Red Bull in der Kritik
12. Mai 2013"Tausende Pferdestärken, spektakuläre Shows und Treffpunkt hochkarätiger Sportgrößen" - der "Kini Fullgas Tag" im österreichischen Zillertal am 1. Mai sollte wieder eine Sportveranstaltung der Superlative werden. Doch stattdessen wird das Spektakel rund um den "Motorsport zum Anfassen" zur Katastrophe: Der 38-jährige Pilot und Stuntman Guido Gehrmann kracht bei einem Landeversuch mit seiner Bede BD-5 - einem kleinem Düsenflugzeug - zu Boden und stirbt.
"Guido war viele Jahre bei den Flying Bulls nicht nur als exzellenter Pilot hoch respektiert, sondern vor allem auch als Persönlichkeit", heißt es auf der Internetseite der Flying Bulls. Auf der Webseite des Fullgas Tags ist dem Sportler eine Rubrik gewidmet: "Goodbye Guido".
Gehrmann war bei dem österreichischen Konzern Red Bull unter Vertrag, der unter anderem eine süße, nach Gummibärchen schmeckende Limonade herstellt und mit immer waghalsigeren Aktionen auf sich aufmerksam macht. Laut Medienberichten war Gehrmann nicht der erste Extremsportler unter den Fittichen des Konzerns, der bei einem Stunt ums Leben gekommen ist.
Allein 2009 starben drei Sportler, die ihre gewagten Aktionen für Red Bull ausführten: Skifahrer Shane McConkey, Fallschirmspringer Eli Thompson und Basejumper Ueli Gegenschatz. Der Schweizer Gegenschatz wurde bei seinem tödlichen Sprung sogar gefilmt. Es sollten Werbeaufnahmen für seinen Sponsor werden, der gerade in das Telekommunikationsgeschäft eingestiegen ist. In den Medien und auf Social-Media-Plattformen wird seitdem die Frage diskutiert, wer die Verantwortung für die riskanten Manöver trägt.
Salto in den Tod
Dem geht auch der Journalist Helmar Büchel in seiner Fernsehreportage "Die dunkle Seite von Red Bull" für die ARD nach. Er skizziert den Tod von sechs Extremsportlern, von denen fünf bei Red Bull unterschrieben hatten. Im Fokus des jüngst ausgestrahlten Beitrags: Shane McConkey. Der kanadische Sportler war 2009 in den Dolomiten von einer 300 Meter hohen Klippe gesprungen. Der wahnwitzige Plan: Nach einem zweifachen Rückwärtssalto wollte McConkey die Skier abwerfen, um anschließend im sogenannten Wingsuit - einer Art Fledermaus-Anzug - Richtung Boden zu rasen und den Fallschirm zu ziehen. Doch der Stunt ging schief - ein Ski löste sich nicht. Der Sportler verunglückte tödlich.
Für Dokumentarfilmer Büchel stand McConkey unter enormem Druck: "Um im Geschäft zu bleiben, sah sich McConkey herausgefordert, immer waghalsigere Aktionen zu machen - bis er Extremskifahren mit Basejumping verbunden hat", erzählt der Autor dem Wochenblatt "Die Zeit".
Zwei Seiten der Medaille
Welchen Anteil also hat Red Bull an dem Unfall? Der Eventkonzern, der auch Formel-1-Mann Sebastian Vettel unter Vertrag hat, ist nicht der einzige, der Sportler sponsert. Fast alle Sportartikelhersteller und Energy-Drink-Produzenten finanzieren Athleten, Abenteurer, Expeditionen und die entsprechenden Filme über sie. Wo sie dabei Schwerpunkte setzen, entscheiden die Unternehmen selber.
Die deutsche Firma Vaude etwa, die unter anderem Sportkleidung und Kletterausrüstung herstellt, geht andere Wege: "Vaude ist nicht bekannt für das Höher, Schneller, Weiter", erklärt Sprecher Benedikt Tröster gegenüber der DW. "Wir wollen nicht in das Extreme gehen, sondern unsere Zielgruppe sind naturbewusste Genießer, die auch einen gewissen Umweltanspruch haben und sich in der Natur wohlfühlen." Und der Schweizer Bergsportausrüster Mammut beschreibt die dem Sponsoring zugrundeliegende Ethik auf der Homepage so: "Wir suchen nicht den einmaligen Coup, unsere Engagements sind langfristig. Wir halten unsere Sponsoringpartner an, ihre Engagements ökologisch und sozial nachhaltig zu gestalten."
