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Profiteure des Zorns

Kersten Knipp18. September 2012

Die Proteste gegen den als islamfeindlich empfundenen Film "Die Unschuld der Muslime" drücken verletzte religiöse Gefühle aus. Ebenso sind sie aber auch das Werk radikaler Ideologen, die ganz eigene Ziele verfolgen.

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Demonstranten in Kairo mit einem Porträt Osama Bin Ladens; Kairo 14.9.12
Bild: Matthias Sailer

Ein grünes Fahnenmeer, wutentbrannte Gesichter, Steine schleudernde Jugendliche, erklärtermaßen willens, für die Ehre des Propheten bis zum Äußersten zu gehen. Von Tunesien bis Jemen gingen Muslime auf die Straße, um die Würde ihrer Religion zu verteidigen. Im Libanon wandte sich Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah bei einer Demonstration in den südlichen, schiitisch dominierten Vierteln von Beirut entschieden gegen die Verunglimpfung des Islam.

Die Hisbollah kämpft um ihren Ruf

Längere Zeit hatte sich Nasrallah nicht mehr in der Öffentlichkeit geäußert. Auch zum Konflikt im benachbarten Syrien nahm er öffentlich kaum Stellung. Die Hisbollah zog es vor, dem Assad-Regime, von dem sie über Jahre unterstützt wurde, nun ihrerseits zur Seite zu stehen. Gerüchte von Hisbollah-Kämpfern in Syrien machen seit Monaten die Runde.

Hisbollah Führer Hassan Nasrallah während der Kundgebung gegen den Film "Die Unschuld der Muslime" in Beirut, 17.9., 2012. (Foto: AP/dapd).
Hassan Nasrallah präsentiert sich in Beirut als Verteidiger des IslamBild: AP

Die Solidarität mit Assad hat die Hisbollah erhebliche Sympathien gekostet. Nun sieht sie sich durch den möglichen Sturz des Diktators im Kern bedroht. Warum also trat Nasrallah gerade nun, anlässlich des im Internet kursierenden Films "Unschuld der Muslime", vor seine Anhänger?

Weil er den Film als Gelegenheit sehe, sich der Welt als Vorkämpfer gegen die USA und zugleich als Verteidiger des Islam zu präsentieren, erklärt Lurdes Vidal vom "Instituto Europeo del Mediterráneo" in Barcelona. Er nutze die Gelegenheit, verlorenes Terrain wiedergutzumachen, sagt die Islam- und Politikwissenschaftlerin. "Mit seinem Auftritt versucht Nasrallah, neue Anhänger zu gewinnen."

Machtansprüche der Extremisten

So wie im Libanon instrumentalisieren auch andere Gruppen in der muslimischen Welt die Empörung über den anti-islamischen Film. Vom Maghreb bis zur arabischen Halbinsel ist er eine willkommene Gelegenheit, die eigene Macht zu demonstrieren. "Die Salafisten wollen mit ihrer Besetzung des Öffentlichen Raums in den Ländern des 'Arabischen Frühlings' beweisen, dass sie die treibende Kraft der Straße sind", schreibt die panarabische Zeitung "Al Hayat". "Sie fordern jene Kräfte heraus, die sich als reife und organisierte islamische Alternative präsentieren, ihre Macht aber noch nicht hinreichend ausgebaut haben."

Die Motive der Extremisten ähneln sich. Unterschiedlich sind jedoch die Zusammenhänge, in denen sie agieren. In Libyen versuchen extremistische Gruppen Fuß zu fassen, die Al-Qaida zumindest nahestehen. Die dortige frisch gewählte Regierung vermag das Gewaltmonopol des Staates noch nicht überall durchzusetzen. Extremisten nutzten diese Schwäche bereits im August 2012, um die Gräber sufistischer Heiliger zu zerstören, die in ihren Augen "unrein" sind. Die aktuelle Empörung über den Schmähfilm, erklärt der in Bern lehrende Islamwissenschaftler Reinhard Schulze, versuchten sie nun für ihre Zwecke zu nutzen. "Man gewinnt den Eindruck, als ob die für den Angriff verantwortlichen Ultras in dem Unmut über den Film so etwas wie eine Interpretationshilfe gefunden haben, um ihren terroristischen Anschlag zu einem Wutausbruch des Volkes deklarieren zu können."

