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Politik

Pro-europäische Proteste in London

Abigail Frymann Rouch ie
24. März 2017

Für den "Unite for Europe March" werden diesen Samstag strenge Sicherheitsmaßnahmen erwartet. Trotz des jüngsten Anschlags hoffen die Veranstalter auf viele Unterstützer. Von Abigail Frymann Rouch, London.

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Unite for Europe march in London
Brexit-Gegner in London: Verhindern können sie ihn nicht mehr, nur noch abmildernBild: Bruce Tanner

Die Flagge hoch erhoben, das Gesicht fest entschlossen: Mit diesem Bild wurde das damalige Model Caroline de Bendern zum Symbol der 1968er Proteste in Paris. Fast 50 Jahre später hat die nunmehr 76-Jährige ihren Kampfgeist nicht verloren: An diesem Samstag wird sie am Unite for Europe March teilnehmen, um für den Verbleib Großbritanniens in der EU zu demonstrieren.

De Bendern sorgt sich um den zukünftigen Status von Briten im Ausland, um die Lossagung Großbritanniens von der EU angesichts eines immer selbstbewussteren Russlands, und um das allzu große Vertrauen von Politikern in die Finanzwirtschaft. "Das ganze politische System muss sich ändern - das ist im Prinzip genau das, was wir schon 1968 gefordert haben", sagt das ehemalige Model, das bekanntlich enterbt wurde, als ihr adliger Großvater das Foto von ihr inmitten linker Demonstranten auf einem Magazin-Cover entdeckte.

Unite for Europe march in London
Hat ihren Aktivisten-Spirit über die Zeit nicht verloren: Caroline de BendernBild: J. Thollot

Die Juni-Proteste 1968 hätten "als Studentending angefangen, man wollte einfach mehr Freiheit, Veränderung", so De Bendern. Seit dem Referendum 2016 dagegen habe eine "rechtsextreme Ideologie an Boden gewonnen". De Bendern, die seit 1968 in Frankreich lebt, ist "für einen soften Brexit, wenn es denn einen geben muss".

Für den Unite for Europe March werden zehntausende Menschen auf den Straßen Londons und Edinburghs erwartet, um gegen den EU-Austritt Großbritanniens zu demonstrieren. Einem Polizeisprecher zufolge werden die Sicherheitsmaßnahmen verschärft werden, so wie auch nach dem Anschlag am Mittwoch. Roger Casale vom Organisations-Kommitee des Unite for Europe March sagt, er stehe in Kontakt mit der Polizei und sei zuversichtlich, dass alles wie geplant ablaufen könne. Das Datum - der 25. März - markiert den 60. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge. Außerdem findet der Marsch statt kurz bevor der Austritt aus der EU offiziell verkündet wird. Gruppierungen aus dem ganzen Land sollen am Samstag nach London kommen, unter anderem Bristol4Europe oder Scientists For EU. Die Aktion solle "familienfreundlich, offen und locker" sein, so Casale.

Kein Millionenmarsch

Der in Spanien geborene Carlos de Conde Solares, Vorsitzender von North East For Europe (NE4EU), sagt der DW, das die ursprünglichen Behauptungen, der Marsch werde Millionen anziehen, "Wunschdenken" gewesen seien, man habe dafür "nicht genug Helfer" gehabt. Die rund 200 Mitglieder von NE4EU, die am Marsch teilnähmen, setzten sich vor allem aus 20- bis 45-Jährigen zusammen, die "es eigentlich für selbstverständlich hielten, auf einem Kontinent mit offenen Grenzen zu leben und die sich nun ihren Möglichkeiten beschränkt sehen".

Eine andere Protestlerin, die in Ungarn geborene Magdalena Williams, erzählt, die Ungarn und Polen seien enttäuschend widerwillig und wollten nicht am Unite for Europe March teilnehmen, weil sie Anfeindungen fürchteten: "Teilweise sind sie es nicht gewohnt, demokratisch zu protestieren, teilweise haben sie Angst und teilweise arbeiten sie in Jobs, in denen sie sich den Tag nicht freinehmen können."

