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Rechtsregierung in Ungarn trotzt Protesten

23. Dezember 2011

Unbeeindruckt von Protesten aus dem In- und Ausland setzt die rechtskonservative Regierung von Ministerpräsident Viktor Orban in Ungarn ihre Politik durch. Das Parlament verabschiedete mehrere umstrittene Gesetze.

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Polizisten und Demonstranten vor dem Parlament in Budapest (Foot: dapd)
Polizisten und Demonstranten vor dem Parlament in BudapestBild: dapd

Während einer Demonstration vor dem Parlament in Budapest hat die Polizei am Freitag (23.12.2011) zahlreiche Oppositionelle festgenommen, unter ihnen auch elf Abgeordnete der grün-liberalen Partei LMP. Sie hatten sich vor dem Parlamentsgebäude an ein Gitter gekettet, um gegen die konservative Kehrtwende in dem EU-Land zu protestieren.

Ex-Regierungschef festgenommen

Ministerpräsident Orban - hier nach dem EU-Gipfel am 9. 12. 2011 in Brüssel (Foto. dpa)
Ministerpräsident Orban - hier nach dem EU-Gipfel am 9. 12. 2011 in BrüsselBild: picture alliance / dpa

Unter den Festgenommenen waren auch der frühere Ministerpräsident Ferenc Gyurcsany und der Fraktionschef der sozialistischen Partei, Attila Mesterhazy. Gyurcsany, der zwei sozialistische Regierungen angeführt hat und weiterhin Mitglied des Parlaments ist, wurde nach kurzer Zeit wieder freigelassen, wie er der Agentur Reuters mitteilte.

Mesterhazy wurde abgeführt, als er versuchte, die Festnahme weiterer LMP-Abgeordneter zu verhindern. Nach Agenturberichten waren rund 3000 Menschen dem Aufruf der Opposition zur Demonstration vor dem Parlament gefolgt.

Regierung baut Macht aus

Bei der Parlamentswahl 2010 hatten die unter der Wirtschaftskrise leidenden und über das Missmanagement der Linksregierung enttäuschten Ungarn Orbans Fidesz-Partei und deren Bündnispartner, den Christdemokraten, eine Zweidrittel-Mehrheit beschert. Orban nutzt diese Macht seither konsequent, um den Einfluss der Regierung auf Justiz, Medien und Wirtschaft drastisch auszuweiten. Dabei lässt sich der Premier, dem Kritiker autoritäre Tendenzen bescheinigen, von niemand stoppen.

So verabschiedeten Fidesz und Christdemokraten am Freitag in einer von Sozialisten und LMP boykottierten Parlamentssitzung ein neues Wahlgesetz, das nach Angaben von Kritikern die Orban-Partei begünstigt. Durch die Neuregelung wird das Mehrheitswahlrecht ausgebaut und die Wahlkreise zugunsten von Fidesz neu zugeschnitten.

Barrosos Rat ignoriert

Weiter beschloss die Regierungsmehrheit gegen den Rat von EU-Kommissions-Präsident José Manuel Barroso, die seit diesem Jahr geltende Einheitssteuer (Flat-tax) in einem Verfassungsgesetz festgeschrieben. Damit kann die 16 Prozent betragende Einheitsabgabe künftig nur noch durch eine parlamentarische Zweidrittelmehrheit abgeschafft oder geändert werden.

Mit demselben Gesetzespaket billigten die rechten Regierungsfraktionen auch eine Lockerung der Schuldenbremse, die in der neuen, ab 2012 geltenden Verfassung verankert ist. Sie soll nun nicht sofort, sondern erst ab 2016 wirksam werden.

Streit um Unabhängigkeit der Notenbank

Weiter stimmte das Parlament gegen den Protest der EU-Kommission und der Europäischen Zentralbank (EZB) einer Reform der ungarischen Notenbank zu. Endgültig soll dieses Gesetz in der kommenden Woche verabschiedet werden. EU-Kommission und EZB hatten erklärt, die Reform gefährde die Unabhängigkeit der Notenbank und verstoße gegen die europäischen Statuten für die geldpolitischen Institutionen der Gemeinschaft.

Vorgesehen ist, die ungarische Zentralbank mit einer Behörde für Finanzregulierung zusammenzulegen. Den Chef der neuen Institution will Orban ernennen. Zentralbankchef Andras Simor bezeichnete dies als "vollständige Übernahme der Macht in der Bank" durch die Regierung. Ungarn ist zwar nicht Mitglied der Eurozone, gehört als EU-Mitglied aber zum Europäischen System der Zentralbanken. Deren Unabhängigkeit gehört zum festen Kern der EU-Verträge.

Das ungarische Parlament
Das ungarische ParlamentBild: Jürgen Sorges

Budapest braucht Finanzhilfen

Wegen des Konflikts um das Zentralbankgesetz liegen derzeit die Verhandlungen der Regierung mit dem Internationalen Währungsfonds und der EU über weitere Finanzhilfen auf Eis. Die Verhandlungsdelegation von IWF und EU war vor einer Woche aus Budapest abgereist. Das hoch verschuldete Ungarn benötigt Finanzhilfen, die auf 15 bis 20 Milliarden Euro geschätzt werden. Die Ratingagentur Standard an Poor's hat ungarische Staatsanleihen vor Tagen auf Ramschniveau herabgestuft.

Autor: Michael Wehling (dpa/afp/rtr/dapd)

Redaktion: Dirk Eckert