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Mali

Dirke Köpp4. Juni 2012

Das einst als so demokratisch gelobte Mali gerät nach dem Militärputsch immer tiefer in die Krise. Die neue Regierung in Bamako ist passiv, im Norden gewinnen Tuareg-Rebellen an Boden.

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Bewaffnete Rebellen von einer islamistischen Gruppe in Mali "Ansar Dine" (Foto: AP/dapd)
Bild: dapd

Timbuktu – die wohl berühmteste Stadt Malis – ist längst in den Händen der Rebellen. Ebenso die weniger bekannten Städte Gao und Kidal. Nun stehen Tuareg-Rebellen und Islamisten kurz vor Mopti. Die Stadt war einst ein beliebtes Touristenziel in Zentral-Mali und wurde wegen der vielen Wasserstraßen auch das "Venedig" Malis genannt. In den bereits eroberten Gebieten leiden die Bewohner unter dem islamischen Gesetz, der Scharia: Bars und Live-Musik sind nicht erlaubt, Frauen müssen sich verschleiern, bei Diebstahl darf als Strafe die rechte Hand abgehackt werden. Schon werden Befürchtungen laut, Mali werde zu einem afrikanischen Afghanistan, das nicht mehr zu retten ist.

Aber an eben diesem Punkt, der Scharia, hakt es derzeit bei der geplanten Fusion der Tuareg-Organisation MNLA – der "Nationalen Bewegung für die Befreiung des Azawad" – und der radikal-islamischen Gruppe Ansar Dine, die vom Terror-Netzwerk "Al-Qaida im Maghreb" (Aqmi) unterstützt wird. Denn da die MNLA nicht religiös orientiert ist, lehnt sie die Einführung der Scharia ab. Ende vergangener Woche wurden die Verhandlungen zwar mal wieder für gescheitert erklärt, gingen aber dennoch am Wochenende (02./03.06.2012) weiter.

Tuareg wollen unabhängigen Staat

MNLA-Vertreter Colonel Ag Bouna bestritt, dass die Gespräche jemals wirklich unterbrochen wurden und spielte mit den Worten: "Es ging nur um ein Protokoll, dem die MNLA nicht zustimmt", sagte er der DW. "Die MNLA möchte einen demokratischen Staat, während Ansar Dine einen islamischen Staat möchte. Und derzeit sind eben beide Bewegungen dabei, eine Einigung zu finden."

--- DW-Grafik: Peter Steinmetz
Die Tuareg-Organisation MNLA plant eine unabhängige Region namens Azawad.Bild: DW

Die Tuareg kämpfen für Autonomie im Norden des Landes und wollen einen eigenen Staat, den sie Azawad nennen. Rund 1,5 Millionen Menschen zählt die Volksgruppe, die in mehreren westafrikanischen Ländern beheimatet ist. Doch sie ist nicht die einzige, die im Norden Malis lebt: Es gibt auch Peulh, Songhai und andere Gruppen, die sich den Zielen der Tuareg nicht unbedingt anschließen. Deshalb braucht die MNLA die Unterstützung von Ansar Dine. Die Radikal-Islamisten wiederum brauchen die MNLA, um nicht nur als verlängerter Arm von Aqmi zu gelten.

Regierung schaut Eroberung des Nordens tatenlos zu

Ihre Verhandlungen können die beiden Gruppen nahezu ungestört führen – denn die Regierung in Mali ist mit sich selbst beschäftigt und Übergangspräsident Traoré nach einem Angriff in einem Pariser Militärkrankenhaus. Seit dem Militärputsch vom 22. März dieses Jahres, bei dem der frühere Präsident Amadou Toumani Touré (ATT) abgesetzt wurde, weiß keiner genau, wer eigentlich das Sagen hat: die Ex-Putschisten und ihr Führer Amadou Haya Sanogo oder die Übergangsregierung mit Premier Cheikh Modibo Diarra und dem abwesenden Staatschef Dioncounda Traoré.

