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PolitikNahost

Der Kanzler und der Kronprinz

23. September 2022

Bundeskanzler Scholz besucht Saudi-Arabien und weitere Golfstaaten. Diese gelten aufgrund ihrer Menschenrechtspolitik als problematische Partner. Doch energiepolitisch ist Deutschland mehr denn je auf sie angewiesen.

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Porträt-Aufnahmen von Olaf Scholz und Mohamed bin Salman
Treffen in Riad geplant: Olaf Scholz (l.) und Mohamed bin Salman Bild: Michael Kappeler/Bandar Aljaloud/AP Photo/dpa/picture alliance

Für die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel bestand im April 2017 kein Zweifel: Man werde "natürlich auch an dem dicken Brett der Menschenrechte bohren", erklärte sie anlässlich eines Treffens mit dem saudischen König Salman in der Hafenstadt Dschidda. Für die Kanzlerin lag es auf der Hand: Saudi-Arabien ist wirtschaftlich ein attraktiver Partner, hat bei den Menschenrechten aber erhebliche "Defizite", wie Merkel es damals offen auch vor saudischen Zuhörern formulierte. 

Fünf Jahre später reist nun ihr Nachfolger Olaf Scholz ins saudische Königreich - dies allerdings vor einer teils gründlich veränderten politischen Kulisse und anlässlich einer dramatisch veränderten eigenen energiepolitischen Bedürfnislage: Bedingt durch den Wegfall russischer Öl- und Gaslieferungen, ist Deutschland dringender denn je auf alternative Energie-Partner angewiesen. Scholz kommt gewissermaßen - zumindest teilweise - durchaus als Bittsteller. Politische Beobachter fragen sich schon jetzt: Welchen Stellenwert wird der Bundeskanzler vor diesem Hintergrund den Menschenrechten zubilligen können?

Düstere Menschenrechtsbilanz

Von hoher Relevanz ist das Thema durchaus, denn trotz aller Modernisierungen in den vergangenen Jahren bleibt die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien höchst defizitär, wie jüngst erst wieder zwei gegen Internetnutzerinnen verhängte Haftstrafen von 34 beziehungsweise 45 Jahren zeigten. Das Vergehen der zwei saudischen Frauen: Sie hatten einige politisch missliebige Tweets geliked und retweetet.

Wenn Scholz in Riad nun auf den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman (auch MbS genannt) trifft, begegnet er genau jenem Mann, der für beides steht: für eine zumindest kulturelle Modernisierung des Landes mit mehr Alltagsfreiheiten - aber auch für eine düstere Menschenrechtsbilanz, gipfelnd in der Ermordung des saudischen Regimekritikers Jamal Khashoggi 2018 in Istanbul, bei der die US-Geheimdienste eine persönliche Verstrickung des Kronprinzen festgestellt hatten.

Kronprinz strebt nach Anerkennung

Seit geraumer Zeit kämpft MbS freilich bereits um seine internationale Rehabilitierung. Das Treffen mit Scholz einschließlich der dabei entstehenden Fotos dürfte ihm dabei ebenso behilflich sein wie zuvor schon die Begegnungen mit US-Präsident Joe Biden und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Hinzu kommt der jüngste Gefangenen-Austausch zwischen Russland und der Ukraine, bei der Riad eine wichtige Rolle gespielt haben soll.    

Blick auf die Erdöl-Anlage Tanadschib von Saudi Aramco im Persischen Golf
Blick auf die Erdöl-Anlage Tanadschib von Saudi Aramcoim Persischen Golf: Erdöl aus Saudi-Arabien als Teil Energie für Deutschland Bild: Saudi Aramco/dpa/picture alliance

Dies alles macht die Reise des Bundeskanzlers an diesem Wochenende politisch durchaus heikel: Er muss in Saudi-Arabien, aber auch in Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) mit Partnern sprechen, die einerseits genau das haben, was Deutschland so dringend braucht: Energiequellen in Form von Gas und Öl - und die andererseits zugleich regelmäßig gegen internationale Menschenrechtsstandards verstoßen. 

Deutschland benötigt Öl und Gas 

"Man sieht sehr wohl, dass diese Lage einen realpolitischen Ansatz notwendig macht", sagt Saudi-Arabien-Experte Sebastian Sons vom Bonner 'Center for Applied Research in Partnership with the Orient' (CARPO) über das Dilemma der politischen Entscheidungsträger in Berlin. "Aber Saudi-Arabien ist und bleibt ein problematischer Partner, da jedes Engagement dort in der deutschen Öffentlichkeit kritisch gesehen wird."

Wie schwierig die Beziehungen nicht nur mit Saudi-Arabien, sondern dem Großteil der Golfstaaten generell sind, musste auch Wirtschaftsminister Robert Habeck erfahren, als er, ebenfalls von deutschen Energienöten getrieben, bereits im Mai dieses Jahres nach Katar reiste, um dort künftige Gaslieferungen auszuhandeln. Die etwas tief geratene Verbeugung, die er dabei vor dem Handelsminister des Landes, Scheich Mohammed bin Hamad bin Kasim al-Abdullah al-Thani, machte, trug ihm daheim erhebliche Kritik ein.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck grüßt Scheich Mohammed bin Hamad bin Kasim al-Abdullah Al Thani, den katarischen Handelsminister
Ehrerbietung? Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck grüßt Scheich Mohammed bin Hamad bin Kasim al-Abdullah Al Thani, den katarischen HandelsministerBild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

Doch Gas aus der Golfregion wird dringend benötigt. Scholz werde in den Vereinigten Arabischen Emiraten sicher einige Verträge für Flüssiggas (LNG) unterzeichnen können, erklärte Habeck Anfang dieser Woche. Berichten von Nachrichtenagenturen zufolge sollen auch die Gespräche mit Katar fortgeschritten und  Vereinbarungen über langfristige Verträge bald möglich sein.

