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Reporter-Tagebuch Vietnam

25. Januar 2011

Peter Wozny fragt sich, ob er einen Beitrag über Windkraft in Vietnam mit Surfern aufpeppen darf.

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Surfer am Strand von Mui Ne, Vietnam (Foto: DW/Peter Wozny)
Bild: DW/Peter Wozny

Wir sitzen am Strand von Mui Ne an der Zentralküste Vietnams. Vor uns liegt das südchinesische Meer. Es ist halb 11. Um zwölf Uhr soll der Wind auffrischen. Diesen Wind brauchen wir. Er treibt hier Surfer aus der ganzen Welt aufs Wasser. Bisher treiben hier aber nur ein paar alte vietnamesische Fischerboote. In unserer Reportage berichten wir über die aufstrebende Windindustrie in Vietnam. Wir wollen Beispiele, die uns zeigen, wie kräftig der Wind hier tatsächlich weht. Den Tipp Mui Ne hat uns ein Bekannter in Saigon gegeben. Er sagte, dass hier der Surf-Spot mit dem besten Wind in Südasien sei. Surfen und Vietnam hatte ich bisher eigentlich nicht miteinander verbunden.

Fünf Stunden sind wir von Saigon hierher gefahren – knapp 200 Kilometer auf holpriger Piste, umgeben von den hunderten Mopeds, die Vietnams Straßen verstopfen. Fünf Stunden durch immergleiche vietnamesische Dörfer, bescheiden und rückständig. Niemand denkt unterwegs an die hippe Welt der Surfer. Ich bin nicht sicher, ob es angebracht wäre, einen Beitrag über dieses Land mit europäischen und amerikanischen Funsportlern aufzupeppen.

Dreharbeiten am Strand, im Hintergrund ein Kite, im Vordergrund Kameramann und Surflehrer (Foto: DW/Peter Wozny)
Surflehrer Matthew: Um 12 Uhr kommt der WindBild: DW/Peter Wozny

Flaute in Mui Ne: übersetzt heißt das Dorf "Windgeschützter Ort"

Um elf Uhr treffe ich Matthew. Er ist Kanadier und arbeitet hier als Surflehrer. “Der Ort hat mich angezogen. Eigentlich wollte ich nur ne Woche hier bleiben. Jetzt sind es schon acht Jahre”, sagt er. Seine Surfschule boomt. Jedes Jahr kommen mehr Touristen aus der ganzen Welt. Dabei ist die Anreise beschwerlich. Denn der nächste Flughafen ist der in Saigon. “Nirgendwo in ganz Asien weht der Wind so konstant und zuverlässig wie hier. Der Wind ist jeden Tag ist gleich, das ganze Jahr über”, erklärt Matthew. “Das spricht sich in der Surferszene herum. Außerdem kommen viele Rucksacktouristen, die ihr Glück auch einmal auf dem Surfbrett probieren wollen.”

Es ist mittlerweile halb zwölf und noch immer bewegt sich an den Palmen ringsherum kein Zweig. Doch so langsam wird es voll am Strand. Deutlich mehr Touristen als Vietnamesen. Matthew blickt prüfend zum Himmel, als wollte er daraus etwas ablesen. „Warte ab. Um zwölf kommt der Wind, sieben bis acht Windstärken von Nordwest.“

Bis vor 15 Jahren war Mui Ne noch ein armes Fischerdorf, geografisch begünstigt durch die Lage an einer lang gezogenen Bucht. Übersetzt bedeutet der Name „Windgeschützer Ort“. Es war auch nicht der Wind, sondern die Sonne, die Mui Ne bekannt gemacht hat: Im Oktober 1995 war in Vietnam eine totale Sonnenfinsternis zu sehen und von Mui Ne aus hatte man den besten Blick auf das Ereignis. Also kamen auch einige Fernsehteams in den abgelegenen Ort und schickten Bilder vom Strand um die ganze Welt. Kurz darauf meldeten sich die ersten Investoren. Ein Jahr später eröffnete das erste Resort. Mittlerweile reihen sich auf dem 10 Kilometer langen Küstenstreifen die Hotels aneinander. Keines ist älter als 15 Jahre. Die meisten liegen versteckt hinter Dünen und Palmen, keines hat mehr als zwei Etagen.

Viele Kiteschirme und Surfer auf dem Wasser (Foto: DW/Peter Wozny)
Volles Haus: Wenn der Wind weht will jeder aufs WasserBild: DW/Peter Wozny

Es ist kurz vor zwölf. Wind- und Kitesurfer stehen in den Startlöchern. Matthew steht mit einer Gruppe von Schülern am Strand. Engländer mittleren Alters, die nicht gerade sportlich wirken. Wahrscheinlich gehören sie zu den Rucksacktouristen, die Kitesurfen nur einmal probieren wollen. Matthew erklärt ihnen, wie sie den Schirm beim Kitesurfen halten müssen. „Zehn Minuten, dann kommt der Wind“, ruft er mir noch zu. Und tatsächlich: Um Punkt zwölf frischt der Wind auf – aus Nordwest. Nun wird es hektisch am Strand. Binnen Minuten füllt sich der Himmel mit Kiteschirmen, Windsurfer gleiten über die Wellen. Auf dem Wasser wird es eng. Die vietnamesischen Fischer in ihren Booten ergreifen die Flucht.

Die besseren Surfer sind hier aufgewachsen

Matthew hat jetzt alle Hände voll zu tun, damit seine Schüler nicht untergehen. Die Gruppe tut sich schwer – nach Funsport sieht es nicht aus. Der Ton untereinander wird schroffer. Zwei Vietnamesen helfen geduldig. Sie gehören zur Surfschule, haben hier wie zwölf ihrer Landsleute Arbeit gefunden. Pausenlos schleppen sie Material, holen immer wieder die Schirme aus dem Wasser, ertragen schlechte Launen der Touristen. Ein Knochenjob. Aber die beliebteste Arbeit hier im Ort, wie sie mir versichern. „Was macht euch daran Spaß?“ will ich wissen. Sie grinsen mich nur an.

Gegen vier Uhr am Nachmittag hocken die Engländer erschöpft und teilweise frustriert am Strand. Der Wind ist mittlerweile zu stark für sie. Auf dem Wasser wird es leerer – die Surf-Touristen kommen an den Strand zurück. Dort hält dagegen die beiden vietnamesischen Hilfskräfte der Surfschule nichts mehr. Sie schnappen sich Bretter und Schirme und rennen aufs Wasser. Was sie zeigen, lässt uns nur staunen. Slalomfahrten, Sprünge, spektakuläre Manöver – sie sind mit Abstand die besten Surfer am Strand von Mui Ne.

„Um kurz nach vier nimmt der Wind noch einmal zu“, erklärt mit Matthew. „Dann können nur noch die echten Cracks aufs Wasser. Die, die das ganze Jahr über trainieren können.“ Diese Cracks filmen wir fast zwei Stunden lang. Dann, gegen sechs Uhr, geht die Sonne unter.

Autor: Peter Wozny
Redaktion: Klaus Esterluß