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Pressestimmen von Samstag, 01. Juli 2006

Zusammengestellt von Gerhard M. Fiese30. Juni 2006

Verabschiedung der Föderalismusreform/Tourauschluss für Jan Ullrich

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Mit der Zwei-Drittel-Mehrheit der großen Koalition hat der Bundestag die Neuordnung der föderalen Ordnung beschlossen. Die größte Verfassungsreform in der Geschichte der Bundesrepublik stößt bei den Kommentatoren deutscher Tageszeitungen auf wenig Gegenliebe. Zweites großes Thema ist an diesem Samstag der Ausschluss von Radprofi Jan Ullrich von der Tour de France wegen seiner mutmaßliche Verwicklung in den spanischen Doping-Skandal.

Zur Entscheidung des Bundestages schreibt die RHEIN-NECKAR-ZEITUNG aus Heidelberg:

"Die Föderalismusreform ist der erste große, wichtige Erfolg der Koalition. Sie ist notwendig für die Zukunftsfähigkeit des Landes. Weil sie hilft, das Gesetzgebungsverfahren zu entzerren. Weil sie die Blockade zwischen Bundestag und Bundesrat wenigstens teilweise aufhebt. Und damit können auch in Zukunft Reformen leichter umgesetzt werden. Derzeit regieren Rot und Schwarz gemeinsam den Bundestag und den Bundesrat. Spätestens 2009 wird sich das aber ändern. Die alten Lager werden dann wieder aktiviert - und es ist gut, wenn Blockadepolitik bis dahin schwieriger geworden ist."

Schon skeptischer klingt da die WETZLARER NEUE ZEITUNG:

"Die Zeit der Vermittlungsausschüsse als zweiter Machtzentrale dürfte zu Ende gehen. Und damit auch die Zeit schlechter Kompromisse wie in der Endphase der rot-grünen Koalition. Es könnte sich also etwas bewegen im Land. Doch es ist fraglich, dass die große Koalition diese Chancen nutzt. Im Moment liefert sie eher den Eindruck, als ließe sich Blockadepolitik auch ohne die Länder machen."

Für die Hannoveraner NEUE PRESSE ist das Gesetz denn auch nicht die 'Mutter aller Reformen', sondern allenfalls die böse Schwiegermutter:

"Mit ihrer großen Mehrheit hatte die große Koalition die einmalige Chance, Großes zu bewirken. Sie hat sie verpasst: In zentralen Punkten versagt dieses Reformwerk. Nicht mehr, was Sinn macht oder das Land voran bringt, war entscheidend. Es ging zuletzt nur noch um Zuständigkeiten und Einfluss. Das Schlimme ist: Nun ist zu befürchten, dass der Koalition auch bei den nächsten großen Projekten Mut und Kraft für einen wirklich großen Wurf fehlen."

Und in den KIELER NACHRICHTEN lesen wir:

"Zu Jubel-Gesängen besteht indessen wenig Anlass. Denn der Bundestag hat zum Teil wider bessere Überzeugung neben notwendigen auch schlichten Unfug beschliossen wie im Umweltsektor oder bei der Bildung, wo der Bund künftig kaum noch eine Rolle spielt."

Und die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG befindet: "Aus Sicht der Bürger bleibt aber vieles unbefriedigend, etwa das drohende Auseinanderdriften der Länder im Umweltschutz, beim Strafvollzug und im Heim- sowie Beamtenrecht. Überfällig sind zudem eine klarere Finanzverfassung und die Neugliederung des Bundesgebiets. Das Thema Föderalismusreform muss deshalb ganz oben auf der Tagesordnung bleiben, getreu dem alten Fußballer-Motto: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel."

Mit dem Touraus für Jan Ullrich befasst sich die KÖLNISCHE RUNDSCHAU:

"Die Show geht heute los, doch Freude kann dabei nicht aufkommen: Die spannenden Zieleinkünfte mit den Duellen der Sprinter; die Tortur über die Berge der Pyrenäen und Alpen mit dem unvergleichlichen Anstieg nach L'Alpe d'Huez; der Kampf gegen die Uhr beim Einzelzeitfahren; Faszination, Gänsehaut-Atmosphäre, Daumendrücken für Ulle' - es hätte so schön werden können. Doch die Lust an der Tour ist seit gestern bei vielen Fans auf den Nullpunkt gesunken. Jan Ullrich wird seine Karriere wohl beenden - und viele Sportinteressierte ihre Leidenschaft für den Radsport."

Der WESTFÄLISCHE ANZEIGER aus Hamm stellt klar:

"Was im Raum steht, sind Mutmaßungen, Indizien und Gerüchte. Doch diese Kette an Verdächtigungen muss so erdrückend sein, dass weder die Leitung des T-Mobile-Teams noch die Chefs der Tour de France eine andere Chance gesehen haben, als Jan Ullrich und den weiteren Stars den Start bei der Tour der Leiden zu verweigern. Das einzige, was Ullrich jetzt noch machen kann, ist selbst für eine schnelle und lückenlose Aufklärung zu sorgen. Das ist er nicht nur sich und seinem Arbeitgeber, sondern auch den Fans schuldig, die ihm jahrelang die Daumen gedrückt haben."

Die Bremerhavener NORDSEE-ZEITUNG merkt an:

"Der mutmaßliche Doper Ullrich ist nun in bester Gesellschaft. Ob Eddy Merckx, Lance Armstrong oder Fausto Coppi sie alle gewannen die Tour, sie alle wurden des Dopings überführt, sie alle werden heute als Helden des Rennradsports verehrt. Und Ullrich? Auf Grund der Tragweite des Skandals kann er froh sein, wenn er nicht als der Totengräber des Radsports in Erinnerung bleibt."

Im FLENSBURGER TAGEBLATT heißt es dazu:

"Nun steht Ullrich wenn er endgültig überführt ist für einen der größten deutschen Sport-Skandale. Als Täter, aber auch als Opfer eines Systems, das keine sauberen Sieger zulässt und über die Jahre alle Moral untergraben hat."

Für die MÄRKISCHE ODERZEITUNG aus Frankfurt/Oder ist dagegen alles klar:

"Die Tour wird auch diesen Skandal überleben. Aber der Radfahrer Jan Ullrich ist seit gestern Geschichte. Er hat, wie einst der Fußballtrainer Christoph Daum, bis zum Schluss den Ausweg im Lügen gesucht. Von Daum gelernt hat er, dass man nicht freiwillig Haare lässt, weil die wirklich als Beweismittel taugen. "

Die in München erscheinende ABENDZEITUNG warnt vor falschen Konsequenzen:

"Wer jetzt für Doping-Freigabe plädiert, macht sich mitschuldig, wenn der Erste tot vom Rad fällt. Wo der Sport versagt, ist die Politik gefordert: Es braucht Anti-Doping-Gesetze - und harte Strafen. Sonst kann niemand guten Gewissens dem Nachwuchs raten, aufs Rad zu steigen."