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Pressestimmen von Samstag, 14. April 2007

Christoph Schmidt13. April 2007

Weiter Kritik an Oettinger

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Baden-Württembergs Ministerpräsident Oettinger steht wegen seiner Bemerkungen über die NS-Vergangenheit seines Amtsvorgänger und früheren Wehrmachtsrichters Filbinger weiter in der Kritik. Bundeskanzlerin Merkel warf ihrem Parteifreund vor, die Opfer der NS-Justiz in seiner Trauerrede für Filbinger nicht angemessen gewürdigt zu haben. In der Presse nimmt das Thema breiten Raum ein.

Die Zeitung MANNHEIMER MORGEN schreibt:

"Oettingers missglückte Interpretation der NS-Geschichte dürfte ein Tiefpunkt in seiner politischen Karriere sein. Zumal selbst Kanzlerin Merkel ihn wie einen Schulbuben rüffelt. Oettinger sprach als Ministerpräsident bei einem Staatsakt und nicht als Parteivorsitzender auf einer privaten Veranstaltung. Wohl deshalb bedient sich Merkel, die auch amtierende Vorsitzende des Europäischen Rats ist, eines öffentlichen Tadels, um ihren ausländischen Ratskollegen deutlich zu demonstrieren, dass die Relativierung nationalsozialistischen Unrechts nicht als offizielle Lesart missverstanden werden darf."

Die SÜDWEST-PRESSE meint:

"Oettinger wird beschädigt aus dieser Affäre hervorgehen. Dabei ist er gewiss nicht verfänglich für braune Anwandlungen. Nur sind ihm offenbar alle Warnleuchten durchgebrannt, die so pauschale Urteile über den einstigen Amtsvorgänger verhindert hätten. Oettinger muss nun mit dem Makel leben, als Ministerpräsident und Vorsitzender des mitgliederstärksten CDU-Landesverbandes öffentlich von der Bundeskanzlerin und Chefin der Bundespartei abgewatscht worden zu sein. Oettinger amtiert einstweilen auf Bewährung."

Die RHEIN-NECKAR-ZEITUNG bemerkt zur Zukunft Oettingers:

"So schnell vergehen Hoffnungen auf einen Senkrechtstart als Sprecher der Unions-Südschiene, eine Position, die Oettinger nach der Demontage Edmund Stoibers auf dem Silbertablett serviert worden war. Eine einzige Rede taucht den schwäbischen Schnellredner in ein Zwielicht der Vorgestrigkeit. Die allermeisten Bürger dieses Landes wollen für eine solch groteske, abartige Geschichtsauslegung ihres Regierungschefs nicht in Anspruch genommen werden."

Und der WIESBADENER KURIER schreibt:

"Es geht nicht nur um Oettingers fragwürdige, persönliche Geschichtsinterpretation, sondern um die Haltung der Südwest-CDU zu einem heiklen Thema, das die Vergangenheitsbewältigung nun einmal ist. Die CDU-Vorsitzende reagierte deshalb nicht mit dem sonst üblichen Telefonat, sondern mit einer öffentlichen Rüge. Oettinger, ehrgeizig und im Ländle erfolgreich, wird sie nicht so leicht wegstecken. Auch, weil er als kluger Kopf eigentlich längst erkannt haben müsste, dass die Kanzlerin und alle, die sich über die Freiburger Rede empören, Recht haben."

Der TRIERISCHE VOLKSFREUND merkt an:

"Oettinger hat mit seiner misslungenen Trauerrede das Gegenteil von dem erreicht, was er beabsichtigte. Die fast 30 Jahre alte Filbinger-Affäre kocht erneut hoch, jedes Detail aus dem Leben des ehemaligen Stuttgarter Ministerpräsidenten kommt noch einmal auf den Tisch. Der Verantwortliche dafür ist allein Günther Oettinger. Wenn er nicht das gleiche politische Schicksal erleben will wie einst Filbinger selbst, sollte sich der CDU- Politiker für die verbale Entgleisung schleunigst und in aller Form entschuldigen."

In der KÖLNISCHEN RUNDSCHAU liest man:

"Nichts oder nur Gutes soll man über Tote sagen, aber im Fall Filbinger ist doch eine andere Sprache geboten. Oettinger hat schlimmste Geschichtsklitterung betrieben, als er sich dazu verstieg, die dunklen Kapitel im Leben des Verstorbenen umzudeuten, schön zu reden, rein zu waschen. Versuchte er, den Traditionalisten in der Union entgegen zu kommen, die dafür gesorgt hatten, dass Filbinger nach dem erzwungenen Rücktritt zum Ehren-Vorsitzenden der Landes-CDU gemacht wurde? Oettingers Rede hat einen Scherbenhaufen hinterlassen"

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG bemerkt:

"Vor fast dreißig Jahren hatte Erhard Eppler dem Ex-Marinestabsrichter bereits treffend ein 'pathologisch gutes Gewissen' attestiert. Nun meldet sich der schwäbische SPD-Veteran wieder zu Wort, bezeichnet Oettingers Rede vorsichtig 'als mindestens sehr pauschal' und charakterisiert Filbinger salomonisch: 'Er war wahrscheinlich weder ein wirklicher Nazi, noch war er ein entschiedener Gegner. Das war das Normale damals.' Dieser Sichtweise des Landsmannes sollte sich Oettinger durch ein eigenes klärendes Wort doch wohl anschließen können."

In der TAGESZEITUNG aus Berlin heißt es:

"Oettingers Version des Normalbürgers unter dem Nazi-Regime fehlt eine einfache Kategorie - die des Handlungsspielraums. Gerade die Wehrmachtsausstellung hat uns gezeigt, dass es solche Handlungsspielräume dort häufig gegeben hat, wo bislang die Alternativlosigkeit des Befehlsvollzugs behauptet worden war. Dies galt auch für die Tätigkeit der Justiz im Dritten Reich. Filbinger war gerade deshalb der 'furchtbare Jurist', weil er ein ganz normaler Militärjurist war und als ganz normaler Bestandteil der Mordmaschine funktionierte."