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Prodi wird weich - der Euro auch?

Rolf Wenkel25. September 2002

Die Europäische Kommission hat den Staaten der Euro-Zone mehr Zeit eingeräumt: Sie müssen erst 2006 einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen. Die Folgen für die Stabilität des Euro sind unklar. Rolf Wenkel kommentiert.

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Die Kommission der Europäischen Union wird weich - und der Euro wird es vermutlich auch. Angesichts der schlechten konjunkturellen Lage will die EU-Kommission Deutschland und anderen Staaten der Euro-Zone mehr Zeit geben, um ihre Staatsfinanzen in Ordnung zu bringen. Bis 2004, so die freiwillige Vereinbarung der EU-Staaten, wollten alle Mitglieder der Euro-Zone einen annähernd ausgeglichenen Staatshaushalt vorlegen - das hieße: Einnahmen und Ausgaben würden sich annähernd die Waage halten, die Staaten müssten zur Finanzierung ihrer laufenden Ausgaben keine neuen Schulden machen. Laut Kommissionspräsident Romano Prodi haben die Mitglieder des Euroclubs nun bis zum Jahr 2006 Zeit, dieses Ziel zu erreichen.

Warum dieser Sinneswandel? Mit Deutschland, Italien, Frankreich und Portugal drohen gleich vier europäische Staaten, ein wichtiges Stabilitätskriterium für den Euro zu verletzen, darunter mit Frankreich und Deutschland die beiden größten Wirtschaftsmächte des Euroblocks. Die jährliche Schuldenaufnahme, die ja bis 2006 auf annähernd Null zurückgeführt werden soll, darf schon jetzt nicht mehr als drei Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung des betreffenden Landes betragen, ansonsten kommt der berühmte blaue Brief aus Brüssel. Doch Brüssel hat jetzt ein Einsehen: Die bislang angenommene Wachstumsrate für die Eurozone von 1,4 Prozent für das laufende Jahr sieht auch die EU-Kommission als illusorisch an, genauso wie das bislang für das nächste Jahr erwartete Wachstum von drei Prozent. Weniger Wachstum bedeutet sinkende Steuereinnahmen und höhere Sozialausgaben, und in Deutschland kommen noch die finanziellen Folgen der Flutkatastrophe in Ostdeutschland hinzu.

Natürlich beeilen sich alle Beteiligten zu versichern, dass damit Buchstaben und Geist des Stabilitäts- und Wachstumspaktes von Maastricht nicht angetastet werden. Das Datum 2004 für einen ausgeglichenen Haushalt beruht auf freiwilligen Vereinbarungen, das Datum aber 2006 bleibt bestehen. Doch allen Beteiligten ist klar, dass es immer schwerer wird, dieses Ziel zu erreichen, je weiter man es hinausschiebt. Und allen muss klar sein, dass sie damit wieder die Diskussion über den Sinn des Stabilitäts- und Wachstumspaktes entfachen.

Kritiker sagen schon lange: Der Stabilitätspakt droht zum Selbstzweck zu werden, ein stures Festhalten an den Stabilitätskriterien schadet nur. Die Kriterien wurden in wirtschaftlich prosperierenden Zeiten aufgestellt, heute sind die Zeiten anders. Wenn die Staaten Europas gezwungen werden, in solchen Zeiten den Gürtel noch enger zu schnallen, würgen sie die zarten Wachstumskräfte in ihren Ländern endgültig ab.

Die Verteidiger der Stabilitätskriterien haben auch gute Argumente. Sie sagen, die Kriterien heißen nicht umsonst Konvergenzkriterien, sie haben die Staaten diszipliniert, die völlig unterschiedlichen Volkswirtschaften Europas aneinander angeglichen, eben zur Konvergenz gezwungen. Das war und ist nötig, um den Euro stabil zu halten und als ernstzunehmende Weltwährungsreserve zu etablieren. Europas Staaten haben völlig unterschiedliche Arbeits-, Sozial- und Steuergesetze. Wenn man ihnen bei Zinsen und Staatsschulden freie Hand lässt, laufen sie auseinander wie ein geöffneter Sack Flöhe, und dann: Gute Nacht, stabiler Euro.

Beide Lager haben vermutlich Recht. Die Stabilitätskriterien sind kein Selbstzweck, sie haben die Funktion, den Euro auf Dauer stabil zu halten. Aber Politiker sind auch nur Menschen, und sie wollen wieder gewählt werden. Sie haben es versäumt, in fetten Zeiten, Ende des 90er Jahre, vorzubauen für schlechtere Zeiten. Wer beschneidet in guten Zeiten schon die Ansprüche seiner Klientel, die ihn wieder wählen soll? Die Misere der meisten europäischen Staaten liegt darin, dass ihre Ausgabenblöcke hoffnungslos festgefahren sind, in einklagbaren Ansprüchen, eingegossen in populäre Gesetze, die in guten Zeiten leicht zu finanzieren waren, in schlechten Zeiten aber immer noch Ansprüche begründen, die weiter finanziert werden müssen. Kein Politiker, der wieder gewählt werden will, traut sich daran, die üppige Bürokratie zu beschneiden oder mit der Subventionierung längst obsolet gewordener Wirtschaftszweige Schluss zu machen. Eine Straße ausbessern oder eine Schule renovieren kann man hingegen auch noch im nächsten Jahr.

Und spätestens hier bekommen die Kritiker der Stabilitätskriterien ein unschlagbares Argument in die Hand: Wenn die Mitglieder des Euroclubs gezwungen werden, ihre investiven Ausgaben auf dem Altar der Stabilität zu opfern, dann verlieren diese Stabilitätskriterien ihren Sinn. Dann würgen sie in der Tat alle Wachstumskräfte in ihren Ländern ab, dann droht in der Tat eine Spirale nach unten. Gerade in schlechten Zeiten muss der Staat investieren, um der Wirtschaft auf die Beine zu helfen und anschließend von mehr Steuern zu profitieren. Notfalls auch mit mehr Schulden als drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Aber nötig wäre das nicht gewesen. Die europäischen Staaten hätten nur rechtzeitig ihre Konsumausgaben einschränken müssen. Aber wir wissen ja: Politiker sind auch nur Menschen, und sie wollen wieder gewählt werden. Deshalb werden manche Politiker weich, und der Euro wird es vermutlich auch.