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QAnon ohne Donald Trump - eine deutsche Nahaufnahme

Esther Felden | Anne Höhn | Lewis Sanders IV | Jordan Wildon
19. Januar 2021

Wie gefährlich die Verschwörungstheorie QAnon ist, hat der Sturm auf das US-Kapitol gezeigt. Auch in Deutschland gibt sich die Q-Bewegung kämpferisch - und hält an Donald Trump fest. Eine DW-Recherche.

https://p.dw.com/p/3o7Ml
QAnon-Anhänger vor dem Brandenburger Tor in Berlin. Im Vordergrund eine Reichskriegsfahne: darauf ein Foto von Donald Trump, daneben ein großes "Q" und der Schriftzug WWG1WGA
Bild: Kay Nietfeld/picture alliance/dpa

Das "Danke" der Frau hat insgesamt sieben A‘s. Sie ist bewegt, begeistert, beseelt von dem Mob, der sich gerade in Washington formiert, um wenig später das Kapitol zu stürmen

"Sie kämpfen vor dem Capitol FÜR UNS ALLE! WAS FÜR MUTIGE MENSCHEN!

DAAAAAAANKESCHÖN!" Dahinter drei rote Herz-Emojis.

Es ist der 6. Januar 2021, 19:31 Uhr deutscher Zeit. 

Eine Nachricht, gepostet in der deutschen Gruppe "Q Patrioten 24!!". Die DW beobachtet diese Gruppe, die sich über den beliebten Messenger-Dienst Telegram organisiert und austauscht, schon seit mehreren Monaten.

Hier schreiben glühende Trump-Anhänger. Sie glauben daran, dass ihr Idol bei der Präsidentschaftswahl im November um den Sieg betrogen wurde – durch eine in ihren Augen pädophile Politelite, die Fake News-Medien und korrupte Wirtschaftsbosse. Der Kern der QAnon-Verschwörungstheorie.

Gedanken zu Patriotismus und Verrat

"Wahre Patrioten, die sich nicht ihr Land nehmen lassen", jubelt ein Mitglied beim Anblick der Menschenmassen vor dem Kapitol. In den folgenden Stunden werden immer wieder euphorisch Fotos und Video-Clips geteilt. 

"Das Volk will Trump und nicht Biden!"

Der nächste Morgen. Vier Menschen sind tot. Später wird noch der Tod eines Polizisten bestätigt. Bei den "Q Patrioten 24!!"  ist es auffällig still. Am Mittag dann eine Audiobotschaft an die Gruppe. 17 Minuten gesammelte Gedanken. Keine Reue. 

Screenshot vom 7.1., gepostet von einem der Administratoren. Darin die Botschaft: Der Wahlbetrug in den USA ist ein Putsch der dringend und sofort Konsequenzen haben muss. Biden ist nicht rechzmäßig gewählt. Notstand!! Kriegsrecht!! Hochverräter einsperren!! Auch in Deutschland!!
Einer der Administratoren postet am 7. Januar diese Nachricht in die GruppeBild: Telegram/QPatrioten24

Mit ruhiger und tiefer Stimme spricht der Mann, dessen Identität der DW bekannt ist. Im Chat nennt er sich ‘Connectis‘, im wahren Leben ist er höchstwahrscheinlich Geschäftsführer einer Immobilienfirma in der Nähe von Berlin. Connectis ist einer der Administratoren der Gruppe – und der aktivste.

Er redet vom "Showdown", vom "Finale", das jetzt beginne, vom "größten Diebstahl einer Wahl in der Menschheitsgeschichte". Joe Biden, das sei ein Verbrecher, der niemals Präsident werde. Dafür würde "nicht nur Trump sorgen", sondern auch "andere Patrioten, die wir auch im Militär finden".

Immer wieder geht es um "Verrat" am Präsidenten. Um mutmaßliche Beweise gegen Trumps Gegner, die nun "komplett vervollständigt" seien. Konkreter wird Connectis aus dem deutschen Bundesland Brandenburg nicht.

"Q Patrioten 24!!": Klein, aber tief vernetzt in der Szene

Mit mehr als 2700 Mitgliedern zählen die "Q Patrioten 24!!" nicht zu den großen Q-Telegram-Gruppen in Deutschland und nehmen im Gesamtspektrum der Szene einen Platz am Rand ein. Unter den kleineren Gruppen gehören sie aber zu den stärksten. Sie sind sehr aktiv, und sie wachsen weiter. Allein in den letzten drei Tagen vor Veröffentlichung dieser DW-Recherche kamen 100 neue Mitglieder hinzu.

Etwas mehr als die Hälfte aller Mitglieder schreiben aktiv mit im Chat: Neben Donald Trump und der Wahl in den USA diskutiert die Gruppe vor allem zwei weitere Themen: Mitglieder leugnen die Corona-Pandemie und wettern gegen die Impfkampagne. Auch antisemitische Inhalte tauchen öfter auf.  