Unite for Europe march in London
Pro-europäische Demonstranten auf der Downing StreetBild: DW/A.Frymann Rouch

Williams hat im letzten Monat wiederholt an Mahnwachen teilgenommen, die dreimal wöchentlich auf der Downing Street stattfinden - gegenüber dem Amts- und Wohnsitzes von Premierministerin Theresa May. Viele von Williams' Mitstreitern kommen aus anderen EU-Ländern oder haben private oder geschäftliche Beziehungen zu Menschen aus anderen EU-Ländern. Während die paar Dutzend Demonstranten an Pendlern und Touristen vorbeikommen, schwenken sie fröhlich EU-Flaggen und haben sogar oft eine Musikanlage dabei, die etwa Beethovens "An die Freude" und den 1986er-Hit "Don't leave me this way" von den Communards spielt. Der Demonstrant und Gitarrist Peter Cook hat ein paar Beatles-Songs überarbeitet und unter anderem aus "Yellow Submarine" "We all live in a dictatorship, a dictatorship, a dictatorship" - eine Anspielung darauf, wie übergangen sich die Briten, die gegen den EU-Austritt gestimmt haben, nun fühlen.

Jedoch sind die Anliegen der Anti-Brexit-Kämpfer sehr unterschiedlich, das gilt auch für die Organisatoren des Unite for Europe March am Samstag. So wurde der Slogan "Stop Brexit" kurzfristig in "Make your voice heard" ("Verschafft euch eine Stimme") umgeändert, Hauptveranstalter Peter French trat unerwartet zurück. Ob sein Rücktritt mit der Herabstufung der Ziele der Kampagne zu tun hat, oder mit den durch Crowdfunding zusammengekommenen 76.000 britischen Pfund, die auf dem Privatkkonto des Schatzmeisters landeten, ist unklar.

"Beklagt euch nicht, organisiert euch!"

"Wir fordern nicht, den Brexit zu stoppen, das ist Geschichte aus dem letzten Jahr", erklärt Casale. Zu wütenden Brexit-Gegnern, die immer noch die Legitimität des Referendums anzweifeln, weil es nicht rechtlich bindend war, meint er: "Ein Parlamentsgesetz ist schon durch." Aber nur weil der Artikel 50 des EU-Vertrags - der den rechtlichen Rahmen für einen Austritt vorgibt - ausgelöst wird, müsse das Parlament die finalen Bestimmungen nicht akzeptieren, so Casale. Einige Demonstranten hoffen, dass die Verhandlungen sich als zu kompliziert erweisen und dass die Konditionen so unattraktiv sind, dass Wähler die Parlamentsmitglieder unter Druck setzen, den Brexit abzulehnen.

Lambeth 4 Europe Gruppe
Auch die Gruppe "Lambeth 4 Europe" wird am Samstag Präsenz zeigenBild: DW/A.Frymann Rouch

Parlamentsmitglied David Lammy von der Labour Party hält am Samstag eine Ansprache und ist ähnlicher Meinung. "Meine Botschaft ist eindeutig: 'Beklagt euch nicht, organisiert euch'", so der Politiker zur DW, "Nigel Farage hat den Kampf auch nicht aufgegeben. Deshalb müssen auch wir weiterkämpfen, wenn Artikel 50 ausgelöst wird, die Auswirkungen eines harten Brexits zutage treten und die Dinge hässlich werden."

Dagegen fordert der frühere Parteichef der Liberal Democrats, Nick Clegg, ein zweites Referendum. Und Gina Miller, die den Brexit bereits erfolgreich vor Gericht infrage gestellt hat, kündigte bereits an, erneut vor Gericht zu ziehen, falls sie der Meinung sei, der Prozess werde nicht korrekt weitergeführt.

Die Anti-Brexit-Kampagne müsse eindeutig noch zu sich finden, und das sollte ihr bald gelingen, wenn sie nicht will, dass ihre Anhänger doch noch der Rhetorik der Brexit-Befürworter nachgeben. Die 39-jährige Emily Sawyer aus London erklärt: "Die Kampagne für einen EU-Austritt gibt es schon länger als ich auf der Welt bin. Unsere Kampagne dagegen hatte noch nicht so viel Zeit, sich zu entwickeln." Am Ende der Downing Street sagt der Demonstrant Clive Lewis, sein Kampf werde nicht enden, auch wenn es ein endgültiges Abkommen gebe und Großbritannien die EU endgültig verlassen habe: "Mein Motto ist, nie, nie, nie aufzugeben."