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Pressestimmen von Samstag, 25. Februar 2006

Herbert Peckmann24. Februar 2006

Vogelgrippe breitet sich aus / 100 Tage große Koalition

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Die sich auch in Deutschland weiter ausbreitende Vogelgrippe bleibt ein Kommentarthema der deutschen Tageszeitungen. Beachtet werden auch die ersten 100 Tage der großen Koalition.

Zunächst zur Vogelgrippe und zu den STUTTGARTER NACHRICHTEN:

"Die Fachleute haben Recht behalten. Es werde nur eine Frage der Zeit sein, bis die Tierseuche, die man Vogelgrippe nennt, den Bodensee erreicht, hatten die Kenner des Vogelflugs gewarnt. Nun ist die Situation eingetreten. Nach dem Fund einer infizierten Ente bei Überlingen gerät das größte deutsche Binnengewässer in den Fokus der Öffentlichkeit. Die verständliche Reaktion ist Sorge. Die angemessene Reaktion heißt Sorgfalt."

Die LÜBECKER NACHRICHTEN mahnen ein konsequentes Durchgreifen bei der Bekämpfung der Vogelgrippe an. Das Blatt schreibt:

"Das Virus hat sich längst unter wild lebenden Vögeln ausgebreitet, und da man die nicht einsperren kann, kann man den Erreger auch nicht aussperren. Das ist, nüchtern betrachtet, kein Grund zur Sorge, aber es ist auch kein Grund zur Ruhe. Die fatale Gelassenheit, mit der man an den ersten Tagen nach den Funden auf Rügen zur Sache ging, darf sich nicht wiederholen."

Die WESTDEUTSCHE ZEITUNG aus Düsseldorf fordert bei der Bekämpfung der Vogelgrippe eine internationale Perspektive. Dort heißt es:

"Die Übertragung auf den Menschen geschieht ... bereits: In Asien, in Afrika und auch in der Türkei, wo die Menschen auf viel engerem Raum mit dem Nutzgeflügel leben. Die Europäische Union muss ihre Kraft darauf verwenden, diese Länder zu unsterstützen. Statt dessen treten die einzelnen Staaten und bei uns die Bundesländer in einen absurden Wettstreit wer schneller seine Lager mit dem knappen Grippeschutzmittel Tamiflu gefüllt hat. Seuchen dämmt man nicht mit Kirchturmpolitik ein."

Auf die Vorsorgemaßnahmen geht auch die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG ein:

"Die Beschlüsse der Gesundheitsminister, einen Vorrat von mehr als 16 Millionen Packungen Tamiflu für ein Fünftel der Bevölkerung anzulegen, wären halb soviel wert, wenn die Landwirtschaftsminister nicht einen solchen Aufwand bei dem Einsammeln verendeter Wildvögel und der Aufstallung der Nutzvogelarten betrieben. Und aus besonderem Anlaß darf hinzugefügt werden, daß die Landwirtschaftsminister wahrscheinlich größere Schwierigkeiten hätten, mit ihren Warnungen und Anordnungen bei privaten und kommerziellen Geflügelhaltern Gehör zu finden - und deshalb viel mehr Kontrollen anordnen müßten -, wenn die Bürger nicht durch die dauernde Berichterstattung hellhörig geworden wären."

Schließlich noch die NÜRNBERGER ZEITUNG, die die Vogelgrippe als Krankheit relativiert. Zitat:

"Das HN51-Virus unterscheidet sich von anderen potenziell pandemischen Erregern nur dadurch, dass es seine Schatten in Gestalt toter Enten und Schwäne vorauswirft. Inzwischen wird um verendetes Federvieh mehr Gedöns gemacht als um die etwa 8.000 Menschen, die allein in Deutschland alljährlich an einer ganz normalen Influenza sterben."


Temenwechsel. Bundeskanzlerin Merkel hat für sich selbst eine positive Bilanz der ersten 100 Tage als Regierungschefin gezogen. Dazu schreibt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG aus München:

"Angepackt hat die große Koalition schon eine ganze Menge - unbelastet von Blockaden zwischen Bundesrat und Bundestag, nicht wie Gerhard Schröder abhängig von knappen Mehrheiten und damit von oft querulatorischen Außenseitern in der Fraktion. Da ist die aus demografischen Gründen unabdingbare Verschiebung des Rentenbeginns auf 67 Jahre, die Verschärfungen von Hartz IV, das Investitionsprogramm von Genshagen, die Föderalismusreform. Der ganz große Wurf ist das alles nicht. Aber radikale Schnitte wie eine Abkehr vom Solidarprinzip bei den Sozialsystemen, etwa bei Alters- und Krankenversicherung, sind schon deshalb nicht möglich, weil eine Mehrheit der Wähler sie gar nicht will."

Das MINDENER TAGEBLATT meint:

"Wohl wird die eine oder andere unpopuläre Entscheidung im Hauruckverfahren durchgezogen, bemerkenswerweise liegen die daraus folgenden Konsequenzen jedoch meist erst in einer ziemlich abstrakten Zukunft. Ansonsten regiert von Staatsverschuldung bis Massenarbeitslosigkeit das Schaun-mer-mal-Prinzip Hoffnung - auf den hoffentlich doch nun endlich irgendwann einsetzenden Aufschwung nämlich. Auf den hatte ja auch Gerhard Schröder immer gehofft, mit bekanntem Erfolg. So sehr sich die Regierung Merkel/Müntefering außenpolitisch sehen lassen kann, innenpolitisch hat sie bislang wenig zustande gebracht."

Ähnlich sieht es auch die PFORZHEIMER ZEITUNG und greift sich die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung heraus. Das Blatt fragt:

"Welchen wirtschaftspolitischen Kurs steuern Bundeskanzlerin Merkel und die Große Koalition? Keinen erkennbaren jedenfalls. Genau genommen steht die neue Regierung schon wieder auf der Konjunkturbremse. Es fehlt ein Investitionsprogramm, das nachhaltig eine wirtschaftliche Trendwende herbeiführen könnte."

Die OSTTHÜRINGER ZEITUNG geht auf den Aspekt der Föderalismusreform ein:

"Die große Koalition hätte die Möglichkeit, vor allem über die Föderalismusreform manches zu korrigieren, was zum Hemmschuh gesellschaftlicher Entwicklung wurde. Beispiel Bildungspolitik: Experten werten zwar die Zersplitterung des Schulsystems als gewaltiges Hemmnis, doch die Föderalismusreform soll die Kleinstaaterei noch verstärken. Ein Paradox, das historisch ist. Während die Welt sich globalisiert, besinnt sich die deutsche Politik auf mittelalterliche Traditionen. Aber genau diese Reform - bescheiden die 'Mutter aller Reformen' genannt - soll ein Beispiel für die Handlungsfähigkeit der neuen Regierung sein. Ruft da nicht Heine? Schlag los, und hast du nicht Pferde genug, nimm Esel an ihrer Stelle."