Meister der Manipulation

Doch die allermeisten Libyer distanzierten sich von den Grabschändern und Terroristen - ebenso wie die Ägypter sich in großer Mehrheit nicht mit den Anliegen der Salafisten gemein machen. Natürlich sympathisierten Teile seiner Landsleute mit den Radikalen, erklärt der an der American University of Cairo lehrende Politikwissenschaftler Gamal Soltan. "Es gibt beides: Ein überwiegend aus bescheidenen Kreisen stammendes, religiös hoch empfindliches Publikum, das bereit ist, sich missbrauchen und manipulieren zu lassen. Und die Menschenfänger, die die Gelegenheit für ihre Zwecke ausbeuten."

Ein ausgebranntes Auto in der Nähe der US-Botschaft; Kairo 14.9.12
Frommer Zorn? Anti-westliche Demonstranten in KairoBild: Matthias Sailer

Soltan deutet die Demonstrationen als Teil eines umfassenden Konflikts: "Die Salafisten konkurrieren mit den Muslimbrüdern um ein- und dieselbe Ideologie. Darum hat niemand Interesse an einem nationalen Dialog. Ob wirtschaftliche Probleme oder ein anti-islamisches Video: Alles ist recht, um der Regierung die Legitimation abzusprechen und das eigene Anliegen voranzutreiben."

Die Hamas schärft ihr Profil

Auch die im Gazastreifen regierende islamistische Hamas nutzt die Gunst der Stunde. Ihr Aufruf zur Verteidigung des Islam falle in eine Zeit kontinuierlicher politischer Rückschläge, erklärt Lurdes Vidal. Die im Westjordanland voranschreitende israelische Siedlungspolitik habe sie nicht aufhalten können. Zudem sei sie gegenüber der konkurrierende Fatah ins Hintertreffen geraten. Diese habe durch den Antrag auf Anerkennung Palästinas als Beobachterstaat bei den UN zumindest einen Achtungserfolg errungen.

Die Hamas hingegen habe nichts dergleichen vorzuweisen. Außerdem habe sie aufgrund ihrer sehr spät gekappten Beziehungen zum Assad-Regime Sympathien verloren. "Aus diesen Gründen inszeniert sie sich nun als Verteidigerin des Islam. Zugleich dämonisiert sie die USA. Dadurch schärft sie ihr Profil, das zuletzt an Konturen verloren hat."

Der Sudan und seine Schulden

Anders sieht es im Sudan aus. Dort, erklärt Reinhard Schulze, habe die Regierung die Gewalt durch die ihr verbundenen Medien zumindest in Teilen mit geschürt. "Hier haben wir es tatsächlich mit einem steuernden Prozess zu tun. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die sudanesische Bevölkerung sonst, wenn diese Steuerung nicht existierte, in dieser Art und Weise protestiert hätte."

Der sudanesische Präsident Hassan al-Bashir während einer Rede in Khartoum, 20.4. 2012. (Foto: Reuters)
Bedrängter Staatsmann: Sudans Präsident Hasan Ahmad al-BaschirBild: Reuters

Die Proteste kommen der Regierung Khartum durchaus gelegen. Denn vor einem guten Jahr wurde der Südsudan unabhängig. Der Sudan verlor dadurch auch den größten Teil seiner Öleinnahmen, da sich die Fördergebiete überwiegend auf südsudanesischem Gebiet befinden. Die Einkommensverluste versucht die Regierung durch ein rigides Sparprogramm zu bewältigen. Gegen die damit verbundenen Einschränkungen und Teuerungen hatten in den letzten Wochen und Monaten viele Bürger protestiert. So dürften die Proteste gegen den Film für die Regierung ein willkommenes Mittel gewesen sein, dem Zorn der Bürger eine andere Richtung zu geben. Die Probleme, erklärt Reinhard Schulze, würden für die Regierung aber dadurch nicht einfacher. "Auf der einen Seite hat sie in irgendeiner Weise dafür Sorge zu tragen, dass das Austeritätsprogramm (Sparprogramm) durchgesetzt und die Entschuldung des Staates in irgendeiner Art und Weise durchgeführt wird. Auf der anderen Seite will sie verhindern, dass es so etwas gibt wie einen arabischen Frühling im Sudan."