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Krieg spielen mitten im Frieden

Suzanne Cords
21. August 2019

Ob Waterloo, Stalingrad oder Teutoburger Wald: Schlachten nachzuspielen hat Hochkonjunktur. In Weimar geht es weniger blutig zu: Dort wird jetzt der Auszug der Parlamentarier aus der Nationalversammlung nachgestellt.

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Napoleon-Darsteller hoch zu Ross
Bild: picture-alliance/Photoshot

Hoch zu Ross inspiziert Napoleon Bonaparte die Front. Seine Soldaten sind zu Hunderten vor den Toren Brüssels in Stellung gegangen. Den Franzosen gegenüber steht das Heer des englischen Generals Wellington. Immer wieder donnern Musketensalven und Kanonenschüsse über das Gelände.

Ein paar Stunden später ist die Schlacht bei Waterloo vorbei. Friedlich sitzen die Kombattanten beider Seiten am Lagerfeuer beisammen. Tote und Verletzte hat es  im Jahr 2019 nicht gegeben. Anders als 1815, als viele Tausende Soldaten in Waterloo ihr Leben ließen.

200-Jahr-Feier der Schlacht von Waterloo

In der Uniform des "Feindes" 

Berühmte Schlachten nachzuspielen ("Reenactment") hat Hochkonjunktur. Von der Kanone bis zum Uniformknopf ist alles möglichst originalgetreu. Und auch auf dem Schlachtfeld wird nicht einfach rumgeballert; man bemüht sich um authentischen Schusswechsel. Allerdings stecken heute, anders als vor 200 Jahren, schon mal Engländer in französischen Uniformen und Belgier oder Deutsche in denen von Wellingtons Truppen.

Bei anderen Reenactments läuft es ähnlich ab: Da zieht sich ein Engländer auch schon mal freiwillig eine deutsche SS-Uniform an und feuert aus dem Schützengraben gegen seine Landsleute. Und in der Schlacht im Teutoburger Wald spielt ein Deutscher einen Römer und umgekehrt ein Italiener einen Germanen.Es gibt zahlreiche  Männer und Frauen, die Geschichte bei historischen Umzügen und anderen Veranstaltungen wieder lebendig werden lassen. Historische Schlachten sind europaweit allerdings besonders beliebt, so wie die Schlacht bei Waterloo oder Stalingrad. Und in den USA stellt man mit Vorliebe die Kämpfe des amerikanischen Bürgerkiegs zwischen Nord- und Südstaaten dar. Die berühmte Schlacht von Gettysburg, bei der der Konföderierten-General Robert E. Lee sich 1863 dem Gegner geschlagen geben musste, wurde schon 50 Jahre später erstmals nachgespielt.

Eine Frau im römischen Gewand liegt in einer Sänfte
Frauen spielen bei Schlachten selten an vorderster Front mit. Diese römische Reenactorin folgt dem Soldatenheer in der Sänfte Bild: picture-alliance/Zuma/L.C. De Petris

Vom Schlachtfeld an die Heimatfront

Home Front War and Peace Revival Logo
Bild: warandpeacerevival.com

In England findet alljährlich das sogenannte "War and Peace Revival" statt: Rund 4000 Militärfahrzeuge vom Ersten Weltkrieg bis zu Hightech-Vehikeln der jüngeren Geschichte lassen die Herzen von Militärfans höherschlagen – ebenso wie die diversen Reenactments von Schlachten aus dieser Zeit. Rund 100.000 Besucher verfolgen das Spektakel. Und das Event trüge nicht das Wort "Peace" im Namen, wenn nicht auch friedliche Szenen von der Heimatfront dargestellt würden. Die Besucher können in das Jahr 1943 eintauchen und die Ehefrauen der Soldaten bei ihrem Dorfalltag zusehen oder zum Tanztee einkehren.

"Suspekte Erinnerungsform"

Neben unzähligen Vereinen, die sich in der Freizeit mit der authentischen Nachstellung historischer Ereignisse beschäftigen, gibt es auch kommerzielle Reenactment-Gruppen, die zu verschiedenen Anlässen vor Publikum auftreten – zum Beispiel bei Mittelaltermärkten. Vor allem in den USA und Großbritannien setzen Tourismusverbände häufig kostümierte Schauspieler ein, um für das Publikum historische Ereignisse anschaulich zu machen.Die Historikerin Ulrike Jureit erklärt in einer Abhandlung die Faszination für Reenactments mit der "Magie des Authentischen" und der emotionalen und sinnlichen Erfahrung. Sie weist aber auch darauf hin, dass das Nachspielen historischer Ereignisse eine eher "suspekte Erinnerungsform" darstellt. Denn das Sich-Identifizieren mit historischen Gestalten bedeutet nicht automatisch, dass ein geschichtliches Ereignis - trotz aller redlichen Bemühungen - auch richtig dargestellt wird.  

Ein Soldat patroulliert vor einem konföderierten Zeltlager
Die Ruhe vor dem Sturm: Ein Soldat der Südstaaten kurz vor der Schlacht von Gettysburg Bild: picture-alliance/AP/The Evening Sun/S. Dunlap

Oftmals bemängeln Fachhistoriker, dass Reenactments die wissenschaftliche Basis und historische Tiefe fehlt. Vor allem bei lang zurückliegenden Ereignissen wie mittelalterlichen Schlachten würde man sich beim Nachstellen schon mal im Reich der Fantasy-Filme und -Serien bedienen. 

Geschichte hautnah

Die Teilnehmer an Reenactments ficht solche Kritik nicht an, sie sind mit Feuereifer bei der Sache. Und Geschichte hautnah erleben - das ist mittlerweile auch in Deutschland sehr populär. Davon zeugen die zahlreichen Mittelaltermärkte und historischen Umzüge. Doch Schlachten auf deutschem Boden nachzustellen und deutsche Feldherren oder Generäle zu feiern, ist hierzulande nicht sonderlich verbreitet. Was auch damit zu tun hat, dass die Deutschen vor dem Hintergrund ihrer jüngeren Geschichte sensibel geworden sind.

Beim Kunstfest Weimar wird am 21. und 22. August deshalb ganz unblutig der Auszug der Parlamentarier aus der verfassungsgebenden Nationalversammlung vor 100 Jahren von Weimarer Bürgerinnen und Bürgern nachgespielt. An diesem Tag entstanden ikonische Bilder, als sich die Parlamentarier auf den Treppen und dem Balkon des Nationaltheaters versammelten. 

Reenactament Weimar: Menschen auf einem Balkon stellen beim Kunstfest Weimar die Weimarer Nationalversammlung und den deutschen Reichstag nach.
Weimar 2019: Rund 500 Menschen stellen die Weimarer Nationalversammlung und den deutschen Reichstag nachBild: Deutsches Nationaltheater und Staatskapelle Weimar
Suzanne Cords Weltenbummlerin mit einem Herz für die Kultur