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Relikt des Kalten Krieges: Sowjet-Funkgerät ausgebuddelt

Roman Goncharenko
5. März 2020

Damit haben die Archäologen des LVR-Landesmuseums in Bonn nicht gerechnet. Sie gruben ein sowjetisches Agentenfunkgerät aus. Brisant ist nicht nur der Fundort.

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Sowjetisches Funkgerät
Bild: DW/R. Goncharenko

Ein Fundstück, das Neues über die Agententätigkeiten im Kalten Krieg verrät: Offenbar spionierte die Sowjetunion im Kalten Krieg vom Tagebau Hambach aus in der Nähe von Köln. Bei ihren Ausgrabungen fanden die Archäologen des Landschaftsverbandes Rheinlandes nicht nur versteinerte Reste einer Seekuh, die vor mehr als 20 Millionen Jahren lebte, oder Lanzenspitzen aus der Bronzezeit, sondern auch: ein sowjetisches Funkgerät aus dem Kalten Krieg. "Es ist eines der Objekte, das Aufmerksamkeit auf sich zieht", sagt Erich Claßen, Leiter des LVR-Amts für Bodendenkmalpflege im Rheinland. Der Fund ist etwas Besonderes, weil viele Menschen an diese Zeit auch persönliche Erinnerungen hätten, so Claßen. 

Überraschungsfund am Tagebauort bei Köln 

Gefunden haben das Funkgerät Anfang August 2019 Claßens Mitarbeiter unter der Leitung des Archäologen Martin Grünewald. Eigentlich waren er und sein Team dabei, rund 30 Kilometer westlich von Köln Überreste einer römischen Siedlung auszugraben, als sie diesen überraschenden Fund machten. 

Die Ausgrabungsstelle befindet sich in einem früheren Waldstück, das im Zuge des Braunkohletagebaugebiets Hambach gerodet wurde. Der Bagger sei plötzlich auf eine harte Metallkiste gestoßen, mehr als zehn Kilogramm schwer. Darin: ein Funkgerät mit englischer Beschriftung. Die Bonner Archäologen haben dafür zwei mögliche Erklärungen: Entweder diente die englische Beschriftung zur Tarnung, oder aber der Besitzer, wahrscheinlich ein in Westdeutschland lebender Agent, habe kein Russisch gesprochen.

Funkgerät für Spione aus der UdSSR oder DDR

Das Gerät sei fabrikneu und luftdicht verpackt gewesen, beim Öffnen der Papierverpackung habe es "gezischt". Eine kleine Plakette mit der spezifischen Kennung P-394 KM habe geholfen, den Fund zu identifizieren: "Bei einer Internetrecherche fanden wir heraus, dass es sich um ein sowjetisches Funkgerät handelt, ein bedeutendes Objekt der Geschichte." Auf russischen Webseiten wird P-394 KM als ein in den 1980er Jahren entwickeltes mobiles Kurzwellenfunkgerät für Aufklärungseinheiten beschrieben.

Um mehr über das Gerät zu erfahren habe man Historiker und den Militärischen Abschirmdienst (MAD) der Bundeswehr eingeschaltet, erzählt Erich Claßen: "Wir sind im Moment sicher, es handelt sich um ein Gerät aus russischer Produktion." Es hätte entweder von einem Mitarbeiter des sowjetischen Militärgeheimdienstes GRU oder der ostdeutschen NVA oder Stasi verwendet werden können. Die Kiste sei 60 bis 80 cm unter der Erdoberfläche und damit frostsicher vergraben gewesen. Das entsprach den Anweisungen der damaligen Zeit.

Das Gerät sei im Jahr 1987 produziert worden. Wann es vergraben wurde, lässt sich nicht genau sagen. "Wahrscheinlich nicht nach 1990", sagt Claßen. "Es gab Anweisungen, solche Notfunkgeräte frostsicher im Wald zu vergraben, um im Notfall, sprich bei Truppenbewegungen, schnell Meldung machen zu können." Die Reichweite des Geräts von bis zu 1200 Kilometer habe es ermöglicht, die Staaten des Warschauer Paktes problemlos anzufunken und zu informieren.

Fundstelle für sowjetisches Funkgerät
Die Fundstelle des sowjetischen Funkgeräts in einem früheren Waldstück beim Tagebau Hambach Bild: Martin Grünewald/LVR-Amt

Russisches Funkgerät in der Nähe einer Pershing-Aufstellung             

Auf einen möglichen Auftrag verweist der Fundort des Funkgeräts. Die Archäologen vermuten einen Zusammenhang mit Atomwaffen, die im nahe gelegenen Fliegerhorst Nörvenich gelagert wurden. Außerdem habe es nur einen Kilometer vom Fundort entfernt früher eine Aufstellung für Pershing-Raketen gegeben. "Die Atomwaffen hätten vermutlich jederzeit in die Steinheide transportiert werden können", so Grünewald.

Das künftige Schicksal des Agentenfunkgeräts hängt auch davon ab, wie sich Russland verhält. Claßen hat vor, russische Behörden zu kontaktieren: "Es gehört noch nicht dem Museum, sondern dem Land NRW." Das Objekt sei allerdings nicht herrenlos und man müsse abwarten, ob ein Eigentumsanspruch angemeldet werde. Zum Beispiel von Russland. "Wir würden sicherlich nicht darauf bestehen, dass es hier verbleibt, aber um die ganze Geschichte rekonstruieren zu können, würden wir um weitere Informationen bitten."

Martin Grünewald, der das Funkgerät gefunden hat, sagt, es sei für ihn als Fachmann für römische Antike sehr spannend, "der Zeitgeschichte so nah" zu sein: "Die Vorstellung, dass derjenige, der das Funkgerät vergraben hat, vielleicht noch unter uns lebt, macht Gänsehaut."