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Proteste gegen Kuwaits Emir

Andreas Gorzewski18. Oktober 2012

In Kuwait demonstrieren Tausende gegen die Regierung des Emirs. Die Opposition im kürzlich aufgelösten Parlament fürchtet eine angeblich geplante Wahlrechtsreform. Erstmals wird auch der Emir offen kritisiert.

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Demonstranten liefern sich eine Straßenschlacht mit Sicherheitskräften in Kuwait. 15. Oktober 2012 (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

Rangeleien zwischen oppositionellen Demonstranten und der Polizei hat es in Kuwait schon öfter gegeben. Neu an den aktuellen Auseinandersetzungen ist jedoch der Tonfall. Erstmals wird der Emir, der laut Verfassung unantastbar ist, von der Opposition offen kritisiert. "Wir fürchten deine Schlagstöcke und deine Gefängnisse nicht", rief der ehemalige Abgeordnete und Oppositionsführer Barrak al-Mussallam nach Angaben der Kuwait Times. Al-Mussallam warnte den Herrscher, im Machtkampf zwischen Regierung und Parlament das Wahlgesetz zu ändern und regierungstreuen Politikern einen Vorteil zu verschaffen. Erst vor Kurzem hatte Emir Sabah Al-Ahmad Al-Sabah das von einer Dauerkrise gelähmte Parlament aufgelöst. Die Proteste sollen al-Mussallam zufolge weitergehen.

"Das ist nicht die Sprache, die wir in Kuwait gewohnt waren", sagt der Politikwissenschaftler Ibrahim al-Hadban von der Universität Kuwait. Negative Äußerungen über den Emir seien lange tabu gewesen. Viele Bürger seien beunruhigt, dass nun auch der Herrscher scharf angegriffen wird.

Kuwaits Emir Sabah al-Ahmad al-Sabah bei einem Besuch im Parlament am 30. Oktober 2007. (Foto: afp)
Kuwaits Emir Sabah Al-Ahmad Al-Sabah im ParlamentBild: Getty Images

Straßenschlacht in der Hauptstadt

Mitte Oktober waren tausende aufgebrachte Kuwaiter durch die Straßen des Golfstaates gezogen und hatten sich eine Straßenschlacht mit der Polizei geliefert. Sie rissen Absperrungen um, schwenkten Plakate und riefen regierungsfeindliche Parolen. Laut Innenministerium wurden bei den Unruhen mehrere Menschen verletzt. An der Spitze des Demonstrationszuges standen nach kuwaitischen Medienberichten mehrere prominente Abgeordnete des kürzlich aufgelösten Parlaments. Sie befürchten, dass durch ein neues Wahlrecht eine gleichgeschaltete Volksvertretung zustande kommen könnte.

Anders als die übrigen arabischen Golfstaaten hat Kuwait seit Jahrzehnten ein selbstbewusstes Parlament, das der Herrscherfamilie al-Sabah immer wieder in die Quere kommt. In den vergangenen Jahren hatte die Regierung mehrfach nur eine Minderheit der Abgeordneten auf ihrer Seite.

Parlament ohne Einfluss auf Regierungsbildung

Die 50 gewählten Abgeordneten stammen traditionell aus den einflussreichen Stämmen und Händlerfamilien. Sie haben keinen Einfluss auf die Regierungsbildung. Die Minister einschließlich des Regierungschefs werden vom Emir ernannt. Doch können die Abgeordneten von den Ministern Rechenschaft über ihre Arbeit verlangen und sie durch Misstrauensvoten zum Rücktritt zwingen. Davon hat das Parlamente in den vergangenen Jahren reichlich Gebrauch gemacht.

Der Kuwait-Experte und Geschäftsführer der Berliner Nichtregierungsorganisation Democracy Reporting International, Michael Meyer-Resende, bezeichnet die Situation als Patt. Zwar kann der Emir ein Parlament, in dem die Opposition in der Mehrheit ist, immer wieder auflösen. Das hat er in den vergangenen sechs Jahren auch vier Mal getan. Bei den Neuwahlen errangen aber mehrfach die Regierungsgegner eine Mehrheit.

