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Die Gewinner der Press Freedom Awards

18. November 2021

Eine Chinesin berichtete über Corona in Wuhan, ein Rechercheverbund über einen weltweiten Ausspähskandal und eine Palästinenserin über den Tod eines Regierungskritikers. Nun erhalten sie den Pressefreiheitspreis 2021.

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Bild: Getty Images/AFP/B. Guay

Im Dezember 2019 breitet sich im zentralchinesischen Wuhan eine mysteriöse neue Lungenkrankheit aus. Noch ahnt niemand, dass sich daraus nur kurze Zeit später eine weltumspannende Pandemie entwickeln wird. Chinesische Behörden versuchen, das Problem kleinzureden. Doch die Infektionszahlen steigen immer rasanter an. Am 23. Januar 2020 wird die Stadt von der Außenwelt abgeriegelt - mehrere tausend Einwohner, so Expertenschätzungen, sind zu dieser Zeit bereits infiziert. 

Gefährliches Virus - gefährliche Berichterstattung

Anfang Februar 2020 schaffte es die unabhängige Journalistin Zhang Zhan aus Shanghai dennoch, nach Wuhan zu reisen und von dort aus über die dramatische Situation zu berichten. Für ihre furchtlose Berichterstattung hat Reporter ohne Grenzen (RoG) Zhang Zhan nun mit dem Press Freedom Award 2021 ausgezeichnet - in der Kategorie "Journalistischer Mut". Sie streamte Videos in sozialen Netzwerken, berichtete über überfüllte Krankenhäuser, überlastete Krematorien und eingeschüchterte Bürger. Mehrfach geriet sie dabei mit den chinesischen Behörden aneinander. Für die ist Zhang Zhan keine Unbekannte. Schon im September 2019 hatte die frühere Anwältin an einer Sympathiekundgebung für Hongkong teilgenommen. Sie wurde inhaftiert, trat in einen Hungerstreik und kam erst nach 65 Tagen Haft wieder frei.

China Journalistin Zhang Zhan
Die chinesische Journalistin Zhang Zhan befindet sich seit Monaten im Hungerstreik, um gegen ihre Inhaftierung zu protestierenBild: YOUTUBE/AFP

Einschüchtern ließ sich Zhang Zhan von all dem nicht. Sie berichtete weiter aus Wuhan - bis sie am 14. Mai 2020 verschwand. Erst später wurde bekannt, dass sie von der Polizei festgenommen, nach Shanghai zurückgebracht und dort ohne Anklage inhaftiert worden war. Im Dezember 2020 wurde die 38-Jährige zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie "Streit gesucht und Ärger provoziert" habe - eine gängige Formulierung zur Unterdrückung von Dissidenten. Aus Protest trat Zhang Zhan erneut in einen Hungerstreik, der bis heute andauert. Mittlerweile soll sie nur noch rund 40 Kilogramm wiegen. Sie wird über eine Magensonde zwangsernährt und rund um die Uhr fixiert, damit sie sich die Sonde nicht selbst entfernen kann. Trotz mehrerer Appelle internationaler Menschenrechtsorganisationen befindet sie sich weiterhin in Haft, ihr Leben ist weiter akut bedroht.Mit dem Press Freedom Award will Reporter ohne Grenzen auch auf ihr Schicksal aufmerksam machen. Seit 1992 würdigt die Organisation mit diesem Preis die Arbeit von Journalisten und Medien, die einen bemerkenswerten Beitrag zur Verteidigung oder Förderung der Medienfreiheit auf der ganzen Welt leisten.

China Wuhan | Coronavirus | leere Straßen
Am 23. Januar 2020 riegelte China die Millionenmetropole Wuhan quasi komplett von der Außenwelt abBild: Getty Images

Wer überwacht die Überwacher?

Einen solchen Beitrag leistete auch das "Pegasus-Projekt", ein internationales Konsortium von mehr als 80 Journalistinnen und Journalisten aus elf verschiedenen Ländern. Eigentlich soll die Überwachungssoftware "Pegasus" der israelischen NSO Group Staaten und deren Sicherheitsbehörden bei der Terrorabwehr helfen. Die Software wurde spätestens seit 2011 an mehrere Regierungen auf der ganzen Welt verkauft. Doch weltweit nutzten mindestens elf - autokratische wie demokratische - Regierungen sie auch dazu, Journalisten, Menschenrechtler oder Oppositionelle auszuspionieren. Zu diesen Ländern gehören unter anderem Mexiko, Saudi-Arabien, Aserbaidschan und Ungarn. Die DW berichtete bereits 2017 davon, dass Mexikos damalige Regierung Journalisten mithilfe der Software überwachen ließ.

