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Politik

Nach außen hin bleibt alles ruhig

17. April 2017

Das Referendum in der Türkei wühlt seit Monaten die Gemüter auf - auch in der türkischen Community in Deutschland. Die Grabenkämpfe könnten nun noch heftiger werden, so die Prophezeiung.

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Deutschtürken Referendum Frauen
Einer der wenigen Autokorso in der Keupstraße in KölnBild: DW/T. Yildirim

Es scheint ein ganz normaler Abend in der türkisch geprägten Keupstraße in Köln-Mülheim: ein paar Frauen kaufen im Anbruch der Dämmerung noch schnell Fladenbrote und Sesamkringel, etliche Familien lassen den Ostersonntagabend in einem Restaurant ausklingen, vor den Cafés stehen männliche Jugendliche herum. In einigen Imbissen strahlt ein aufgehängter Fernseher Bilder des laufenden Wahlabendes ab. Schnell zeichnet sich ab, dass eine knappe Mehrheit für das umstrittene Präsidialsystem gestimmt hat - und damit auch für mehr Macht für Präsident Erdogan.

Wie das vorläufige Ergebnis bewertet wird, ist schwer zu sagen. Lautstarke Proteste oder Beifall: nahezu Fehlanzeige. Zweimal fährt ein Auto laut hupend und mit wehender türkischer Fahne durch die Straße, mitfahrende junge Frauen schreien ihre Begeisterung aus dem Fenster heraus. Einige Passanten nicken anerkennend.

Istanbul scheint ganz weit weg

Auch auf der Venloer Straße in Köln-Ehrenfeld, ebenfalls bekannt für seine große türkische Community, ist es eher ruhig: keine Autokorsos, keine Fahnen, kein Jubel, aber auch keine Proteste. Istanbul scheint ganz weit weg - obwohl viele Menschen, die hier leben und arbeiten selbst aus der Türkei stammen und einige von ihnen beim Referendum auch mit abstimmen durften. Über die Gründe lässt sich nur mutmaßen: Vielleicht hält das Nieselwetter die Menschen davon ab, raus zu gehen. Möglicherweise bestimmt aber auch Angst die Atmosphäre. Denn auf welcher Seite man steht: Das wollen die allerwenigsten in der Öffentlichkeit sagen oder zeigen. 

"Ich lebe seit 17 Jahren hier, habe einen deutschen Pass - ich habe damit nichts zu tun", ruft ein Mann als Antwort auf eine Interviewfrage. Ein junges Mädchen mag sich ebenfalls nicht interviewen lassen. Sie habe "Angst um ihre Verbeamtung". Wer sich äußert, mag in den allermeisten Fällen auch nicht seinen Namen sagen. So wie ein Gast in einem Ehrenfelder Lokal, der seit 27 Jahren in Deutschland lebt. Er hat den deutschen Pass und deshalb auch nicht gewählt. Seine Familie in der Türkei sei jedoch zufrieden mit der jetzigen Regierung. "Erdogan hat viel zum Positiven geändert; die ganze soziale Unterstützung ist besser geworden".

Deutschtürken Referendum Keupstr
Istanbul ist weit weg - Die Keupstraße in KölnBild: DW/T. Yildirim

"Die Spannungen werden vorübergehen"

Er berichtete vom Fall eines gehbehinderten Jungen, der Dank der monetären Hilfe Erdogans nun einen Rollstuhl und ein Handy besitze - was im Fernsehen ausführlich dokumentiert wurde. In jedem Fall hofft er, dass Deutschland und die Türkei sich nun wieder versöhnen. "Erdogan sollte gemäßigtere Töne anstimmen", sagt er. 

Resit, ebenfalls Gast in einem Lokal, sieht dagegen die deutsch-türkischen Beziehungen bereits auf dem Weg der Normalisierung. "Die Spannungen werden vorübergehen." Restaurantbesitzer Hidayet, der selbst nicht gewählt hat, ist ebenfalls für das neue Präsidialsystem. Deutsche Politiker hätten häufig Vorurteile gegenüber Erdogan. Dabei: "Er wurde mehrheitlich gewählt, er ist kein Diktator."

"Viele wissen gar nicht, worüber sie da abgestimmt haben"

Ersan und Rabia, ein junges Ehepaar aus Hessen, sitzen auch in einem Restaurant und verfolgen den Wahlabend auf dem dortigen Fernsehen - die einlaufenden Zahlen machen sie wütend. "Viele wissen doch gar nicht, worüber sie da abgestimmt haben", sagt Ersan. Seine Frau ärgert sich auch über das Medienverhalten der Türken: "Die meisten konsumieren ihre Nachrichten übers Fernsehen, aber das wird ja größtenteils von der Regierung kontrolliert." Sich eine eigene Meinung zu bilden, werde immer schwieriger. "Jetzt sagen sie im Fernsehen, dass die Türkei gesiegt hat - diese Sprache ist manipulativ".

Die Ängste vor dem, was nun kommen könnte, sind groß. Rabia und Ersan sorgen sich vor allem darum, dass Meinungsfreiheit und Menschenrechte in der Türkei immer weiter eingeschränkt werden könnten. "Der Zug Richtung Demokratie ist entgleist", sagt Ersan. Auch der enge Zusammenschluss mit Russland ängstigt sie. Dabei war dem Paar Erdogan mit seinem pro-europäischen Kurs und seinen vielen Reformen anfangs nicht unsympathisch. Doch der Umgang mit der Korruptionsaffäre 2013 erschütterte sie.

Durch die türkische Community verläuft ein Riss

Erdogan übernahm keine Verantwortung, die Begeisterung für ihn ließ nicht nach: "Die Menschen scheinen wie verhext - sie lassen sich so schnell beeindrucken", sagt Ersan. "In Deutschland wird doch auch nicht jede neue Straße bejubelt - das sind ganz normale Dinge, die eine Regierung leisten muss."  Auch die neue Rhetorik im Wahlkampf stößt ihm auf: "Viele sagen, die Türkei sei nun endlich 'frei' - aber war sie vorher nicht frei?" Das Problem der Türkei sei, dass es keine richtige Mittelschicht gebe, sagt Ersan und die ungebildete Unterschicht und die reiche Elite tendenziell für die AKP stimmten.

Durch die türkische Community verlaufe ein Riss - und teilweise auch durch die eigene Familie. "Ich kenne Fälle, da hieß es: Wenn du mit Nein abstimmst, bin ich nicht mehr deine Mutter", sagt Rabia. "Auch ich selber spüre das in meiner Familie: Mein Vater schwärmt für Erdogan, sieht ihn als Retter. Weil ich das anders sehe, wird bei uns über das Thema gar nicht mehr gesprochen. Freundinnen, die für die AKP sind, haben sich teilweise von mir distanziert." Andere hätten dagegen gesagt: "Zum Glück bist du in Deutschland." Sie glauben, dass sich diese Spannungen noch verstärken werden. Solange Erdogan bleibt, werden sie zumindest nicht mehr in die Türkei einreisen.

Stephanie Höppner Autorin und Redakteurin für Politik und Gesellschaft