Es geht aber auch um andere Themen: Neben energiepolitischen Gesprächen stünden voraussichtlich auch solche zur Kooperationsvertiefung in den Bereichen Innovation und IT sowie Fragen der regionalen Sicherheit auf der Agenda, informiert das Bundeskanzleramt auf seiner Webseite.

Langjähriger Handelspartner

Saudi-Arabien ist seit langem ein Handelspartner Deutschlands. Im Jahr 2021 betrug der Wert der Ein- und Ausfuhren 4,5 Milliarden Euro, berichtet die Wirtschaftsinformationsgesellschaft 'Germany Trade and Invest' (GTAI). Wichtigstes Importgut mit rund 36 Prozent ist Erdöl, gefolgt von chemischen Erzeugnissen und Rohstoffen. Den größten Posten der deutschen Exporte bilden ebenfalls chemische Erzeugnisse, Maschinen und Kraftfahrzeugteile.

Ein von der saudischen Regierung begehrtes Gut, nämlich Waffen, liefert Deutschland allerdings nicht - zumindest nicht im gewünschten Umfang. Bereits im November 2018 hatte die damalige Merkel-Regierung entsprechende Exporte unter anderem wegen der Beteiligung des Königreichs am Jemen-Krieg weitgehend gestoppt. Sie ließ allerdings Ausnahmen für Gemeinschafts-Rüstungsprojekte mit Bündnispartnern zu, weshalb Kritiker im Inland ihr "Scheinheiligkeit" vorwerfen.

Saudis auf Partnersuche

Ohnehin trete Deutschland in der Region trotz seiner eigenen Energie-Nöte nicht nur als Bittsteller auf, meint Simon Engelkes, Golfstaaten-Experte bei der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin. Es habe auch selbst etwas anzubieten. Angesichts des zunehmenden Rückzugs der USA aus der Region und des angespannten Verhältnisses zum Iran bemühe sich Saudi-Arabien darum, seine außen- und wirtschaftspolitischen Allianzen zu erweitern und zu diversifizieren. "Dabei richtet das Königreich seinen Blick nach Osten, aber auch nach Westen. Und da besteht auch die Bereitschaft zu einer Zusammenarbeit mit Europa und insbesondere Deutschland", meint Engelkes.

Werbeplakat für das nationale Zukunftsprojekt "Vision 2030"
Pläne und Partner: Für seine Modernisierungsprojekte ist Saudi-Arabien auch auf westliche Partner angewiesen Bild: Amr Nabil/AP Photo/picture alliance

So habe gerade die saudische Führung mit Blick auf ihre ambitionierte wirtschaftliche Modernisierungsagenda, zusammengefasst in der Formel "Vision 2030", erkannt, dass sie auf westliche Partner angewiesen sei. "Hier bestehen durchaus Anknüpfungspunkte für die Bundesregierung. Deutschland genießt technologisch und wirtschaftlich, aber auch wissenschaftlich und kulturell ein hohes Ansehen in Saudi-Arabien", so Engelkes. Dies böte insbesondere viele Chancen für Deutschlands Wirtschaft. 

Rote Linien statt Dämonisierung

Für Deutschland sei es ratsam, seine Politik gegenüber Saudi-Arabien und der Golfregion grundsätzlich zu überdenken und neu zu ordnen, sagt Sebastian Sons, der zuletzt ein Buch zu den Menschenrechts-Aspekten in den Beziehungen zu den Golfstaaten veröffentlicht hat ("Menschenrechte sind nicht käuflich: Warum die WM in Katar auch bei uns zu einer neuen Politik führen muss"):  "Man muss definieren, was geht und was nicht geht. Wo sind die roten Linien, die nicht zu überschreiten sind?" Zu diesen zählt Sons etwa Waffenlieferungen. 

Es gebe allerdings andere Felder der Zusammenarbeit: "Nicht nur der Energiebereich, sondern zum Beispiel auch die Kultur, der Breitensport oder die Entwicklungszusammenarbeit. Auch im Migrationsmanagement ließe sich zusammenarbeiten", sagt Sons mit Blick auf die Flüchtlinge, die infolge von Krieg und Gewalt in der Region aus ihrer Heimat vertrieben wurden. "In dieser Hinsicht ist auch Katar ein wichtiger Ansprechpartner."

Zugleich dürften Saudi-Arabien und die übrigen Golfstaaten hierzulande nicht dämonisiert werden, meint Sons. Nötig sei eine differenzierte Debatte. "Dann wird es auch möglich sein, realpolitische Interessen und Menschenrechte sowie eine werteorientierte Haltung miteinander zu vereinbaren."

Saudi-Arabien: Frauen im Rallye-Sport

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika