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Literatur

Warum der Robinson-Crusoe-Tag nicht nur Grund zum Feiern ist

Gaby Reucher
1. Februar 2017

Der Traum von der einsamen Insel? Die Geschichte von Robinson Crusoe prägt diese Vorstellung bis heute. Am 1. Februar wird an die Romanfigur erinnert. Eine Gelegenheit, sich auch kritisch mit ihr auseinanderzusetzen.

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Robinson Crusoe
Bild: picture alliance/Mary Evans Picture Library

Zwischen dem englischen "Ändere-dein-Passwort-Tag" und dem "Omelette-Surprise-Tag" steht am 1. Februar in den Kalendern für "kuriose Feiertage" auch der "Robinson-Crusoe-Tag". Warum der Titelheld des gleichnamigen Romans von Daniel Defoe aus dem 18. Jahrhundert in diesem Umfeld gelistet ist, sorgt für Verwunderung.

"Das ist nicht kurios, sondern zeugt davon, dass der Inhalt des Romans relativ wenig aufgearbeitet wurde", sagt die Ethnologin und Literaturwissenschaftlerin Susan Arndt, die an der Universität Bayreuth lehrt und sich ausführlich mit dem Thema Rassismus in der englischen Literatur beschäftigt hat. "Eigentlich muss man sich die Frage stellen, wie in diesem Roman das Gewaltsystem und die Versklavung total verharmlosend dargestellt werden."

Die Vorlage für Robinson Crusoe

Insel Mas a Tierra, auch als Robinson-Insel bekannt Flash-Format
Die Insel Mas a Terra, auch als Robinson-Insel bekannt. Hier strandete Alexander Selkirk.Bild: picture alliance/dpa

Der Gedenktag wurde 1999 von den Herausgebern des "Chase's Calendar of Events", einem internationalen Standardwerk für kuriose Feier- und Gedenktage ins Leben gerufen. Damit will der Verlag an Alexander Selkirk erinnern, einen Seefahrer, der Anfang des 18. Jahrhunderts auf einer Insel ausgesetzt wurde. Dank Trinkwasser und Lebensmittelvorräten, Gewehr und Kochgeschirr konnte er über vier Jahre lang überleben, bis er am 1. Februar 1709 gerettet und nach England zurück gebracht wurde.

Dort griff ein Journalist seine Geschichte auf. In der Literaturwissenschaft geht man davon aus, dass dieser Artikel 1719 die Grundlage für Daniel Defoes berühmten dreiteiligen Abenteuerroman gewesen ist, an dessen Ende Robinson Crusoe auf einer vermeintlich einsamen Insel strandet und dort seinen Weggefährten "Freitag", einen Schwarzen, trifft. Defoes Werk gilt als Klassiker der Abenteuerliteratur. Nach ihm wurde der Begriff der sogenannten "Robinsonade" geprägt, der für Geschichten steht, in denen Menschen auf einsamen Inseln stranden.

Wie uns kolonialistische Fantasien prägen

Susan Arndt Professorin für englische und afrikanische Literaturen an der Universität Bayreuth
Susan Arndt hat Robinson Crusoe analysiertBild: Susan Arndt

In ihrem Buch "Rassismus – die 101 wichtigsten Fragen" beschreibt Susan Arndt, dass sie ihre Studierenden gerne auffordert, die Augen zu schließen und sich eine Insel vorzustellen. Palmen, Urlaub, Isolation und Abenteuer sind häufige genannte Begriffe in diesem Zusammenhang. "Was hier als Insel wahrgenommen wird, hat wenig mit Inseln wie Helgoland zu tun", schreibt die Autorin. Es sei vielmehr eine bestimmte Idee einer Insel. "Wir sehen eine einsame tropische Insel, die von kolonialistischen Fantasien nur so strotzt."

So ist es nicht verwunderlich, dass der Robinson-Crusoe Gedenktag auch in Deutschland gerne als Anlass genommen wird, um Filmreihen von Geschichten auf einsamen Inseln zu zeigen oder in Zeitschriften Inselparadiese anzupreisen. Buchläden nehmen den Tag natürlich auch zum Anlass, um ihr "Robinson-Cursoe-Sortiment" zu präsentieren.

