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Reinhardt: "Mit Kunst allein ist es nicht getan"

Heike Mund16. Mai 2014

Zum 70. Mal jährt sich der Aufstand der Sinti- und Roma im Vernichtungslager Auschwitz. Was bringen solche Gedenktage jüngeren Generationen? Die Antwort gibt die Musikerin und Sinteza Dotschy Reinhardt.

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Jazz Sängerin Dotschy Reinhardt (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

DW: Der 16. Mai ist ein historischer Gedenktag, so wie vor ein paar Wochen der Internationale Tag der Sinti und Roma. Sind solche Tage noch zeitgemäß? Welche Rolle oder welche Mittlerfunktion könnte Musik für solche Gedenktage übernehmen?

Die Musik der Sinti und Roma wurde schon immer gerne gehört. Wir spielten auf Feiern und Festen der Obrigkeiten, wurden aber trotzdem von der Gesellschaft geächtet. Und das muss man immer im Hinterkopf behalten. Das klingt jetzt vielleicht pessimistisch, soll aber nur bedeuten, dass Musik natürlich auch Grenzen hat. Selbst jedes Konzentrationslager hatte seine eigene Zigeunerkapelle. Es ist traurig, aber wahr, dass man unsere Musik liebte und gern hörte, aber dass das gar nichts mit der Achtung unserer Menschenwürde zu tun hatte.

Heutzutage ist es aber dennoch so, dass ich mit meiner Musik – wie andere Sinti- und Roma-Künstler, die zu ihren Wurzeln stehen – ein bisschen Aufklärungsarbeit leisten kann. Man kommt mit dem Publikum nach den Konzerten ins Gespräch, kann sich austauschen, kann das eine oder andere Vorurteil aus der Welt schaffen. Und Klischees durch die richtigen Bilder in den Köpfen ersetzen. Das ist natürlich eine wunderbare Sache, wenn das klappt. Aber mit Kunst allein ist es nicht getan, da müssen schon politische und gesellschaftliche Strukturen her, die die Lage vor allem der Roma in Osteuropa verbessern.

Welchen Weg geht die Musik, die vielleicht aus diesen Klischees herausführt?

Es gibt immer wieder Menschen, die meinen, dass man die Kultur der Sinti und Roma über Klischees erklären muss. Die werden einfach reproduziert oder neu inszeniert in die Welt gesetzt. Dagegen hat ein echter Sinto oder Roma anzukämpfen. Man muss sich von Anfang an dagegen aussprechen und sich richtig positionieren. Das hat was mit Emanzipation zu tun.

Dotschy Reinhardt
Dotschy Reinhardt arbeitet in der Tradition einer großen Musikerfamilie

Welche Chance bietet da das "Modell Europa"? Fühlen Sie sich eher als Europäerin?

Für mich war schon immer klar, dass ich Europäerin bin. Natürlich gab es immer Austausch zwischen Sinti und Nicht-Sinti aus aller Welt im Jazz. Auch früher schon. Und für mich als Jazz-Musikerin gab und gibt es ohnehin keine Grenzen. Ich habe meine Einflüsse auf meine Musik nicht in Deutschland gesucht, sondern, wenn überhaupt in Europa, dann in Frankreich. Und auch in Amerika. Also diese Grenzen herrschten noch nie in meinem Kopf und auch nicht in den Köpfen der anderen Sinti-Künstler, die ich kenne. Europa ist gut und ich sehe da auch die Zukunft der Musik.

Kunst lebt von ihren Wurzeln und ihren kulturellen Hintergründen. Sie selbst haben ein Buch geschrieben über ihre Familiengeschichte. Sind Sie da auch der Musikgeschichte der Großfamilie Reinhardt nachgegangen: der berühmte Musiker Django Reinhardt gehört ja dazu.

Die Musikgeschichte der eigenen Familie kenne ich ja. Mit der habe ich mich insofern auseinander gesetzt, als sie einfach in meinem natürlichen Umfeld präsent war. Man muss es sich nur bewusst machen, dass man von dem und dem beeinflusst war als Kind zum Beispiel. Man hat damals noch Musikkassetten ausgetauscht und sich darüber unterhalten: Was findet man gut, was findet man weniger gut. Im Nachhinein war das eine sehr große Bereicherung für mich. Was andere in ihren Jazzschulen an Musikhistorie gelernt haben, das hatte ich aus erster Hand von meinen Familienmitgliedern.

27.09.2008 DW-TV Kultur.21 Dotschy Reinhard
Das neue Buch von Dotschy ReinhardtBild: Metrolit Verlag GmbH & Co. KG

Es gibt unter jungen Leuten ein verstärktes Interesse an der Musikströmung Gipsy-Swing. Gibt es für die früher so genannte "Zigeunermusik" damit ganz neue Perspektiven, weil heute auch ganz anders Musik gehört wird international?

Mit diesem Label "Gipsy" wird ja gern und oft Geld gemacht. Manchmal wird es gut gemacht und mit dem kulturellen Erbe der Gipsys gut umgegangen. Andererseits nennen sich viele Gipsys oder machen einen angeblichen Gipsy-Swing, obwohl das nichts mit dieser Musikrichtung zu tun hat. Also ich sehe das durchaus auch kritisch. Ich finde es ganz wichtig damit auch aufzuklären und es zum Anlass zu nehmen, sich über die Minderheit der Sinti und Roma zu informieren.

Die Fragen stellte Heike Mund.

Dotschy Reinhardt, geboren 1975, lebt und arbeitet in Berlin. Sie ist Sängerin, Songwriterin und Buchautorin. In ihrer Musik verbindet sie Jazz, Bossa Nova und die traditionellen Gypsy-Swing-Klänge ihres berühmten Vorfahren Django Reinhardt. In ihrem ersten Buch "Gypsy – die Geschichte einer großen Sinti-Familie" (2008) hat sie sich intensiv mit den Vorurteilen gegen das Volk der Sinti und Roma auseinandergesetzt und mit Stereotypen über sie abgerechnet. Ihr aktuelles Buch "Everybody´s Gypsy“"ist 2014 im Metrolit Verlag erschienen.