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Architektur

Der Frankfurter Architekturstreit ist überall

5. Oktober 2018

Erst das Berliner Schloss, jetzt die neue Frankfurter Altstadt: Architekten, Historiker und Bürger streiten über das Gesicht ihrer Städte. Welche Funktion hat Architektur? Antworten gibt der Kunsthistoriker Moritz Röger.

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Frankfurts neue Altstadt in Frankfurt am Main im Blick eines Handyfotografen
Bild: picture-alliance/dpa/B. Roessler

"Es mutet heimelig an: Wo einst die Kaiser von der Kirche zum Rathaus schritten und die Frankfurter auf dem Hühnermarkt Federvieh, Obst und Schuhe kauften, da stehen jetzt rekonstruierte Häuser, die vor allem eines zeigen: Nämlich was technisch möglich ist im Bereich von Rekonstruktion und Handwerk - wenn denn Geld keine Rolle spielt!" So beschrieb unlängst die Frankfurter Allgemeine Zeitung die Gemengelage im historischen Zentrum der Bankenmetropole.

Rekonstruktion oder moderner Wiederaufbau? Schon bald nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die Frankfurter heftig über das neue Gesicht ihrer Stadt gestritten. In den 1970er-Jahren baute Frankfurt auf dem Römerberg das Technische Rathaus und das Historische Museum im Stil des Brutalismus, im Jahrzehnt danach folgten postmoderne Bauten und Rekonstruktionen. Seit 2013 werden nach dem Abriss des Technischen Rathauses große Teile des historischen Viertels neu errichtet. 

Das Berliner Schloss damals und heute.
Zankapfel im Architekturstreit: Im Fall des Berliner Stadtschlosses setzten sich die Freunde der Rekonstruktion durch. In der Mitte Berlins entsteht das neue Humboldt-Forum.Bild: DW/photocrom

"Die immer neue Altstadt" hat das Deutsche Architekturmuseum (DAM in Frankfurt seine neueste Ausstellung genannt. Untertitel: "Bauen zwischen Dom und Römer seit 1900". Der Kunsthistoriker Moritz Röger hat die Schau mitkuratiert. 

Deutsche Welle: Können, Herr Röger, die Frankfurter jetzt zufrieden sein?

Moritz Röger: Wer sind die Frankfurter? Ob alle Frankfurter mit dem Ergebnis zufrieden sein können, wage ich zu bezweifeln. Aber es gibt schon sehr viel positive Resonanz auf das Areal. Gerade wenn man durch die neu entstandenen Gassen läuft, sind die meisten Besucher begeistert.

Moritz Röger, Kunsthistoriker am Deutschen Architekturmseum (DAM) Frankfurt
Moritz RögerBild: Moritz Röger

Die meisten, nicht alle: Die FAZ beschreibt die Häuser. Einige sähen aus, Zitat: "wie Modernisten, die sich mit Zipfelmützen und zu engen Hosen für einen Kostümball verkleidet haben." In Frankfurt stehen sich jetzt Freunde und Kritiker dieser Rekonstruktion zähnefletschend gegenüber. Worum geht es in dem Streit?

Es geht auch darum, welches Potential man der zeitgenössischen Architektur zuspricht. Da gibt es eine starke Skepsis bis hin zur Ablehnung. Ihr wird die Möglichkeit abgesprochen, Lösungen für den heutigen Stadtraum zu finden, die den Bewohnern gefallen.

Spricht daraus ein Misstrauen gegenüber dem, was Architekten heute leisten?

Genau! Das ist an der einen oder anderen Stelle auch gar nicht von der Hand zu weisen. Wenn man sich etwa das Europaviertel in Frankfurt anschaut, ist ein solches Misstrauen nicht ganz unangebracht.

Weil es hässlich ist?

Es ist ein Beispiel von Investoren-Architektur - ein Neubaugebiet mit den immer gleichen Blockbauten mit Natursteinfassaden. Worauf ich hinaus will: Hinter dem Europaviertel steht das ganz klare Interesse, Profit zu maximieren. Dafür können nicht die Architekten verantwortlich gemacht werden.

Deutschland Frankfurt am Main, Europaviertel
Investoren-Architektur: Das Frankfurter EuropaviertelBild: Imago/Westend61

Die neue Frankfurter Altstadt - ihre Freunde feiern sie als Wiederauferstehung der europäischen Stadt, verweisen auf die handwerkliche Perfektion der Häuser, die idyllisch engen Räume - all das halte der modernen Architektur einen Spiegel vor. Die Gegner des Projekts kritisieren das "Disneyhafte" der Bauten und verweisen auf die Geschichte des Areals. Was genau, Herr Röger, ist eigentlich Rekonstruktion?

Das lässt sich weit fassen. In der Neuen Altstadt finden wir zumeist Bauten, die fotogenaue Rekonstruktion sind. Das heißt, die Fassaden dieser 15 Bauwerke zeigen das, was man auf Fotos aus der Zeit vor 1944, der Zeit vor der Kriegszerstörung, sieht. Sie haben aber im Kern meist Betonwände, auch an einigen Stellen Fachwerk. Aber zum Großteil hat man moderne Bautechniken verwendet, was unter den Bedingungen des Baurechts gar nicht anders möglich ist. Im strengen denkmalpflegerischen Sinne sind es Fassaden-Rekonstruktionen.

