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Rückenwind für EU-Mercosur-Abkommen?

Alexander Busch
29. Juni 2020

Mit Deutschlands EU-Ratsvorsitz ab 1. Juli soll auch das EU-Mercosur-Handelsabkommen vorankommen, so hoffen seine Befürworter. Doch die Chancen scheinen derzeit gering. Alexander Busch aus Salvador, Brasilien.

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Demo gegen Mercosur Agreement
Protest gegen das EU-Mercosur-Abkommen in Straßburg im Juli 2019Bild: DW/M. Banchon

Rund 60 Nichtregierungsorganisationen haben am Montag zum Protest gegen das EU-Mercosur-Abkommen vor dem Bundeskanzleramt aufgerufen. Vergangene Woche reichten fünf europäische Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen beim Ombudsman der EU einen Antrag auf einen Stopp des Ratifizierungsprozesses ein.

Der Grund für die Mobilisierung: Die zivilen Verbände wollen den Druck gegen das Abkommen erhöhen, weil Deutschland am 1. Juli die Ratspräsidentschaft der EU übernimmt. Denn Deutschland will das Handelsabkommen mit den Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay vorantreiben. Das hat Bundeskanzlerin Angela Merkel mehrfach öffentlich erklärt. Auch im Auswärtigen Amt in Berlin hofft man, dass das Abkommen weiterkommen könnte im Ratifizierungsprozess. Die Mercosur-Staaten seien wirtschaftlich und geopolitisch ein wichtiger Partner der EU, heißt es im Auswärtigen Amt. Den wolle man auf jeden Fall stärken.

Frankreich | Mercosur  Freihandelsabkommen | Protest
Landwirte sind schon lange gegen das Abkommen - Französische Bauern 2018 in Clermont-FerrandBild: picture-alliance/dpa/MAXPPP/F. Campagnoni

Das Abkommen müssen alle 27 Mitgliedsstaaten sowie das EU-Parlament verabschieden. Doch die Chancen dafür stehen im Moment schlecht. Denn bereits drei europäische Parlamente haben angekündigt, dass sie dem Abkommen nicht zustimmen werden: die Volksvertretungen von Österreich, den Niederlanden und Wallonien in Belgien. Ihre Argumente sind die gleichen wie die der Nichtregierungsorganisationen.

Bauern fürchten Einbußen und fehlenden Umweltschutz

Vor allem Brasilien unter Präsident Jair Bolsonaro steht im Zentrum der Kritik. Einerseits werde der Umwelt- und Amazonasschutz in den Verträgen nicht genügend berücksichtigt. Es fehlten Sanktionsmechanismen, wenn etwa Brasilien nichts gegen die zunehmenden Amazonasbrände unternehme oder Bergbaukonzernen erlaube, in Indigenen-Reservaten zu schürfen. Die Gegner des Abkommens führen auch die Attacken der amtierenden Regierung gegen den Rechtsstaat, Menschenrechte und die Demokratie an.

Andererseits stören sich europäische Landwirte und Verbraucher an den höheren Quoten für Agrarimporte aus Südamerika, die das Abkommen vorsieht. Sie monieren auch geringere Standards für den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln sowie die Zerstörung von Naturräumen durch Großfarmer. Die Agrarlobbys ziehen am gleichen Strang. Frankreich, Irland und Wallonien befürchten, dass die eigenen Landwirte Einbußen erleiden, wenn südamerikanische Farmer ohne Zölle nach Europa exportieren können. Vor allem Rinderzüchter üben massiven Druck aus, um das Abkommen zu stoppen.

Amazonas Rodung Kahlschlag Regenwald Vernichtung
Für Brasiliens Präsident Bolsonaro eine interne Angelegenheit: die oft absichtlich gelegten AmazonasbrändeBild: picture-alliance/dpa/Wildlife/M. Edwards

Industrievertreter in Europa befürchten, dass die Verhandlungen niemals abgeschlossen werden, wie einst für TTIP, das umstrittene Transatlantische Freihandelsabkommen mit den USA.

Profitversprechen für Europas Industrie

Das EU-Mercosur-Abkommen würde mit 780 Millionen Konsumenten den größten Markt der Welt schaffen, mit rund einem Viertel der weltweiten Wirtschaftsleistung. Der Deal wäre der wirtschaftlich bedeutendste, den die EU bislang abgeschlossen hat. Für europäische Unternehmen öffnete sich in Südamerika ein Markt mit 260 Millionen Konsumenten. Gerade die deutsche Industrie würde stark profitieren, wenn Exporte in die Mercosur-Staaten erleichtert wären. Die bislang hohen Einfuhrzölle etwa auf Autos, Maschinen oder Chemieprodukte sollen schrittweise abgeschafft werden. Die Unternehmen würden allein dadurch rund vier Milliarden Euro pro Jahr sparen.

Auf die Widerstände in den EU-Staaten könnte die EU mit Zusatzvereinbarungen außerhalb des eigentlichen Vertrages reagieren. Beim CETA-Abkommen mit Kanada wurden 2016 wichtige Auslegungsfragen in einer separaten politischen Erklärung festgehalten. Dies könnte zum Muster für das Mercosur-Abkommen werden.

Doch die Zeit wird knapp: Der umfangreiche Handelsvertrag wird derzeit rechtlich feingeschliffen und in sämtliche EU-Amtssprachen übersetzt. Frühestens Ende des Jahres, vermutlich eher Mitte 2021, könnte der Vertrag zur Abstimmung vorgelegt werden. Doch ob die EU neben den Verhandlungen zum Brexit dafür noch Kapazitäten freihalten kann, ist zweifelhaft.

Argentinien bremst Euphorie

Auch in Südamerika ist die anfängliche Euphorie einer neuen Nüchternheit gewichen: Argentinien führt unter der Mitte-Links-Regierung von Alberto Fernández gerade Preis-, Devisen-, Handels- und Kapitalkontrollen ein, welche dem Freihandel diametral entgegenstehen. Brasilien hat verkündet, dass man sich nicht am langsamsten Partner orientieren solle, sondern notfalls auch ein flexibles Ratifizierungsmodell anwenden könnte. Danach könnten die vier Mercosur-Staaten das Abkommen unterschiedlich schnell umsetzen.

Der brasilianische Wirtschaftsminister Paulo Guedes sieht das Abkommen als Katalysator für Reformen in Brasiliens Volkswirtschaft. Brasilien hofft, seine Ausfuhren nach Europa bis 2035 auf 100 Milliarden US-Dollar mehr als verdoppeln zu können. Ohne Freihandel kann das nicht gelingen.