Demonstranten auf den Stufen des Reichstags am 29. August 2020
29. August 2020: der versuchte Sturm auf den Reichstag während einer Demonstration gegen die staatlichen Corona-MaßnahmenBild: JeanMW/imago images

Ihren Postings zufolge beteiligen sich einige der "Q Patrioten 24!!” an Protesten gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Auch während der versuchten Erstürmung des Reichstagsgebäudes Ende August 2020 waren Mitglieder vor Ort in Berlin, darunter offenbar Connectis. Das legen Videos und andere Inhalte nahe, die der Administrator an diesem Tag in die Gruppe schickt.    

Die QAnon-Bewegung scheint in der Mitte der Gesellschaft angekommen zu sein. DW-Analysen zufolge deckt die untersuchte Gruppe ein breites gesellschaftliches Spektrum ab. Zu den Mitgliedern zählen Geschäftsleute, Mittelständler und Bankangestellte. Aber auch Schauspieler und spirituelle Trainer. Es sind ungefähr gleich viele Frauen vertreten wie Männer.

Die "Q Patrioten 24!!" haben Inhalte von mehr als 300 QAnon-nahen anderen Telegram-Gruppen in Deutschland in ihrem Chat geteilt. Außerdem sind sie mit fast 5000 Telegram-Gruppen vernetzt, allesamt aus dem Spektrum der Verschwörungstheoretiker und Corona-Skeptiker sowie aus dem rechtsextremen Umfeld.

 

Grafik Übersicht der Qanon Telegram Community
Diese Netzwerkanalyse zeigt die Nähe der Q-Patrioten zu besonders großen deutschen Q-Gruppen (eingekreist) und Verschwörungs-Influencern auf Telegram. Jeder Punkt steht für eine Gruppe, jede Linie für weitergeleitete Nachrichten zwischen ihnen

Auch einige der prominentesten deutschen Verschwörungstheoretiker und rechten Influencer haben Inhalte aus der Gruppe weiter geteilt. Zum Beispiel Eva Herman, früher eine bekannte Nachrichtensprecherin der ARD-Tagesschau. Insgesamt haben Nachrichten aus dem Chat der eher kleinen Gruppe "Q Partrioten 24!!" so geschätzt bis zu 200.000 Personen erreicht.

QAnon in Deutschland: eine Bewegung mit Sogwirkung

In Deutschland ist QAnon innerhalb weniger Monate stark gewachsen. Vor 2020 war sie nicht mehr als ein Nischenphänomen. Heute ist die deutsche Community die größte außerhalb des englischsprachigen Raums. 

Deutschland Berlin Protest gegen Corona-Maßnahmen
Gleich stark vertreten: Frauen und MännerBild: Reuters/A. Schmidt

"Die (Corona-)Pandemie erzeugt eine Unsicherheit wie sie die meisten Menschen noch nie erlebt haben. Die Verschwörungserzählung bietet ihnen ein Gefühl der Kontrolle und wirkt sinnstiftend", erklärt QAnon-Expertin Simone Rafael von der Amadeu Antonio Stiftung in Berlin. Besonders attraktiv sei das Mitmach-Element: "Es ist quasi eine Open Source-Verschwörung." Jeder soll recherchieren und interpretieren und so immer tiefer eintauchen.

Der in Dubai ansässige Messenger-Dienst Telegram ist dabei besonders beliebt, denn hier werden selbst extreme Meinungen nur sehr selten geahndet.

Einer der größten deutschen Q-Kanäle auf Telegram hatte Mitte März 2020 rund 21.000 Abonnenten. Drei Monate später waren es bereits über 111.000. Stand heute: knapp 164.000. Die Amadeu Antonio Stiftung schätzt die Zahl der deutschen Q-Unterstützer aktuell auf mindestens 150.000 - Tendenz steigend.

Auf den Punkt - QAnon: Wie gefährlich sind Verschwörungsmythen?

Offizielle Zahlen liegen nicht vor. Es gebe eine "Vielzahl von Homepages, Blogs und YouTube-Kanälen, deren Reichweite aber weder zu quantifizieren noch zu qualifizieren ist", so eine Sprecherin des Bundesamtes für Verfassungsschutz gegenüber der DW.

Die Q-Verschwörungstheorie bietet ihren Anhängern klare Feindbilder und erhebt sie zu Kämpfern gegen das Böse. Hinter allem steht das Phantom "Q". Der anonyme Q soll angeblich ein hoher US-Regierungsangestellter im Energieministerium sein - mit direktem Zugang zu Donald Trump. 

Seit 2017 veröffentlicht er im Internet kryptische Botschaften – sogenannte Q-Drops. Knapp 5000 sind es mittlerweile. Für die Community sind sie so etwas wie Bibel-Verse, die es zu analysieren gilt. 