Die ganze Geschichte von Robinson Crusoe

Susan Arndt sieht in Robinson Crusoe allerdings nicht mehr den Abenteuerhelden ihrer Kindheit, sondern vielmehr einen vom Kolonialismus geprägten Geschäftsmann, der Schwarze für eine minderwertige Rasse hielt und versklavte. "Robinson Crusoe ist ein Handbuch, wie man diese neuen Territorien in Amerika und Afrika kolonisierte, also die Ressourcen nutzte, aber auch die Arbeitskräfte."

Illustration zu Robinson Crusoe
Schwarz gleich ungebildet, weiß gleich überragend. Dieses Bild festigt der Roman von Daniel DefoeBild: picture-alliance/Everett Colle

Viele kennen nur das letzte Drittel der Geschichte. Den Teil, in dem Robinson Crusoe Schiffbruch erleidet und mit Freitag auf der einsamen Insel lebt. Doch die Geschichte hat eine Vorgeschichte, die in den ersten beiden Bänden erzählt wird: Im Mittelpunkt steht Robinson Crusoe, der aus der Mittelmäßigkeit seiner Familie ausbrechen will und dabei im wahrsten Sinne des Wortes Schiffbruch erleidet. Er wird selbst versklavt. Als weißer Christ natürlich zu Unrecht. Mit Hilfe von zwei anderen schwarzen Sklaven gelingt ihm die Flucht. Einen davon wirft Robinson in der Hungersnot über Bord, den anderen übergibt er bei seiner Rettung den Portugiesen als Sklave. "Das zeigt, dass es für ihn und damit auch für Defoe völlig okay ist, 'People of Colour' zu versklaven", so Susan Arndt.

In Amerika bewirtschaftet Robinson Crusoe dann eine eigene Plantage mit Sklaven. Die sind rar und so macht er sich auf den Weg, um weitere Sklaven zu besorgen. Auf dieser Fahrt erleidet er dann erneut Schiffsbruch und landet als einziger Überlebender auf einer Insel, auf der er fast drei Jahrzehnte die Natur bezwingt und überlebt. 28 Jahre lang denkt er die Insel sei unbewohnt, bis er auf "Kannibalen" trifft. Einen von ihnen rettet er und nennt ihn "Freitag". Aus Dankbarkeit unterwirft sich Freitag angeblich freiwillig als Diener. "Ich finde es auch ganz entscheidend, wie Robinson Freitag von Anfang an instrumentalisiert", sagt Susan Arndt. "Er nennt ihn Freitag nach dem Wochentag, an dem er ihn findet. Er tut so, als hätte Freitag nie eine eigene Sprache oder Religion gehabt."

Freiheit ja, aber nicht für Sklaven

Porträt des Schrifstellers Daniel Defoe
Der Schriftsteller Daniel Defoe war ein Verfechter des Kolonialismus und somit auch des SklavenhandelsBild: picture-alliance/Bianchetti/Leemage

Der britische Autor Daniel Defoe hatte in der Kolonialzeit selbst von der Sklaverei profitiert, denn er besaß Aktien in verschiedenen Kompanien, die Menschen versklavt haben. "Gleichzeitig hat er ökonomische Essays darüber geschrieben, wie wichtig es ist, den Kolonialismus nicht den anderen Europäern zu überlassen, in die Kolonien zu gehen und die Ressourcen zu nutzen", sagt Susan Arndt.

Unter diesem Aspekt wäre es sicher lohnend, am Robinson-Crusoe-Tag nicht nur an einsame Inseln und die Heldenreisen von Schiffbrüchigen zu erinnern, sondern auch rassistische Vorurteile aufzudecken, die bis heute teils unbewusst in unseren Hinterköpfen schlummern.

Und was ist mit dem Roman an sich? "Hört auf, diese Geschichte spannend nachzuerzählen", appelliert die Literaturwissenschaftlerin."Sie ist überhaupt nicht spannend, der Roman ist eigentlich total langweilig und bürokratisch. Gebt den Kindern dieses langweilige Buch an die Hand und ich würde unterstellen, dass es keiner mehr lesen wird außerhalb akademischer Kreise."