1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Rentiere in Gefahr

Brigitte Osterath
22. Dezember 2016

Der Weihnachtsmann hat es in Zukunft beim Verteilen der Geschenke etwas schwerer. Die Rentierbestände gehen zurück. Und nicht nur das: Der Klimawandel lässt die Tiere buchstäblich schrumpfen.

https://p.dw.com/p/2UEwD
Rentier im Schnee
Bild: JONATHAN NACKSTRAND/AFP/Getty Images

Der Weihnachtsmann tut sicher gut daran, in Zukunft mehr Rentiere als bisher vor seinen Schlitten zu spannen. Denn einer Studie nach werden die winterharten Tiere mit den beeindruckenden Geweihen immer kleiner und schwächer. Der Grund dafür? Vermutlich der Klimawandel.

Ökologe Steve Albon vom James-Hutton-Institut in Schottland und sein Team haben herausgefunden, dass erwachsene Rentiere auf Spitzbergen, die 2010 geboren sind, 12 Prozent weniger wiegen als ihre Artgenossen, die 1994 zur Welt kamen.

Der Gewichtsverlust schadet vermutlich nicht den Tieren selbst - aber er beeinträchtigt die Fortpflanzung: Schwangere Rentiermütter verlieren öfter ihre ungeborenen Babys, sagt Steve Albon im DW-Interview. "Wenn man klein ist und über den Winter Gewicht verliert, fällt man schnell unter eine Schwelle, unter der die Schwangerschaft abgebrochen wird, um das eigene Leben zu retten."

Auch wenn der Fetus nicht stirbt, hat das Baby-Rentier, das zur Welt kommt, es schwer zu überleben. "Es wird bei der Geburt kleiner sein, da seine Mutter während des Winters in so einer schlimmen Verfassung war", erklärt Albon, der seine Ergebnisse letzte Woche bei einem Treffen der Britischen Ökologischen Gesellschaft vorstellte.

Futter üppig, aber unerreichbar

Man sollte denken, dass Rentiere in einem wärmeren Klima mehr zu fressen finden - und nicht weniger. Von Frühling bis Herbst stimmt das auch tatsächlich. Im Winter allerdings macht der Klimawandel den Tieren das Leben dann umso schwerer.

Rentier vor einem blauen Haus
Auf Spitzbergen werden die Rentiere kleinerBild: DW/I.Quaile

Wärmere Temperaturen bringen weniger Schnee und stattdessen mehr Regen - und da liegt das Problem! Denn Schnee ist pulvrig und lässt sich leicht zur Seite schaufeln. Regen hingegen gefriert auf dem Boden und bildet eine bis zu fünf Zentimeter dicke Eisschicht, sagt Albon. "Die Rentiere kommen da nicht durch - nicht mal wir Menschen kämen da durch, wir bräuchten eine Axt."

Daher können die Tiere ihr Futter nicht mehr erreichen; auf Spitzbergen sind das meist Gräser und Kräuter. Die Rentiere beginnen zu hungern. Laut Albon ist das nicht nur auf Spitzbergen der Fall, sondern an allen arktischen Insel- und Küstengebieten.

Trend: abwärts

Darüber, dass Rentiere auf Spitzbergen kleiner werden, ist Steve Albon derzeit "nicht besorgt", sagt er. Denn auf dem norwegischen Archipel steigt der Rentierbestand derzeit an, vermutlich aufgrund der wärmeren Sommer. Auch die Yamal-Halbinsel in Sibirien leidet unter Rentier-Überbevölkerung. Die dortigen Behörden überlegen sogar, 100.000 Tiere zu erlegen, um der Übergrasung Herr zu werden.

Bei anderen Rentierbeständen allerdings sieht es nicht so rosig aus: Die Zahl der Tiere nimmt dort ab. Weniger Fressen im Winter könnte auf diese Herden einen dramatischen Effekt haben.

Letztes Jahr - ausgerechnet an Heiligabend - stufte die Weltnaturschutzunion IUCN den Gefährdungsstatus der Rentiere herauf: von "nicht gefährdet" auf "gefährdet". Der Grund: "Rentierbestände sind innerhalb von etwa 25 Jahren um 40 Prozent zurückgegangen", sagt Adolf Köhncke, Artenschutzexperte beim World Wide Fund for Nature (WWF).

