr als Kampfeinsatz bezeichnet werden.

Im Kommentar der BERLINER ZEITUNG lesen wir hierzu:

"Jetzt meldet sich Verteidigungsminister Jung, der zwischenzeitlich von einer Begrenzung des Einsatzes auf ein Jahr sprach, um gleich wieder davon abzurücken, erneut zu Wort: Es wird sich demnach sehr wohl um einen Kampfeinsatz handeln durch die Marine zur Unterbindung von Waffenlieferungen für die Hisbollah. Wer Kampfeinsätze gegen eine Konfliktpartei Israel um jeden Preis verhindern will, Waffengewalt gegen die andere Seite aber ausdrücklich befürwortet, wird zum Teil des Konflikts. Von dem in Sonntagsreden gern beschworenen Vermittlungsbeitrag Deutschlands zu einer dauerhaften Friedenslösung kann dann keine Rede mehr sein."

Im FRÄNKISCHEN TAG aus Bamberg heißt es:

"Minister Jungs Klarstellung macht deutlich, welche Komplikationen unseren Soldaten bevorstehen könnten. Selbst 61 Jahre nach dem Ende der Nazi-Diktatur wird Deutschland kaum in der Lage sein, in einem Konflikt neutral zu bleiben, in den Nachfahren der Holocaust-Opfer verwickelt sind. Der Militäreinsatz ist und bleibt eine Fehlentscheidung, die von erschreckend geringer Weitsicht unserer Regierenden zeugt." Die Rostocker OSTSEE-ZEITUNG ist der Ansicht:

"Deutschland will Verantwortung übernehmen und auch Präsenz zeigen. Nicht zuletzt deshalb, um sich innerhalb der EU keine Blöße zu geben. Doch das Vorpreschen einiger Politiker beim sensiblen Thema Auslandseinsatz scheint wenig hilfreich, um die Rolle Deutschlands in der internationalen Staatengemeinschaft neu zu definieren. Das Grundgesetz gibt vor, wann, wo und wie die Bundeswehr eingesetzt werden darf: im Verteidigungsfall. Dieser Tatsache muss jetzt neue Beachtung geschenkt werden, bevor es zu Schnellschüssen kommt. Auch das muss bei der Entscheidung über eine Beteiligung an der UN-Friedenstruppe berücksichtigt werden."

Abschließend ein Blick in das NEUE DEUTSCHLAND:

"Erst schien es unmöglich, dass Deutschland auch nur einen Soldaten ins nahöstliche Kriegs- und Krisengebiet schickt. Höchstens Patriot-Raketen und U-Boote für Israel galten als eine deutsche Pflicht vor der Geschichte. Doch ehe man sich's versah, sollen um die 1.200 deutsche Soldaten auf der maritimen Lauer liegen gegen Waffenschmuggler, also gegen die Hisbollah, denn Israels Waffen werden ja bekanntlich nicht ins Land geschmuggelt sondern ordentlich von der Bundeswehr und einem großen Werftenkonsortium geliefert."