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"Rat der Weisen" soll Atom-Streit lösen

22. März 2011

Was wird aus den deutschen Kernkraftwerken? Mit der Suche nach Antworten hat Kanzlerin Merkel zwei Kommissionen beauftragt. Ergebnis könnte ein neues Atomgesetz sein. Die Opposition ist skeptisch.

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Spitzentreffen zur Zukunft der Atomenergie in Berlin (Foto: dapd)
Eine Ethikkommission soll "gesellschaftlichen Konsens" über AKW schaffenBild: dapd

Nach der Atomkatastrophe in Japan will die Bundesregierung die Zukunft der Atomenergie in Deutschland von einem "Rat der Weisen" abhängig machen. Der soll aus zwei Experten-Gremien bestehen. Die technischen Fragen soll die zum Umweltministerium gehörende Reaktor-Sicherheitskommission (RSK) klären. Zudem soll sich eine Ethik-Kommission mit der gesellschaftlichen Dimension der Kernkraft befassen. Das kündigte die Kanzlerin am Dienstag (22.03.2011) nach einem Treffen mit den fünf Ministerpräsidenten aus Bundesländern mit Atommeilern an. Wie die Öko-Energie in Deutschland ausgebaut werden kann, wollte Merkel auf dem Treffen nicht diskutieren. Am 15. April will sie sich dazu mit allen 16 Ministerpräsidenten beraten. Das ist zu spät, finden Kritiker.

AKW - Technisch und ethisch OK?

(AKW) Biblis in Südhessen (Foto: picture alliance/dpa)
Sicher? Das AKW Biblis im Bundesland HessenBild: picture alliance/dpa

Angesichts der nuklearen Katastrophe von Fukushima, soll die Sicherheit der deutschen Atomkraftwerke (AKW) überprüft und das Restrisiko neu bewertet werden. Drei Monate haben die beiden Kommissionen dafür Zeit. Solange hatte die Bundesregierung die Laufzeitverlängerung der deutschen Kernkraftwerke in der vergangenen Woche ausgesetzt. Die Reaktorsicherheitskommission, die Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) untersteht, wird einen Fragenkatalog ausarbeiten, nachdem alle Kernkraftwerke in Deutschland sowie alle anderen Atomanlagen, von Forschungsreaktoren bis hin zu atomaren Lagern, auf ihre Sicherheit hin überprüft werden sollen. Auch neue Sicherheitsfragen, etwa der Schutz der Computersysteme der Atomanlagen vor Cyberangriffen, sollen analysiert werden. Am 15. Juni soll die Reaktor-Sicherheitskommission die Ergebnisse ihrer Analysen mitteilen. Erst dann werde entschieden, welche Meiler weiter betrieben werden dürfen.

Die Bundeskanzlerin wünscht sich jedoch auch einen "gesellschaftlichen Konsens" über die Zukunft der AKW. Daher soll eine Ethik-Kommission "Risiken bewerten und einordnen", so die Kanzlerin. Geleitet wird sie vom früheren Bundesumweltministers Klaus Töpfer (CDU) und dem Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), Matthias Kleiner. Die Ethik-Kommission wird an das Kanzleramt angelehnt und weitere Vertreter aus Kirchen, Gewerkschaften und der Industrie umfassen, darunter etwa der Vorsitzende des Zentralrats der Katholiken, Alois Glück.

Kritik von Opposition und Ökostrombranche

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesumweltminister Norbert Roettgen (CDU) (Foto: dapd)
Werden heftig kritisiert: Kanzlerin Merkel und Umweltminister RöttgenBild: dapd

Die Opposition wirft Merkel vor, sich mit Hinblick auf die Wahlen um schnelle Antworten in der Atom-Debatte drücken zu wollen. SPD-Chef Sigmar Gabriel wertete die Kommissionen als Beweis dafür, dass Merkel keine Energiewende in Deutschland einleiten wolle. "Ich glaube kein Wort, dass die sieben Reaktoren (…) tatsächlich abgeschaltet bleiben", sagte er. Die Grünen warfen Merkel Ratlosigkeit vor. Der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Kurt Beck (SPD), hält einen Atomausstieg in fünf bis maximal acht Jahren für möglich. "Wir sind in der Lage (…) neue regenerative Energieformen so zu entwickeln, dass wir ohne Atomenergie auskommen", sagte Beck, der sich am Sonntag zur Wiederwahl stellt. Auch in Baden-Württemberg könnte die Atomdebatte die Wahlen am Sonntag entscheiden. Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) hält einen kompletten Ausstieg aus der Kernenergie in fünf, sechs Jahren nicht für möglich.

Enttäuschung in der Ökostrombranche. Anbieter hatten auf erste Antworten gehofft, wie der stockende Netzausbau beschleunigt werden kann, um etwa Windstrom von der Küste in den Süden zu transportieren. "Wir haben erwartet, dass die Bundesregierung heute erste konkrete Maßnahmen benennt, wie sie diese Beschleunigung erreichen will. Doch an dieser Stelle klafft nun eine große Lücke", sagte Björn Klusmann, Geschäftsführer des Bundesverbandes Erneuerbare Energien (BEE).

Kommt bald ein neues Atomgesetz?

Atom-Gegner in Berlin (Foto: AP)
Wollen den Ausstieg aus der Atomenergie: Demonstanten in BerlinBild: AP

Kanzlerin Merkel deutete auch an, es könne nach den Empfehlungen der Kommissionen in drei Monaten ein neues Atomgesetz geben. "Ich schließe nicht aus, dass die Überprüfungen Auswirkungen auf die Laufzeiten haben können", sagte sie. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe ging sogar noch weiter: "Ich bin sicher, dass die Mehrheit der jetzt vom Netz gehenden alten Meiler dauerhaft vom Netz gehen", sagte er im SWR. Ähnlich hatte sich zuvor FDP-Generalsekretär Christian Linder geäußert.

Aus der heftig geführten Debatte um die Zukunft der Atomenergie hatte die Bundesregierung in der vergangenen Woche erste Konsequenzen gezogen: acht der 17 deutschen Atommeiler stehen vorerst still. Das ist eine politische Kehrtwende, denn erst im Herbst 2010 hatte die Regierung die Laufzeiten um durchschnittlich zwölf Jahre verlängert.

Autorin: Julia Hahn (mit dpa, rtr, afp)
Redaktion: Sabine Faber