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Klimakrise: Keine Angst vor der Angst!

20. August 2021

Trauer, Wut, Angst - diese Gefühle hat keiner gerne. Und trotzdem müssen wir sie zulassen, um angesichts der Bedrohungen durch die Klimakrise gesund und handlungsfähig bleiben zu können.

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Deutschland, Potsdam |  Fridays for Future Klimaprotest
Bild: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/picture alliance

Wer hat schon gerne Angst? Oder ist traurig? Wenn möglich, machen wir um solche Gefühle einen großen Bogen. "I want you to panic!", hat Greta Thunberg im Januar 2019 auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos gesagt, als sie über die Klimakrise sprach. Nee, danke, Greta! Was soll Panik denn auch bringen?

Greta bekommt zwar außerordentlich viel Zuspruch, unter anderem von den Politikern und Entscheidungsträgern, die ihr in Davos zugehört haben. Panisch scheint von denen allerdings niemand geworden zu sein. 

In Deutschland beispielsweise klammern sich die Regierungsparteien CDU und SPD an den Kohleausstieg im Jahr 2038 – trotz des gerade veröffentlichten Berichts des Weltklimarates (IPCC), der vor einer beschleunigten Erwärmung warnt. Den 1,5 Grad erhöhter Durchschnittstemperatur, auf die die globale Erwärmung nach dem Pariser Klimaabkommen begrenzt werden soll, nähern wir uns noch schneller als vormals angenommen. Von Panik, Angst oder wenigstens Sorge keine Spur. 

Einige Sprachredaktionen der Deutschen Welle haben ihre Nutzer für diesen Artikel gefragt, wie sie sich fühlen, wenn sie an die Klimakrise denken. Die Kommentare wurden aus den jeweiligen Sprachen (darunter Urdu, Indonesisch und Chinesisch) übersetzt und werden hier in kursiver Schrift oder als Tweet abgebildet. 

Ich fühle mich ein wenig hoffnungsvoll, aber nur ein bisschen. Eigentlich auch ein bisschen traurig, weil diese Krise so betrachtet wird, als gäbe es keine "drohenden Auswirkungen", die man nicht direkt sehen kann. Aber ich glaube, dass wir die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels noch abwenden können, auch wenn dies drastische Änderungen erfordert. (Shannyta Carnadi, Indonesien)

"Es ist egal, was wir denken, denn diejenigen, die etwas tun sollten, denken überhaupt nicht darüber nach." (Md Leton Gazi, Bangladesch)

Große Krise, kleiner Geist?

"Das Wissen um Zahlen heißt nicht automatisch, dass man wirklich versteht, was passiert", sagt der Umweltpsychologe Gerhard Reese. Vielleicht liegt das daran, dass die Menschheit mit einer so allumfassenden, existenziellen Krise noch nie konfrontiert war. Wir haben kein "mentales Skript für diese Krise", sagt Reese.

Der Philosoph Timothy Morton bezeichnet die Klimakrise als ein "Hyperobjekt" – eine Erscheinung, die zu groß und komplex ist, als dass wir sie wirklich begreifen könnten.

Dabei sprechen die wissenschaftlichen Erkenntnisse eine eindeutige Sprache. "Es ist schlimmer, viel schlimmer, als Sie denken", so beginnt der Journalist David Wallace-Wells sein Buch "Die unbewohnbare Erde".

Da die Klimakrise trotz aller vorliegenden wissenschaftlichen Daten und Fakten nicht wie eine Krise, sondern allenfalls wie ein Problemchen behandelt wird, müssen wir davon ausgehen, dass globale Temperatur weiter steigt – laut aktuellem IPCC-Bericht im schlimmsten Fall um 5,7 Grad bis zum Jahr 2100. 

Die Klimakrise ist wie Luft, die man nicht sehen kann, obwohl sie vor unseren Augen ist. (Piyush Aswale, Indien)

 

"Es ist also absolut vernünftig, sich Sorgen zu machen, ja sogar Angst zu haben", schreiben die Psychologen Felix Peter, Katharina van Bronswijk und Bianca Rodenstein in dem Beitrag "Facetten der Klimaangst", der im Rahmen des Sammelbandes "Eco-Anxiety – Zukunftsangst und Klimawandel" erscheinen wird. 

Angst sei ein Signal für Gefahr und führe zu Reaktionen, die Gesundheit  und Überleben sichern sollen, schreiben die Autorinnen. Wer den Tiger für ein Eichhörnchen hält mag zwar kurzfristig angstfreier leben, wird aber auch schneller gefressen. 