Bildet so ein rekonstruiertes Viertel denn die Wirklichkeit der Menschen ab? Lebt hier der einfache Bürger in Zeiten von Wohnungsnot?

Überhaupt nicht. Und das ist auch einer der größten Kritikpunkte, die ich an der neuen Altstadt formulieren würde: dass sie ein Bild von Geschichte konstruiert, das so nie existiert hat. Die Altstadt war vor ihrer Zerstörung eher ein Ort, wo die ökonomisch schlechter Gestellten, Handwerker und Arbeiter gelebt haben. Heute ist es zu einem auf Hochglanz herausgeputzten Viertel der besser Situierten geworden. Es ist hochsubventionierter Eigentumswohnraum entstanden. Und die heutigen Bewohner spiegeln überhaupt nicht die soziale Struktur der Altstadt wider, wie sie vor ihrer Zerstörung war.

Deutschland Elbphilharmonie in Hamburg
Vielbestaunte Architektur oder wenn Geld keine Rolle spielt: Die Elbphilharmonie in Hamburg.Bild: picture-alliance/R. Goldmann

Wem nützt diese Art von Rekonstruktion, die zwar für ein gefälliges Stadtbild sorgt, für die aber doch sehr sehr viel Steuergeld ausgegeben wird?

Die Stadt Frankfurt kann sich jetzt mit ihrem, wie es immer heißt, zurück gewonnenen Herz in aller Welt präsentieren. Es ist ein absoluter Touristenmagnet, immer voll, mit vielen Führungen. Also ein unglaubliches Aushängeschild - für das Stadtmarketing wie für den Tourismus.

Also alles gut?

Das würde ich nicht sagen. Ist es denn richtig, in Zeiten, wo die Wohnungsfrage eine immer brisantere wird, so viel Geld in ein so kleines Areal zu stecken, auf dem nur 80 Eigentumswohnungen entstanden sind? Oder wäre es besser, dieses Geld in die Schaffung bezahlbaren Wohnraumes zu investieren?

Wie reizvoll ist es, Architektur zu rekonstruieren - für welchen Zweck auch immer -, statt sich etwas schönes Neues, vielleicht auch Funktionales auszudenken?

Ich glaube, es ist ganz wichtig, auch der zeitgenössischen Architektur ihre Chancen zu geben. Es gibt wunderbare Beispiele, dass zeitgenössische Architektur auch wunderbare Lösungen finden kann. Alle staunen über die Elbphilharmonie, die EZB in Frankfurt ist ein viel bewunderter Hochhausbau. Aber auch das sind Bauten, wo Geld keine Rolle gespielt hat. Natürlich gab es in der Architektur immer Bezüge auf Vergangenes. Aber die Forderung, etwas herzustellen, so wie wir es von alten Bildern her kennen, dieser Rückbezug auf etwas Untergegangenes, das ist der falsche Weg. Architektur ist mehr als ihre Fassade.

Deutschland - neue Altstadt in Frankfurt am Main
Alles nur Fassade - Frankfurts neue AltstadtBild: picture-alliance/Arco Images/G. Thielmann

Trotzdem beobachten wir in Deutschland einen Trend zur Rekonstruktion. Verkommt Heimat da zur Kulisse?

Ich denke schon, dass das etwas Kulissenhaftes bekommt, aber ich glaube, dass es auch eine Funktion hat, die weit über das Kulissenhafte hinausgeht.

Identitätsstiftung?

Ja, es geht auch um Identität. Wenn wir uns die politische Situation Europas anschauen, den allgemeinen Rechtsruck, die starke Verunsicherung in weiten Teilen der Bevölkerung - die Menschen sehnen sich nach etwas, was ihn ihren Augen Heimat verkörpert, nach dem, was sie vermeintlich kennen.

Und noch etwas fällt auf, zum Beispiel in der Debatte um die historische Mitte von Potsdam: Hier verschwindet das architektonische Erbe der Nachkriegszeit und der DDR, und damit auch ein Teil der Geschichte. Interessant ist, welche Teile der Geschichte aus den Städten verschwinden und welche Teile man sich zurücksehnt. Die Frage ist doch, was für eine Identität damit aufgebaut wird.

Aber gibt es einen Königsweg?

Man sollte die einzelnen Projekte immer individuell betrachten. Ich wünschte, die Debatte um Rekonstruktion und den Umgang mit Stadtraum würde differenzierter geführt und sich nicht nur um die Schönheit der Stadt drehen. Wir müssen uns fragen: Was brauchen wir gerade, welche Funktion hat die Architektur?

 

Moritz Röger ist Kunsthistoriker. Am "Deutschen Architekturmuseum" (DAM) in Frankfurt hat er die Ausstellung "Die immer neue Altstadt - Bauen zwischen Dom und Römer seit 1900" mitkuratiert. Die Schau läuft noch bis 10. März 2019.

Mit Moritz Röger sprach Stefan Dege.