Gerüchte über neues Wahlrecht

Viele politische Vorhaben stecken fest im Interessenkonflikt zwischen der Regierung und den verschiedenen Lagern im Parlament. So wollen die Händlerfamilien die Privatwirtschaft stärken, während die konservativen Stämme weiter auf die staatliche Verteilung der Petrodollars setzen. Frauen erhielten erst 2005 das aktive und passive Wahlrecht, obwohl der damalige Emir die Kuwaiterinnen schon früher an die Wahlurne lassen wollte. Konservative Abgeordnete hatten sich dagegen gesträubt.

'Nach der Parlamentsauflösung am 7. Oktober müssen die Kuwaiter binnen zwei Monaten erneut wählen. Nach welchem Wahlrecht sie ihre Stimme abgeben, ist derzeit unklar. In dem Staat, der kleiner als Sachsen ist, kursieren Gerüchte über eine Änderung des Wahlsystems. Angeblich soll die Zahl der Wahlbezirke vergrößert werden, wie der Politikwissenschaftler al-Hadban sagt. Auch soll den Gerüchten zufolge die Zahl der Stimmen pro Wähler reduziert werden.

Kuwaiter bei einer Kundgebung am 10. September 2012 auf dem Erada-Platz in der Hauptstadt für die Einhaltung der Verfassung in der aktuellen politischen Krise. (Foto: dapd)
Kuwaiter bei einer Kundgebung auf dem Erada-Platz in der HauptstadtBild: dapd

Die Opposition muss bei einem neuen Wahlmodus massive Verluste fürchten. Bislang dürfen die etwa 400.000 wahlberechtigten Kuwaiter vier Stimmen abgeben. Diese Stimmenzahl ermöglicht dem Politikprofessor zufolge Absprachen zwischen den Kandidaten, die sich so gegenseitig Wähler zuschanzen. "Wenn jeder nur eine oder zwei Stimmen hätte, dann könnten die Kandidaten sich nicht gegenseitig unterstützen", sagt er. "Viele der Oppositionspolitiker könnten dann durchfallen und würden nicht ins Parlament einziehen."

Anhänger der Opposition fürchten Meyer-Resende zufolge auch ein Anwachsen der Korruption. "Da, wo es viele Wahlbezirke gibt, gibt es weniger Wähler pro Mitglied des Parlaments, und die sind dann einfacher zu beeinflussen durch Zuwendungen oder Vergünstigungen", sagt der Vertreter von Democracy Reporting International.

Kuwait anders als Staaten des Arabischen Frühlings

Mit den Umwälzungen des Arabischen Frühlings in anderen Nahost-Staaten hat der Konflikt in Kuwait laut Meyer-Resende und al-Hadban wenig zu tun. Der ölreiche Staat sei keine Diktatur, gegen die eine verarmte und desillusionierte Bevölkerung aufbegehre. "Kuwait ist ein anderer Fall. Die Leute sind relativ wohlhabend und können hier sagen, was sie wollen", betont der kuwaitische Professor. Die Leute hätten vielmehr Angst vor Unruhen wie in Tunesien, Ägypten oder im Jemen.

Meyer-Resende sieht Kuwait als eine Art Halbdemokratie, die sich von den gestürzten Regimen im Orient deutlich unterscheide. "Das ähnelt mehr einem europäischen Staat im 19. Jahrhundert, in dem sich der König mit einem Parlament abkämpft", sagt er. Aber auch am Emir gehe der Ruf nach Veränderung nicht völlig vorbei.

Meyer-Resende rechnet für die Zukunft mit mehr Parlamentsrechten. In den vergangenen Jahrzehnten habe es kleine Fortschritte gegeben. So müsse der Premierminister jetzt nicht mehr der Herrscherfamilie angehören. Außerdem müsse sich auch der Regierungschef den unbequemen Fragen der Abgeordneten stellen. Dieser Prozess könnte sich durch die aktuellen Auseinandersetzungen beschleunigen. Allerdings hänge alles von der weiteren Haltung des Emirs ab.