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Hongkong: Proteste gegen Wahlreform

Hans Spross / sp17. Juni 2015

In Hongkong hat das Parlament mit Beratungen über eine umstrittene Wahlreform begonnen. Die Demokratiebewegung sieht eine wesentliche Forderung nicht erfüllt. Denn Peking will weiterhin massiv mitbestimmen.

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Mit auf Schildern gedruckten Kreuzen demonstrieren Abgeordnete des Hongkonger Parlaments ihre ablehnende Haltung zur umstrittenen Wahlrechtsreform (Foto: REUTERS/Bobby Yip)
Bild: Reuters/B. Yip

Den künftigen Regierungschef soll Hongkong frei wählen dürfen - ausgesucht werden sollen die Kandidaten aber von Peking selbst. Seit Mittwoch berät das aus 70 Abgeordneten bestehende Parlament der chinesischen Sonderverwaltungszone über den Wahlmodus des künftigen Regierungs- und Verwaltungschefs.

Die stellvertretende Regierungschefin Carrie Lam warb zu Beginn der Debatte für das Gesetzespaket, über das am Freitag abgestimmt werden soll. Sollte die Reform scheitern, so Lam, "würde die politische Entwicklung zum Stillstand kommen".

Viele Demokratie-Aktivisten lehnen die Änderungen im Wahlmodus ab. Im Parlament platzierten oppositionelle Abgeordnete Schilder mit Kreuzen als Zeichen ihres Protests gegen die Reformpläne (Artikelbild). Vor dem Parlament versammelten sich hunderte Anhänger beider Lager. Der Abgeordnete Alan Leong rief die Anhänger der Demokratiebewegung auf, "weiter zu kämpfen".

Wochenlange Proteste im Vorfeld

Die nächste Wahl zum Regierungs- und Verwaltungschef Hongkongs steht 2017 an. An der Frage, auf welche Art und Weise der nächste Mann oder die nächste Frau an der Spitze Hongkongs bestimmt werden soll, hatten sich die wochenlangen Demonstrationen und Straßenproteste entzündet, die das öffentliche Leben des fernöstlichen Handels- und Finanzzentrums im vergangenen Herbst teilweise lahmlegten.

Hongkong genießt seit seiner Rückkehr unter chinesische Souveränität im Jahre 1997 weitgehende Autonomie in wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht. Gleichzeitig hat Peking Vorkehrungen dafür getroffen, dass der mit großer Machtfülle ausgestatte Posten des Regierungs- und Verwaltungschefs von einem gegenüber Peking absolut loyalen Politiker der Stadt besetzt wird.

Dafür sorgte bislang zuverlässig das Verfahren, wonach ein aus 1200 Mitgliedern bestehendes Wahlkomitee den Regierungs- und Verwaltungschef wählt. In dem Komitee sitzen Vertreter berufsständischer, gesellschaftlicher und religiöser Gruppen Hongkongs sowie Abgeordnete Hongkongs im Parlament und im chinesischen Volkskongress.

Transparent auf Demonstration für Demokratie in Hongkong (Foto: Getty Images/AFP)
Mehr Wunschdenken als Realität: Die "ganze Hongkonger Bevölkerung" ist laut dem Transparent gegen den Wahlmodus nach Pekinger ArtBild: Getty Images/AFP/D. de la Rey

Unterschiedliche Auslegungen des "Basic Law"

Allerdings sieht das Basic Law, das Hongkonger "Grundgesetz", eine demokratische Weiterentwicklung der Wahl des Regierungschefs vor. So heißt es in Artikel 45: "Die Methode der Auswahl des Regierungschefs soll im Lichte der aktuellen Situation und in Übereinstimmung mit einem graduellen und ordnungsgemäßen Fortschritt konkretisiert werden. Das Endziel ist die Auswahl des Regierungschefs durch allgemeine und gleiche Wahlen ('universal suffrage'), und zwar" - und hier kommt eine entscheidende Qualifikation - "nach seiner Nominierung durch ein weitgehend repräsentatives (broadly representative) Nominierungskomitee im Einklang mit demokratischen Verfahrensweisen."

Seit etwa 2007 verstärkte sich die Forderung der Demokratiebewegung in Hongkong, dass Peking mit der Gewährung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts bei der Wahl des Regierungschefs Ernst machen solle. Die Pekinger Führung legte aber erst Ende August 2014 ihre Entscheidung vor.

Demnach soll der nächste Regierungschef Hongkongs zwar von allen Wahlberechtigten der Sonderverwaltungszone bestimmt werden dürfen. Aber weiterhin soll die Auswahl der Kandidaten einem Komitee wie dem bereits bestehenden vorbehalten bleiben. Dessen Auswahlmöglichkeiten werden jedoch eingeschränkt: Denn von 2017 an müssen "zwei bis drei Kandidaten" durch mindestens die Hälfte der Komiteemitglieder bestimmt werden, nicht wie bisher durch mindestens 150 von 1200.

