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"Ahmadinedschad hält sich nur noch im Ausnahmezustand"

10. Juni 2010

"Die Sanktionen gegen den Iran sind richtig", sagt Omid Nouripour. Doch im DW-WORLD-Interview fordert der Grünen-Politiker größeres Engagement für seine alte Heimat. Die Menschenrechte blieben weiter auf der Strecke.

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Omid Nouripour (Foto: bundestagsfraktion Bündnis 90/ DIE GRÜNEN)
Omid NouripourBild: Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen

dw-world.de: Herr Nouripour, sind die Sanktionen gegen den Iran richtig?

Nouripour: Ich finde schon. Die Politik des Hinhaltens der Iraner darf nicht hingenommen werden. Man darf diese Sanktionen allerdings nicht überschätzen. Sanktionen sind nicht wirklich effektiv, wenn es darum geht, den Iran davon abzubringen, das Atomprogramm weiter fortzusetzen. Sie sind aber sehr wichtig, um das klare Zeichen zu setzen: Die Internationale Gemeinschaft lässt sich nicht spalten. Das ist sehr wichtig. Aber entscheidender im Falle Irans ist, Druck zum machen bei den Menschenrechten. Dort gibt es ja andere Länder, in denen die EU alleine Sanktionen verhängt hat: von Weißrussland bis Myanmar. Die Frage ist, warum die EU beim Iran nicht tätig wird.

Die Wahlen im Iran und die anschließenden Proteste sind ein Jahr her. Viel hat man seitdem nicht mehr gehört. Sind die Proteste eingeschlafen?

Demonstranten im Iran (Foto: Anonym)
Nach der Wahl 2009 gingen Tausende im Iran auf die StraßenBild: Anonym

Es ist nichts eingeschlafen. Die Welle der Proteste ist insoweit abgeebbt, als die Menschen keine Lust haben, sich weiterhin auf der Straße verprügeln zu lassen, ohne dass sie eine Chance haben, sich dagegen zu wehren. Das ist legitim, das verhindert ein Blutbad. Man muss trotzdem feststellen, dass die Unzufriedenheit mit dieser Regierung so groß ist wie noch nie; dass die Mobilisierung der Massen dieser Regierung als Strafe abhanden gekommen ist. Das war in den letzten 30 Jahren ein rituelles Erlebnis, dass die Regierung immer wieder Menschen auf die Straßen geschickt hat – das können sie nicht mehr, ohne mit Gegendemonstranten konfrontiert zu werden. Man muss feststellen, und das ist sehr signifikant, dass diese Regierung kein Geld mehr in die Bekämpfung von Armut und Arbeitslosigkeit investiert - und auch nicht mal mehr in die Infrastruktur des Erdöls, die Halsschlagader der Ökonomie im Iran. Sie brauchen das ganze Geld für Sicherheitskräfte, die das Land ruhig halten. Sie werden es erleben. Am Samstag (Red: 12. Juni, dem Jahrestag der Wahlen 2009) sollen über zwei Millionen Sicherheitskräfte aus dem ganzen Land nach Teheran kommen, um mögliche Demonstrationen zu verhindern. Davon zu reden, dass die Grüne Bewegung eingeschlafen ist, ist definitiv falsch.

Das klingt, als könne diese Regierung ihre Macht nur noch mit äußersten Mitteln aufrecht erhalten?

Die Regierung Ahmadinedschad hält sich nur noch im Ausnahmezustand.

Mahmud Ahmadinedschad (Foto: AP)
Mahmud AhmadinedschadBild: AP

Wie lange kann sich die Regierung denn noch halten?

Ich weiß es nicht. Fakt ist, dass sie gerade das ganze Staatsvermögen für Schläger ausgibt. Und Fakt ist, dass das Staatsvermögen irgendwann zu Ende ist. Die Frage ist: Wie viele Kosten hat das für die Frage nach Leben und Unversehrtheit der physischen Gesundheit der Menschen? Deshalb ist es wichtig, dass man von außen Druck macht. Deshalb ist es wichtig, dass die EU Sanktionen beschließt. Und es ist umso wichtiger, dass die politische Elite nicht immer nur über das Atomprogramm redet, sondern auch über die Frage der Menschenrechte im Iran.

Machen wir diese Sanktionen für die Iraner, um zu sagen: Wir haben Euch nicht vergessen? Oder machen wir das, weil wir Angst vor dem iranischen Atomprogramm haben? Leider machen wir das nicht. Die Sorge vor dem iranischen Atomprogramm ist völlig berechtigt, natürlich müssen wir uns darum kümmern. Aber wenn sie sich Situation im Iran anschauen, und wenn sie sich die Schwachpunkte dieser Regierung anschauen, dann stellen sie fest, dass alles innenpolitisch ist. Wir haben Millionen Verbündete im Iran. Und wir müssen ihnen das Gefühl geben, dass wir auf ihrer Seite sind.

Wird es am Wochenende trotz der Sicherheitsvorkehrungen zu Protesten kommen?


Es wird ganz bestimmt zu Protesten kommen. Ich kann nur hoffen, dass die Menschen im Iran sich nicht sinnlos verprügeln lassen. Ich freue mich über jede Demonstration im Iran, die friedlich verläuft. Aber natürlich haben wir alle Sorge. Deshalb ist es möglicherweise sinnvoll, dass man andere Wege des Protests eingeht. Die Wut, die sich aufgestaut hat im Iran bei vielen Menschen, die Freunde und Verwandte verloren haben, die erlebt haben, wie sie im Gefängnis misshandelt wurden, die willkürlich verhaftet wurden, ist natürlich sehr groß. Und dafür habe ich großes Verständnis.

Omid Nouripour ist seit November 2009 sicherheitspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. Er wuchs im Iran auf. Seit 2002 ist er deutscher Staatsbürger, hat aber weiterhin auch die iranische Staatsangehörigkeit.

Das Interview führte Jörg Brunsmann.

Redaktion: Michael Borgers