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Putins neue Pioniere

Ilya Koval (mo)7. November 2015

In Russland wird wieder eine staatliche Jugendbewegung geschaffen. Beobachter sehen Parallelen zur Sowjetzeit - und betonen, dass die russische Gesellschaft in ihren Wertevorstellungen tief gespalten ist.

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Eine Frau hält die russische Flagge hoch und trägt ein T-Shirt mit dem Portrait von Präsident Wladimir Putin (Foto:
Junge Putin-Anhänger jubeln dem Präsidenten zuBild: picture-alliance/dpa/Kochetkov

"Russische Schüler-Bewegung" - so heißt die in Russland neu geschaffene staatliche Jugendorganisation. Der Tag, an dem der russische Präsident Wladimir Putin sein entsprechendes Dekret herausgab, fiel ausgerechnet auf den Jahrestag der Gründung des Komsomol im Jahr 1918. Viele Strukturen und Ziele der neuen Schülerbewegung erinnern an jene der Jugendorganisation der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, kritisieren Beobachter in Russland.

Als "großes Geschenk am Tag des Leninschen Komsomol" bezeichnete der Parlamentsabgeordnete und prominente Sänger Josif Kobson die Gründung der neuen Bewegung. Er habe den Präsidenten mehrfach darum gebeten, eine Organisation zu schaffen, "die unsere Kinder kontrolliert und erzieht".

Formal gegründet wird die neue Schülerbewegung von der Föderalen Agentur für Jugendfragen. Deren Leiter, Sergej Pospelow, erklärte in den russischen Medien, der Präsident unterstütze mit seinem Dekret eine an ihn gerichtete Bitte der Fraktionsführer in der Staatsduma. Die russische Regierung wird in nächster Zeit eine Liste mit Immobilien und weiteren Objekten erstellen, die der neuen Jugendorganisation übergeben werden sollen. Finanziert werden soll sie aus dem Staatsbudget. Bildungsminister Dmitrij Liwanow sagte vor Journalisten, die neue Bewegung werde eine entscheidende Rolle bei der Erziehung der Schüler spielen.

Der Sänger Josif Kobson (Foto: EPA/DUMITRU DOR)
Der Sänger Josif Kobson propagiert bis heute kommunistische IdeenBild: picture-alliance/dpa/D. Doru

"Russlands Werte sollen gefördert werden"

Putins Dekret sieht vor, dass die neue Organisation die staatliche Politik im Bereich der Ausbildung der jungen Generation verbessern, sowie die Persönlichkeitsbildung gemäß der Werte fördern solle, die der russischen Gesellschaft eigen seien.

Doch es gebe keinen gesellschaftlichen Konsens über diese Werte, sagt Irina Prochorowa, Chefredakteurin der Literaturzeitschrift "Nowoje literaturnoje obosrenije". Sie moderiert beim russischen TV-Sender RBK eine Sendung, die das Wertesystem Russlands zum Thema hat. Da die neue Jugendorganisation an sowjetische Verbände erinnere, habe sie viele Gegner, gibt sie zu bedenken. Die kommunistischen Organisationen seien von einer "Militarisierung des Bewusstseins, Überwachung und fehlender Selbstverwirklichung" gekennzeichnet gewesen. Dem Lebensstil der Menschen seien damals sehr enge Grenzen gesetzt worden, sagt die russische Journalistin der DW.

Eine Bewährungsprobe für die Gesellschaft

Aus ihrer Sicht folgt die neue Jugendorganisation der gegenwärtigen Politik der russischen Führung: "Jetzt, wo die Schrauben wieder fester angezogen werden, sieht das stark nach dem Versuch aus, junge Menschen wieder unter Kontrolle zu bringen." So eine Organisation sei im Grunde genommen "ein Eingeständnis, dass man unfähig ist, mit der Jugend zu arbeiten".

Portrait von Irina Prochorowa (Foto: ITAR-TASS / Valery Sharifulin)
Irina Prochorowa sieht die Selbstverwirklichung der Jugendlichen in GefahrBild: picture-alliance/dpa

Prochorowa räumt aber ein, dass es in Russland auch Befürworter der neuen Schülerbewegung gibt, die meinen, in einer solchen Organisation würden Jugendliche "zumindest erzogen". Es gebe Eltern, die bewusst die Verantwortung für die Erziehung ihrer Kinder abgeben wollten. "So etwas frustriert mich am meisten", sagte sie. Zudem befürchtet Prochorowa, dass den Jugendlichen in der neuen Organisation "wieder Ideologien eingebläut" würden. Deswegen sei die neue Schülerbewegung eine große Bewährungsprobe für die russische Gesellschaft. Ihr Erfolg werde weitgehend von den Menschen selbst abhängen, vor allem von den Eltern: ob sie die Organisation unterstützen oder sich ihr widersetzen werden.

"Russland wendet sich der Vergangenheit zu"

Zu den Gegnern von Putins Jugendbewegung gehört auch der bekannte russische Publizist und Schriftsteller Viktor Schenderowitsch. Auch er betont, dass von einem einheitlichen Wertesystem innerhalb der russischen Gesellschaft keine Rede sei. "Bei Dutzenden Millionen von Russen besteht das Bedürfnis nach europäischen Werten. Diese Nachfrage wird aber zurückgewiesen. Andererseits gibt es bei Dutzenden Millionen von Russen ein Bedürfnis nach Werten aus der Sowjetzeit. Dies wird wiederum begrüßt", betont Schenderowitsch im Gespräch mit der DW. Ihm zufolge wird die Nachfrage nach Organisationen sowjetischen Typs vom Kreml bewusst verstärkt.

Portrait von Viktor Schenderowitsch (Foto: DW)
Viktor Schenderowitsch: Russen zwischen europäischen und sowjetischen Werten gespaltenBild: DW/O. Kapustina

Die neue Jugendorganisation bedeute, dass sich das Land der Vergangenheit zuwende. Er geht allerdings davon aus, dass innerhalb der neuen "Russischen Schülerbewegung" eher eine Art "putinistisches Wertesystem" vermittelt werden solle. "Das einzige, wozu Putin fähig ist, ist eine Kasernierung der Gesellschaft", kritisiert der Schriftsteller.