Laut IUCN sind die Bestände von 4.800.000 auf 2.890.410 Tiere zurückgegangen. Darin eingeschlossen sind nicht nur die Rentiere in Europa und Asien, sondern auch die Karibus in Nordamerika, die der gleichen Art angehören, trotz unterschiedlicher Namen.

Rentiere ziehen Schlitten
Viele Rentiere sind domestiziertBild: picture-alliance/dpa

Bedroht durch globalen Wandel

In Kanada hat Anfang diesen Monats das Komitee zum Stand der bedrohten Tierwelt (COSEWIC) das Karibu als "in Schwierigkeiten" eingestuft. "Viele der großen nördlichen Karibuherden sind auf ein Rekordtief gefallen, und es gibt Grund zur Sorge, dass sie sich nicht mehr davon erholen werden", sagte Justina Ray vom Unterkomitee für terrestrische Säugetiere.

Futtermangel im Winter ist dabei nur eine von vielen Bedrohungen, vor denen die charismatischen Tiere stehen, sagt Köhncke. "Sie sind eine wandernde Tierart und damit besonders anfällig für Störungen." Straßen zerschneiden ihre Wanderrouten, neu errichtete Industrieanlagen halten die Rentiermütter davon ab, in Ruhe ihre Babys zur Welt zu bringen.

Hoch oben im Norden der Arktis wandern Rentiere auch über Meereis, um anderswo Nahrung zu finden. Wenn das Meereis aufgrund des Klimawandels verschwindet, lösen sich auch ihre Wanderrouten in Luft auf. US-Forscher bestätigten am Dienstag (13.12.2016), dass dieses Jahr ein Rekordjahr war: Nie zuvor war es in der Arktis so warm und die Meereisbedeckung so gering.

Alessia Uboni, jetzt an der Schwedischen Universität für Agrarwissenschaften in Uppsala, untersuchte die Rentierbestände in Europa und Asien. Während einige von ihnen noch stets zunehmen, reagieren sie dennoch sehr empfindlich auf Umweltveränderungen wie Wetteränderungen und den Verlust von Lebensraum. "Rentiere sind nicht nur von Klimawandel bedroht, sondern von globalem Wandel an sich", sagt Uboni der DW. "Es ist schwer, vorauszusagen, welche Bestände in Zukunft besonders stark einbrechen werden - aber in Gefahr sind sie alle."

Der Klimawandel kann auch unerwartete Ereignisse mit sich bringen wie den Anthrax-Ausbruch in Sibirien im August, erinnert Uboni. Eine Hitzewelle hatte einen vor langer Zeit eingefrorenen Rentierkadaver im Permafrost auftauen lassen und den Milzbrand-Erreger frei gesetzt. Die Krankheit tötete 2300 Rentiere und einen 12 Jahre alten Jungen.

Eisbär Knut im Berliner Zoo
Gibt es Eisbären bald nur noch im Zoo?Bild: picture-alliance/dpa/S. Stache

Auch Eisbären in Gefahr

Aber nicht nur Rentiere leiden unter dem Klimawandel. Wissenschaftler warnen, dass steigende Temperaturen in der Arktis in den kommenden Jahrzehnten auch die Eisbärenbestände um ein Drittel schrumpfen lassen werden. Die Studie des US-amerikanischen Fish and Wildlife Service wurde letzte Woche bei einem Treffen der American Geophysical Union in San Francisco vorgestellt.

Forscher beurteilten den Verlust des arktischen Meereises zwischen 1979 und 2015 und errechneten daraus, wie viel Eis und wie viele Bären in den kommenden Jahrzehnten verloren gehen werden. Derzeit gibt es laut Weltnaturschutzunion noch etwa 26.000 Eisbären. Die US-Forscher prognostizieren jetzt, dass der Bestand in den nächsten 35 bis 40 Jahren um etwa 8600 Tiere schrumpfen wird.

Also muss nicht nur der Weihnachtsmann in Zukunft vermehrt nach Rentieren suchen, die seinen Schlitten ziehen. Auch die beeindruckenden Eisbären könnten irgendwann von der Erde verschwinden. Und weiße Weihnachten gibt es in einigen Regionen der Welt schon länger nicht mehr.