Der Klimawandel ist nicht durch die Menschen verursacht. Und die Menschheit kann auch nichts dagegen tun. Lass der Natur ihren Lauf. (Charles, China) 

Ein Problem werde häufig erst dann als Problem wahrgenommen, wenn es uns ganz persönlich betreffe, heißt es in der ersten Folge von "Klima im Kopf", dem Podcast der Psychologists for Future. Zwar sterben auch in Deutschland seit Jahren immer mehr Menschen in Folge extremer Hitze oder anderer Extremwetterereignisse, die durch den Klimawandel häufiger und stärker werden. Doch erst die Bilder der Flutkatastrophe im Juli dieses Jahres schreckten die Öffentlichkeit auf. 

Australien | Buschfeuer bei Nana Glen
Ein Problem wird oft erst dann begreifbar, wenn wir - wie diese Australierin - persönlich betroffen sind Bild: Dan Peled/AAP/dpa/picture alliance

"Mein Eindruck ist, dass sich das Bewusstsein vieler Menschen nach der Hochwasserkatastrophe schlagartig erhöht hat", sagt Lea Dohm, Psychologin, Psychotherapeutin und Mitbegründerin der Klimabewegung Psychologists for Future.

Andere Länder hätten diese Erfahrung schon gemacht, so Dohm. In Australien, wo die jährlichen Buschbrände immer länger und heftiger werden, wurde 2019 der Feuerwehrmann Mick Tisbury mit den Worten zitiert: "Sie werden am Ende des Schlauches keinen Klimawandelleugner finden. Wir wissen, dass die Feuersaison länger und länger und länger andauert." 

Es ist buchstäblich das Ende. Wir stehen am Rande eines weiteren Massenaussterbens. (Saira Bano, Pakistan)

Wir haben es versäumt, der nächsten Generation die Erde so zu übergeben, wie wir sie von der vorherigen Generation erhalten haben. (Liaqat Hussain, Pakistan) 

"Für viele Klimaaktivisten ist Angst eine Motivation sich zu engagieren", weiß Dohm aus der Praxis. Es müsse aber nicht immer Angst sein, auch andere Emotionen regen Menschen zum Handeln an. "Manche werden traurig, angesichts des Waldsterbens zum Beispiel oder auch wütend auf die großen Verschmutzer."

Die Psychologin beschreibt ihre eigene emotionale Lage in dem Buch"Climate Action – Psychologie der Klimakrise" so: "Das Bewusstwerden der Klimakrise hat sich für mich angefühlt wie eine Krebsdiagnose. Das weiß ich, weil ich selbst vor ein paar Jahren mal eine Krebserkrankung überlebt habe." 

Zusammen ist man weniger allein

Angst, Trauer, Wut und Verzweiflung – niemand sehnt diese Gefühle herbei. Doch spätestens, wenn die Wälder und Felder nebenan brennen oder Wassermassen allen Besitz wegspülen sind wir mit diesen Emotionen konfrontiert – und wollen etwas tun.

"Es muss zur Norm werden, sich klimaschonend zu verhalten", sagt der Umweltpsychologe Reese. Nicht nur, um die dramatischsten Folgen der Erderhitzung verhindern zu können. Wir werden uns auch anpassen müssen, an eine Welt, in der bestimmte Kipppunkte überschritten und die Folgen nicht mehr rückgängig zu machen sind.

Klimaschonendes Verhalten stärke außerdem das Gefühl der Selbstwirksamkeit, so Reese. Selbstwirksamkeit meint das Gegenteil von Ohnmacht und Hilflosigkeit: Es ist das Gefühl, schwierige und herausfordernde Situationen aus eigener Kraft zu meistern. "Wir brauchen Anstrengungen auf jeder Ebene", sagt Reese.

Jeder könne auf individueller Ebene etwas tun: sich für das vegane Gericht entscheiden, für das Fahrrad oder den öffentlichen Nahverkehr, für den Ökostromanbieter oder für die Bank, die das Geld nachhaltig anlegt. "Das alleine wird allerdings nicht reichen", sagt Reese.

Die Politik müsse dabei helfen, genau diese Entscheidungen zu erleichtern - etwa durch Umbau der Infrastruktur und Umverteilung milliardenschwerer Subventionen, so Reese. Der Meinung ist auch Lea Dohm: Mit der Bambuszahnbürste gegen die Klimakrise, das sei nicht genug.

"Wir können die Klimakrise besser bewältigen, wenn wir uns in Gruppen zusammenschließen." Nicht nur führe kollektives Handeln eher zu Ergebnissen, so Dohm. "Auch Trauer, Wut oder Angst, sind viel leichter auszuhalten, wenn wir damit nicht allein sind."