Übergangspräsident Dioncounda Traore bei seiner Amtseinführung. (Foto: REUTERS/Malin Palm)
Übergangspräsident Dioncounda Traoré wurde bei Protesten verletztBild: Reuters

Charlotte Heyl, Mali-Expertin am Afrika-Institut des Leibniz-Institutes für Globale und Regionale Studien in Hamburg, kurz: Giga, bewertet die Lage des westafrikanischen Staates als dramatisch: "Ich denke, dass Mali in einer sehr schweren Krise ist, sicher der schwersten seit der demokratischen Transition", sagt sie und fügt hinzu: "Ich finde es sehr beunruhigend, dass sich immer noch kein klarer Fahrplan in Bamako ergeben hat." Unabhängig von einer militärischen Intervention durch die westafrikanische Regionalorganisation Ecowas sollte die Regierung in Bamako so schnell wie möglich Gespräche mit den Aufständischen im Norden führen, um die Krise zu beenden, so Heyl.

Wer ist der richtige Gesprächspartner?

Alassane Diarra, Politik-Journalist bei der malischen Tageszeitung "L'Indépendant" erläutert, dass die Regierung in Bamako seiner Meinung nach das Gespräch mit Ansar Dine suchen müsse: "Ansar Dine setzt sich im Unterschied zur MNLA nicht für eine Spaltung des Landes ein. Während die MNLA nach Angriffen ihre eigene Flagge hisst, hält Ansar Dine die malische Flagge hoch." Er gibt auch zu bedenken, dass die Unabhängigkeitsbestrebungen der MNLA nicht nur Mali, sondern die gesamte Region in die Krise führen könnten – da die Ziele der Bewegung über Mali hinausgingen: "Die MNLA will die Unabhängigkeit für das gesamte Volk der Region, die sie Azawad nennt. Diese Region aber beschränkt sich nicht auf Mali – sondern schließt auch den Niger, Burkina Faso und Algerien ein."

Verschleierte Frau in Mali mit ihrem Sohn (Foto: picture alliance / Godong)
Eine verschleierte Frau in Mali - die Islamisierung schreitet voranBild: picture alliance/Godong

Er fürchtet die Gefahr eines Flächenbrandes. Je mehr aber der einst so stabile Staat Mali zerfällt und die Krise auf die Region übergreift, desto mehr Gelegenheit haben Kriminelle und Terroristen, ihr Unwesen zu treiben: Drogenhandel, Waffenschmuggel, Entführungen.

Ein neues Somalia?

Bernard Lugan, Historiker und Afrika-Spezialist aus Frankreich, erinnert zudem daran, dass es selbst in Mali nicht nur ein Azawad gebe, sondern gleich drei: "Es gibt das Tuareg-Azawad im Nordwesten des Niger, das maurische Azawad im Westen des Niger und das Niger-Azawad, das die verschiedensten Flussanrainer umfasst." Selbst eine Region oder Provinz Azawad wäre also in drei Unter-Provinzen eingeteilt. Und das wäre im weitesten Sinne eine weitere Aufsplitterung des Landes.

Bewaffnete Tuareg-Kämpfer auf ihrem Pick-up (Foto: picture-alliance/Ferhat Bouda)
Tuareg-Kämpfer nehmen mehr und mehr Gebiet im Norden Malis einBild: picture-alliance/Ferhat Bouda

Dennoch hält Charlotte Heyl von Giga die Befürchtung, Mali werde sich zu einem neuen Somalia entwickeln, für verfrüht: "Mali hatte jetzt 20 Jahre lang stabile Verhältnisse, es gab demokratische Institutionen, bestimmte Praktiken hatten sich eingespielt, die nicht von einem Tag auf den anderen völlig verloren sind." Aber natürlich sei es beunruhigend, dass die Regierung in Bamako blockiert sei und nicht mit den verschiedenen Gruppen im Norden verhandelt würde. "Aber ich würde Mali trotzdem noch nicht als verlorenes Land, als neues Somalia betrachten", so die Wissenschaftlerin.