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Pressestimmen von Samstag, 3. Februar 2007

Gerd Winkelmann 2. Februar 2007

Gesundheitsreform im Bundestag

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Die große Koalition hat bei der Abstimmung im Bundestag über die Gesundheitsreform einen Dämpfer erhalten. Bei ihrem wichtigsten Reformprojekt kassierte sie 43 Gegenstimmen aus den eigenen Reihen. Für die monatelang umstrittene Reform gab es dennoch eine breite Mehrheit. In den Analysen der Tagespresse lesen wir an diesem Samstag wenig Schmeichelhaftes:

Die STUTTGARTER ZEITUNG fällt ihr Urteil wie folgt:

'Es sollte eine große Reform werden, es wurde ein großes Gemurkse. Dennoch hat die schwarz-rote Koalition ihr wichtigstes Vorhaben durch den Bundestag gebracht. Die Zustimmung im Bundesrat dürfte nur noch Formsache sein: Der heiß umstrittenen Gesundheitsreform steht nichts mehr im Wege. Sie bringt einige Verbesserungen, was auch die vehementesten Kritiker einräumen. Sie bringt aber zugleich deutliche Verschlechterungen, was auch ihre beredtesten Fürsprecher kaum leugnen können. Sie bringt nicht zuletzt neue Belastungen sowohl für die gesetzlich Versicherten als auch für die Privatversicherungen. Was das alles kosten wird, lässt sich freilich erst absehen, wenn das gesamte Projekt umgesetzt ist und Praxiserfahrungen mit den Risiken und Nebenwirkungen vorliegen. Das wird dauern.'

Aus Bielefeld schreibt uns die NEUE WESTFÄLISCHE:

'Die Große Koalition steht am Scheideweg. Rappelt sie sich nach der Qual mit dem Gesundheitskompromiss noch einmal zu reformerischen Kraftakten auf oder lässt sie die Dinge in der Hoffnung trudeln, dass die gute Konjunktur gnädig alle Unterlassungssünden überdecken wird? Momentan sieht es nach letzterem aus. Das Vermögen, sachgerechte Kompromisse zu schließen, war in dieser Koalition immer ungleichmäßig ausgeprägt, am stärksten noch im Kabinett. Doch auch hier klemmt es.'

Der Kommentator der MÄRKISCHEN ODERZEITUNG aus Frankfurt meint:

'Am Ende ging es nur noch um die Macht. Gegen alle Warnungen, Zweifel und Kritik auch in den eigenen Reihen hat die Große Koalition die umstrittene Gesundheitsreform durchgedrückt. Es funktionierte - nicht, weil die Abgeordneten von Union und SPD wirklich vom Resultat des monatelangen Gezerres überzeugt sind, sondern weil sie fürchteten, dass eine Ablehnung auch das Scheitern der Koalition bedeutet hätte.'

Jetzt schauen wir in den Bonner GENERAL-ANZEIGER:

'Sieht so eine Reform aus? Natürlich hängt das mangelhafte, bestenfalls ausreichende Ergebnis mit dem sehr unterschiedlichen Politikverständnis von Union und SPD zusammen. Die einen wollen mehr Eigenverantwortung, die anderen wollen mehr Schutz des Staates für den Bürger. Tatsächlich müssten deutsche Regierungen den Menschen schon länger reinen Wein einschenken, dass das Gesundheitswesen, so wie wir es bislang kennen, nicht weiter bezahlbar sein wird. Die alternde Gesellschaft hat ihren (irgendwann auch einmal erarbeiteten) Preis. Dass diese von den Koalitionsspitzen so gepriesene Gesundheitsreform eine geringe Halbwertzeit haben wird, wissen alle Fachleute. Heute schon gilt: Nach der Reform ist vor der Reform.

Folgendes ist heute in der ESSLINGER ZEITUNG zu lesen:

'Das Positive vorneweg: Der Bundestag hat die Gesundheitsreform beschlossen, und der Bundesrat wird ihr auch noch zustimmen. Damit hat ein monatelanges Gewürge in Koalitionsrunden, Spitzentreffen, Ausschüssen, Anhörungen und Diskussionen ein Ende. Das mag für den, der sich nicht schon längst mit Grausen abgewandt hat, eine Erleichterung sein. Das Bemerkenswerte: Auch die große Mehrheit der Bundestagsabgeordneten aus den Regierungsfraktionen ist frustriert.'

Der WIESBADENER KURIER äußert diese Meinung:

'Was ist das für eine Rezeptur, deren Risiken und Nebenwirkungen stärker sind als die erwartete Heilwirkung? Wenn das lange Gezerre um die sogenannte Gesundheitsreform von Kanzlerin Merkel nun als schwierige Schwangerschaft bezeichnet wird, dann darf man das gestern im Bundestag verabschiedete Ergebnis getrost eine Missgeburt nennen.'

Da wollen auch die BREMER NACHRICHTEN nicht widersprechen:

'Statt eine mutlose und durch Lobbyisten-Einsprüche und parteipolitisches Kleinklein völlig missratene 'Reform' durchzupeitschen, hätten Union und SPD die Menschen beim Wort nehmen sollen. Umfragen zeigen nämlich: Fast zwei Drittel der Bundesbürger halten einschneidende Reformen im Gesundheitssystem für notwendig. Es ist bezeichnend, dass nicht einmal eine Große Koalition in der Lage ist, hier entscheidende Impulse zu setzen.'

Das NEUE DEUTSCHLAND aus Berlin schreibt:

'Versicherte und Patienten teilen die großkoalitionäre Sinnesvernebelung nicht. Sie werden künftig höhere Beiträge zahlen, vermutlich auch höhere Steuern, und dafür entgegen allen Versprechungen geringere Leistungen bekommen. Sie haben Pech, weil keine Lobby ihre Interessen ins Gesetz lancierte und die Regierung ohne Skrupel den Begehrlichkeiten von Privatversicherern, Pharmafirmen und anderen Gruppen entgegenkommen konnte.'

Zum Abschluss noch ein Blick in den MÜNCHNER MERKUR:

'Angkündigt wurde die Gesundheitsreform als Merkels Meisterstück. Geliefert hat die Kanzlerin einen Tiefpunkt des deutschen Nachkriegsparlamentarismus: Nie zuvor wurde eine Reform, die von ausnahmslos allen Experten so gnadenlos zerrissen wurde, so brachial durch den Bundestag gepeitscht, selten zuvor die Freiheit des Abgeordneten so brutal vergewaltigt wie bei der Bundestagsabstimmung über die Gesundheitsreform. Es ist bemerkenswert, dass mehr als 40 Mandatsträger der Regierungskoalition den kaum verhüllten Drohungen ihrer jeweiligen Fraktionsführungen dennoch trotzten und mit Nein stimmten.'