Polizei mit Spürhunden in Hongkong (Foto: Reuters)
Wenige Tage vor der Abstimmung: Sprengstoff-Funde und zehn "Verdächtige" in Hongkong festgenommenBild: Reuters/T. Siu

Peking wünscht Zustimmung des Hongkonger Parlaments

Dieses neue Verfahren war nun nicht das, was die Hongkonger Demokratie-Aktivisten unter "allgemeinen und gleichen Wahlen" verstehen. Es kam zu den erwähnten Massenprotesten, ohne dass Peking jedoch einlenkte. Peking kann die neue Regelung nicht einfach dekretieren, Hongkongs Parlament muss ihr mit Zwei-Drittel-Mehrheit zustimmen.

Bei 70 Mitgliedern müssten 47 Abgeordnete für den Pekinger Vorschlag stimmen, damit er angenommen wird, höchstens 23 dürften dagegen stimmen. Aber 27 Abgeordnete aus dem demokratischen Lager haben bereits ihre Ablehnung signalisiert. Damit wäre der Gesetzentwurf gescheitert, und das bisher geltende Verfahren würde weiter angewendet.

Obwohl Peking sich mit dem Status quo gewiss arrangieren könnte, ist die chinesische Führung stark daran interessiert, dass es zu einer Abstimmung ihrem Sinne kommt. Eine Ablehnung wäre ein Gesichtsverlust und eine symbolische Niederlage, versucht Peking doch mit allen Kräften, eine gesamt-chinesische "patriotische" Einstellung in Hongkong zu propagieren.

Hongkongs Chief Executive Leung Chun-ying (R) und seine Stellvertreterin Carrie Lam im Herbst 2014 (Foto: Getty Images /AFP)
Gestresst von den Dauerprotesten: Hongkongs amtierender Regierungschef Leung Chun-ying (R) und seine Stellvertreterin Carrie LamBild: AFP/Getty Images/A. Wallace

Benötigt werden vier "demokratische" Stimmen und die des Vorsitzenden

Ende Mai trafen Abgeordnete des demokratischen Lagers zum Meinungsaustausch mit Vertretern Pekings in Shenzhen zusammen, wo es aber zu keiner Annäherung kam. Der Direktor des Amtes für Macao und Hongkong bei der chinesischen Regierung, Wang Guangya, bekräftigte, dass Peking die Wahl eines "in der Wolle gefärbten" demokratischen Politikers zum künftigen Regierungschef Hongkongs keinesfalls akzeptieren könne: "Wenn (solche Leute) zum Regierungschef gewählt würden, wäre das eine Katastrophe für das Land und für Hongkong", sagte Wang vor der Presse.

Der pro-chinesische langjährige Vorsitzende des Parlaments, Jasper Tsang Yok-sing, hat sogar angekündigt, von seinem Posten zurückzutreten, damit er an der Abstimmung teilnehmen und für den Pekinger Vorschlag stimmen kann. Aber selbst mit seiner Stimme müssten mindestens vier Abgeordnete aus dem pro-demokratischen Lager "überlaufen", damit der Pekinger Vorschlag angenommen und eine Blamage für Peking abgewendet würde.

Gebäude der Bank of China, Cheung Kong Center und HSBC und Sitz von Legco bis 2011 (Foto: AFP(Getty Images)
Hongkong alt und neu: Das Gebäude aus der Kolonialzeit war Sitz des Hongkonger Parlaments bis 2011Bild: AFP/Getty Images/M. Clarke

Was die Demokraten bei Annahme des Pekinger Modells befürchten

Das Pro-Demokratie-Lager argumentiert, dass Peking mit seiner Entscheidung vom August 2014 dem Geist und dem Buchstaben des "Basic Law" widerspricht. Eine derart eingeschränkte Vorauswahl von Kandidaten für das Amt des Regierungs-und Verwaltungschefs stehe in eklatantem Gegensatz zur Idee des "allgemeinen und gleichen Wahlrechts". Durch die Festlegung des Nominierungskomitees, was dessen Zusammensetzung und Abstimmungsmodus betrifft, werde es außerdem noch mehr als bisher zu einem bloßen Scheinorgan und Erfüllungsgehilfen der Pekinger Führung, so die Kritiker.

Die dem "Basic Law" zugrundeliegende Idee sei es, dass die Hongkonger Bevölkerung zwar graduell, aber zunehmend mehr über ihre eigenen Angelegenheiten entscheiden könne, nicht nur im Wirtschafts- und Rechtssystem. Die weitere demokratische Entwicklung Hongkongs, wie in Artikel 45 des "Basic Law" eigentlich vorgesehen, werde durch die Entscheidung Pekings über die Wahl des Regierungschefs aber massiv behindert, befürchtet Kommentator Frank Ching von der Hongkonger Zeitung "South China Morning Post." Sollten die Hongkonger Abgeordneten der Entscheidung Pekings zustimmen, würde es kaum noch ein juristisches Argument für weitere politische Reformen der Sonderverwaltungsregion geben, so die Befürchtung.