Symbolfoto Pegasus Projekt
Über 80 Journalisten aus elf Ländern deckten gemeinsam einen weltumspannenden Ausspähskandal aufBild: Jean-François Frey//L'ALSACE/PHOTOPQR/MAXPPP7/picture alliance

Das Pegasus-Projekt konnte das ganze Ausmaß dieses Überwachungsskandals aufdecken und erhielt deshalb den diesjährigen Preis in der Kategorie "Wirkung". Basierend auf einem Leak von mehr als 50.000 Telefonnummern, die von der Spähsoftware ins Visier genommen wurden, enthüllten die Journalisten, dass weltweit allein fast 200 Medienschaffende ausspioniert wurden. Auf der Liste mit den möglicherweise ausgespähten Telefonanschlüssen fanden sich aber auch die Mobilfunknummern des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, des Europäischen Ratspräsidenten Charles Michel und des mexikanischen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador.

Israel | NSO Group
Die Pegasus-Software stammt von dieser Firma im israelischen HerzliyaBild: Jack Guez/AFP/Getty Iamges

Die Recherche warf ein Licht auf das Ausmaß der Überwachung, der Medienschaffende, Oppositionelle und Regierungskritiker in vielen Ländern ausgesetzt sind. RoG und zahlreiche Medien haben gegen diese Praktiken mittlerweile weltweit Klagen eingereicht. "Wir brauchen ein globales Sanktionsregime, das den Export solcher Technik in autoritäre Länder grundsätzlich verbietet und sanktioniert", fordert der deutsche RoG-Geschäftsführer Christian Mihr. "Denn solche Überwachungstechnik ist pressefreiheitsfeindlich und gefährdet im schlimmsten Fall Menschenleben."

Reporterin zwischen den Fronten

Auch die kritische palästinensische Journalistin Majdoleen Hassona stand schon seit langem unter Beobachtung: Mehrfach wurde sie von israelischen und palästinensischen Behörden gleichermaßen in ihrer Arbeit behindert und strafrechtlich verfolgt. "Ich kritisiere Israels Menschenrechtsverletzungen und die Verbrechen, die die israelische Armee gegen Journalisten begeht", sagte Majdoleen Hassona im Interview mit der DW, "und ich kritisiere die palästinensische Autonomiebehörde für Korruption und für die Einschränkung der Meinungsfreiheit und der freien Meinungsäußerung, und das hat mir auf beiden Seiten Schaden zugefügt." Ende 2015 wechselte sie zum türkischen Sender TRT und zog nach Istanbul. Zuvor hatte sie bei verschiedenen palästinensischen Medien gearbeitet - unter anderem war sie auch elf Monate lang als hauptverantwortliche Redakteurin von Dooz News tätig, einem Nachrichtenportal der DW Akademie, der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und der Universität Nablus.

Majdoleen Hassona
Die palästinensische Journalistin Majdoleen Hassona erhält den Press Freedom Award 2021 in der Kategorie "Unabhängigkeit"Bild: privat

Im August 2019 besuchte sie ihre Heimat. An einem israelischen Kontrollpunkt wurde ihr jedoch "aus Sicherheitsgründen" verweigert, das Territorium wieder zu verlassen. Verhängt wurde die Ausreisesperre vom israelischen Geheimdienst. Seitdem sitzt sie im Westjordanland fest. Das hielt sie aber nicht davon ab, von dort aus als Journalistin weiterzuarbeiten.

Palästina Protest gegen Autonomiebehörde nach Tot von Nizar Banat in Haft
Nach dem Tod des Regierungskritikers Nizar Banat im Juni 2021 kam es zu großen Protesten gegen die palästinensische AutonomiebehördeBild: Nasser Nasser/AP/dpa/picture alliance

Im Juni 2021 starb Nizar Banat, ein bekannter Kritiker der palästinensischen Autonomiebehörde. Seine Angehörigen erhoben schwere Vorwürfe, nach denen er von palästinensischen Sicherheitskräften zu Tode geprügelt worden sein soll. Als Majdoleen Hassona über den Fall und die Proteste gegen seinen Tod berichtete, wurde auch sie von palästinensischen Sicherheitsbeamten geschlagen. Sie erhält den Press Freedom Award in der Kategorie "Unabhängigkeit". In einer ersten Stellungnahme freute sie sich sehr über die Auszeichnung. "Der Freedom Award bedeutet mir sehr viel," sagte sie gegenüber der DW, "denn er wird nicht nur irgendeinem Journalisten verliehen" - sondern stellvertretend "jedem Journalisten, der Einschränkungen der Pressefreiheit ausgesetzt war, und der es verdient, seine Arbeit und sein Leben frei auszuüben." 

Thomas Latschan Bonn 9558
Thomas Latschan Langjähriger Autor und Redakteur für Themen internationaler Politik