Seit dem 8. Dezember hat Q sich nicht mehr zu Wort gemeldet. Auch nicht nach dem Sturm auf das Kapitol. 

"Alles läuft nach Plan" 

Bei den "Q Patrioten 24!!" stellen die Ereignisse von Washington das Vertrauen einiger Anhänger auf die Probe. Am 9. Januar, drei Tage nach der Erstürmung des Kapitols, schreibt ein Mitglied:

"Ich glaube, wir haben auf breiter Front verloren, sorry, ich sehe kein Licht am Ende des Tunnels."

QAnon-Anhänger im Mai 2020 in München mit selbstgebasteltem Alugut, die Spitze des Hutes ist ein "Q"
Der sogenannte "Aluhut" gilt als Symbol für Anhänger von VerschwörungstheorienBild: picture-alliance/Zuma/S. Babbar

Doch Zweifel werden in der Gruppe nicht toleriert. Es gibt nur schwarz und weiß in dieser Telegram-Blase. Man ist entweder Trump-Befürworter oder Q-Abtrünniger:

"Spreu von Weizen trennen, jetzt hat sich jeder geoutet: Patriot oder Verräter. Jetzt wird der Sockel der Pyramide abgetragen. Alles läuft nach Plan!"

Kein Kommentar von Connectis

Gruppen-Administrator Connectis befeuert diese Überzeugung. 

Am 16.01 postet er nachts um kurz vor drei Uhr seine bislang letzte Audiobotschaft: Erwartungen für das vermeintlich kurz bevorstehende große Finale. "Am 20. oder um den 20. herum" würde demnach "das Geschehen seinen Lauf nehmen".  

Das für die Amtseinführung in Washington versammelte Militär könnte "Biden festnehmen und dafür sorgen, dass es reibungslos verläuft". Und Trump "macht seine Party währenddessen, weil er weiß, was passiert".

Für Connectis muss Donald Trump am Ende der Sieger sein. Auf welchem Weg auch immer: "Es wird aus meiner Sicht gar keine andere Möglichkeit geben."

Verschwörungsmythos QAnon | Q in farben der Reichsflagge
QAnon: Zweifel sind nicht vorgesehenBild: JeanMW/Imago Images

Die Deutsche Welle hat den Geschäftsmann hinter dem Alias telefonisch und schriftlich kontaktiert und ihm Fragen zu QAnon und seiner Rolle in der Gruppe gestellt. Am Telefon war Connectis sichtlich überrascht und erbat schriftliche Fragen, die in die Gruppe zu posten seien. Die darauf folgende Email der DW an seine Geschäftsadresse ließ er unbeantwortet.

Ein Fall für den Verfassungsschutz?

Im Jahr 2019 veröffentlichte das US-amerikanische Nachrichtenportal Yahoo! ein internes FBI-Dokument. Darin wird QAnon als inländische Terrorgefahr mit Gewaltpotenzial bezeichnet. Eine entsprechende offizielle Einschätzung von Seiten der amerikanischen Sicherheitsdienste gibt es allerdings bis heute nicht.

Auch Deutschland tut sich schwer in diesem Punkt. Trotz wachsenden Drucks auf die Behörden ist QAnon bislang kein offizieller Beobachtungsfall für den Verfassungsschutz, den Inlandsgeheimdienst der Bundesrepublik. Die Sicherheitsbehörden zögern – obwohl es aus der Bewegung bereits direkte Aufrufe zur Gewalt gab. Auch bei den "Q Patrioten 24!!" finden sich derartige Postings: 

Telegram Screenshot Chat der QAnon Gruppe "QPatrioten24"
Bild: Telegram/QPatrioten24

Was also, wenn die Entwicklung in den USA Nachahmungstäter in der Bundesrepublik auf den Plan ruft? Deutschland befindet sich im Superwahljahr, in sechs Bundesländern stehen Landtagswahlen an, dazu kommt im September die Bundestagswahl. 

Ereignisse wie die vom 6. Januar seien für die Sicherheitsbehörden "immer Anlass, Reaktionen in sozialen Netzwerken zu beobachten und zu analysieren", heißt es auf DW-Anfrage vom Innenministerium des bevölkerungsreichsten deutschen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen. 

Noch gebe es zwar "keine konkreten Hinweise auf Nachahmungstaten". Dennoch sehe man durch die "anwachsende Regierungsfeindlichkeit insbesondere der Corona-Leugner und die andauernden Versuche von Rechtsextremisten, die Proteste für eigene Zwecke zu instrumentalisieren" die Gefahr einer zunehmenden Radikalisierung. 

Deutschlands Verfassungsschützer haben inzwischen eine Arbeitsgruppe eingerichtet, "in der wir die Verfassungschutzrelevanz von Verschwörungstheorien und auch die Protestbewegung gegen die Corona-Maßnahmen intensiv beobachten".