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Private Unterbringung: "WG auf Zeit"

Dagmar Breitenbach6. Oktober 2014

Immer mehr Flüchtlinge suchen Schutz in Deutschland. Die Kommunen sind überfordert. Martin Patzelt, Ex-Bürgermeister von Frankfurt (Oder) und für die CDU im Bundestag, setzt auf eigenwillige Lösungen.

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Syrische Flüchtlinge bei privatem Unterstützer Günther Orth in Berlin (Foto: DW/A. Ammar)
Syrische Flüchtlinge bei privaten Unterstützern in BerlinBild: DW/A. Ammar

DW: Herr Patzelt, Sie schlagen vor, Bürgern zu ermöglichen, Flüchtlinge bei sich privat aufzunehmen. Würde das die Unterbringungssituation wirklich entschärfen - oder geht Ihnen es eher um eine gute Willkommenskultur?

Martin Patzelt: Das eine und das andere. Wenn man sich die Eskalation hochproblematischer Unterbringungen anschaut, zum Beispiel wenn man in der Wintersaison Zeltlager aufstellt, so könnte man zumindest diese etwas entkrampfen. Wir haben immer mehr prekäre Unterbringungsmöglichkeiten, da wäre eine Entlastung schon eine Hilfe.

Aber darüber hinaus wäre es auch ein ganz deutliches, vielleicht auch ansteckendes, freiwilliges Engagement von Menschen, die sagen, wir nehmen diese Not wahr. Die Menschen brauchen neben einer ordentlichen Unterkunft auch menschliche Nähe. Es wäre ein Zeichen der Solidarität und ein deutliches Signal aus Deutschland: Wir regeln die Unterbringung von Flüchtlingen nicht nur mit Steuergeldern, sondern es gibt in unserem Land durchaus Menschen, die mehr tun können und wollen.

Wie reagieren die Politikerkollegen auf Ihren Vorschlag?

Sehr verhalten. Bei den Diskussionen, die ich im Ausschuss für Menschenrechte angeregt habe, wurde die Diskussion dahingehend abgebrochen, dass dieser ganze Komplex der Unterbringung in die Zuständigkeit der Länder fällt.

Wie reagieren die Länder?

Als erstes habe ich mich an den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann gewandt. Ich hoffe sehr auf seine Unterstützung. Mein Anliegen ist es, einen gemeinsamen Brief an die Innenminister zu schreiben, neben den Unterbringungsmöglichkeiten, die es jetzt schon gibt, in den Verwaltungsvorschriften eine zusätzliche Möglichkeit zu schaffen, dass auch private Unterbringungen möglich sind.

In zwei Bundesländern ist bereits eine private Unterbringung von Flüchtlingen möglich. Entspricht das Ihrer Idee?

Es ist nicht ganz deckungsgleich mit meinem Vorschlag. In Berlin und Schleswig Holstein kann man Flüchtlinge in privaten Wohnungen unterbringen - aber der Steuerzahler übernimmt die Kosten der Unterbringung. Die Möglichkeit wird nur in geringem Umfang realisiert, weil es zu wenig Angebote gibt oder weil die Mieterwartungen zu hoch sind.

Martin Patzelt, CDU-Bundestagsabgeordneter und früherer Bürgermeister in Frankfurt/Oder (Foto: J. Paulig
Martin Patzelt, CDU-Bundestagsabgeordneter und früherer Bürgermeister in Frankfurt/OderBild: Jürgen Paulig

Mein Vorschlag ging dahin, dass es durchaus auch möglich sein sollte, dass ich als Gastgeber die Unterkunft stelle und die Kosten des Lebensunterhalts und der Krankensorge beim Steuerzahler verbleiben. Wir haben etwa hundert Meldungen von Menschen bundesweit, die sagen, wir übernehmen auch die Kosten der Unterbringung.

Das ist nicht viel.

Das ist nicht viel - aber denken Sie an eine Fermentwirkung! Manchmal sind Spurenelemente für einen funktionierenden Organismus notwendig.

Warum ist die Politik so zurückhaltend? Es wäre doch eine freiwillige Initiative.

Ich habe immer gesagt, es geht mir um die völlige Freiwilligkeit: Eine Wohngemeinschaft auf Zeit muss immer mit dem Einverständnis aller Beteiligten getragen werden. Es geht um Kriegsflüchtlinge, also Menschen, bei denen der Status schon klar ist, und besonders um Kinder und Frauen, die in Massenunterkünften mit vielen Männern in einer schwierigen Situation sind.

Aber wer mit einem solchen Anspruch an die Öffentlichkeit geht, sollte mit gutem Beispiel vorangehen. Und da sehe ich die Hemmung: Wie die meisten Bürgerinnen und Bürger können sich auch die meisten Politiker nicht vorstellen, dass sie auf einmal eine WG auf Zeit gründen. Man kann schlecht etwas gegen den Vorschlag an sich sagen, aber man kann ihn als blau-äugig und naiv sehen. Also muss man ihn schweigend hinnehmen.

Wie geht's denn jetzt weiter mit Ihrer Initiative?

Ich suche Verbündete in der eigenen Fraktion und fraktionsübergreifend. Ich sondiere, wer bereit wäre, einen solchen Brief an die Innenminister zu schreiben. Wenn das alles nicht gelingt, würde ich mich alleine mit einem Schreiben an die Innenminister wenden, mit einer ganzen Liste von Interessierten aus den Bundesländern als Zeugen dafür, dass es solche Menschen gibt. Da bin ich auf Antworten gespannt, denn die öffentliche Hand wird entlastet, human ist es in jedem Falle beispielgebend und kann dem Ansehen unseres Landes insgesamt nur nutzen. Ich möchte, dass es unser gemeinsames Anliegen wird in Deutschland.

Martin Patzelt ist ehemaliger Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt/Oder. Seit 2013 sitzt er für die CDU im Deutschen Bundestag und ist Mitglied im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe.

Die Fragen stellte Dagmar Breitenbach.