Im Netz werden die Marketingstrategien von Red Bull kontrovers diskutiert. "Du darfst Red Bull keine Schuld geben. Diese Adrenalin-Junkies riskieren ihr Leben auf eigenen Wunsch - es ist also eine Win-Win-Situation für beide Seiten", kommentiert ein User auf der Videoclip-Plattform YouTube den Trailer zu "McConkey". Der 90-minütige Film, produziert von Red Bull, soll noch in diesem Jahr in die Kinos kommen.
Der Konzern schweigt
Das Unternehmen selbst hält sich bedeckt. Die Red Bull Deutschland GmbH begründet auf DW-Anfrage, warum es kein Interview zusagt: "Es ist uns ein Anliegen, dass das mediale Rampenlicht jenen vorbehalten bleibt, die es durch ihre außerordentlichen Leistungen verdienen: Den Sportlerinnen und Sportlern, Künstlerinnen und Künstlern und vielen anderen kreativen Menschen, mit denen wir in den verschiedensten Bereichen zusammenarbeiten." Ein Rampenlicht, das dem Konzern nach eigenen Angaben im Jahr 2012 über 5,2 Milliarden verkaufte Red-Bull-Dosen bescherte und damit ein Plus von 12,8 Prozent.
Der Umsatz stieg dem Unternehmen zufolge von 4,25 Milliarden Euro in 2011 auf 4,93 Milliarden Euro im vergangenen Jahr. Das Unternehmen gibt mehr Geld für Events und Marketing aus, als für die Herstellung seiner koffeinhaltigen Brause. Dennoch hat auch Filmautor Büchel von Red Bull "nur Absagen bekommen", wie er in der "Zeit" berichtet: "Die Angst der Leute, es sich zu verscherzen, war deutlich spürbar."
Nach Meinung des Sportökonomen Christoph Breuer von der Sporthochschule Köln ist jedoch nicht nur Red Bull für die immer gefährlicheren Stunts verantwortlich. Es sei auch die unersättliche Neugier der Zuschauer. "Man kann einerseits sagen: Böses Red Bull. Aber die machen das ja nicht ohne Grund. Wenn ein Anbieter von so einem Spektakel - wie Red Bull hier - auf keine Nachfrage am Markt stoßen würde, dann würde Red Bull das auch nicht machen", so Breuer im Gespräch mit der DW.
Beispielsweise schauten Millionen Menschen dem österreichischen "Stratosphärenspringer" Felix Baumgartner zu, der sich im Oktober 2012 im Raumfahrtanzug aus 39.000 Metern Höhe in die Tiefe stürzte. Auch die zahlreichen YouTube-Videos des Konzerns verzeichnen häufig sechs- bis siebenstellige Klickzahlen.
Teufelskreis des Nervenkitzels
"Diese Verbindung von Abenteuer, Extremen, über die Leistungsgrenze hinausgehen und auch das Unmögliche schaffen - dieses Konglomerat ist eigentlich der hauptökonomische Wert heutzutage", erklärt Wirtschaftswissenschaftler Breuer die Marketingstrategie von Red Bull. Als Limonadenhersteller gestartet, entwickelte der Konzern sich immer mehr zum Event- und Spektakelveranstalter, der stetig krassere Bilder liefern muss, glaubt Breuer.
"In fünf Jahren ist selbst ein Stratosphärensprung nichts Besonderes mehr, sondern es muss immer weitergehen." Mit brisanten Folgen: "Also wird es immer extremer und gefährlicher und in dieser Teufelsspirale kann ich dann nicht mehr - wenn ich in dieser Grundlogik bleibe - einfach die Risiken für meine Protagonisten reduzieren, im Gegenteil." Der Sportökonom vermutet: Selbst Todesfälle kratzen kaum am Image von Red Bull.