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Revolutionszündsatz Internet?

7. Februar 2011

Die Proteste in Tunesien und Ägypten sollen durch das Internet mobilisiert worden sein. Im Iran löste Nedas Tod eine "Twitter-Revolution" aus. Erschaffen Web-2.0-Anwendungen Revolutionen?

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Fotomontage Twitter und Steinschleuder (Quelle: DW)
Bild: picture-alliance/ dpa/ DW-Fotomontage

Es war ein Bild, das um die Welt ging. Eine junge Iranerin protestiert auf den Straßen Teherans gegen den Wahlausgang bei den Präsidentschaftswahlen. Sie hat die Ungerechtigkeiten satt, will ihre Unzufriedenheit öffentlich zeigen. Plötzlich fällt sie nach hinten auf den Asphalt. Getroffen von Schüssen der iranischen Miliz. Männer schreien, Blut quillt ihr aus den Augen und dem Mund, eine Blutlache breitet sich unter ihrem Körper aus. Ihre Augen blicken starr. Die Frau stirbt. Ihr Name ist Neda. Aufgezeichnet werden die dramatischen Momente von einer Handykamera. Das Video wird massenhaft verbreitet, auf der Videoplattform Youtube oder dem Kurznachrichtendienst Twitter.

Nedas öffentlicher Tod wird zum Symbol der Proteste und stachelt die Unruhen im Iran weiter an. Evgeny Morozov, weißrussischer Wissenschaftler an der Stanford-Universität in den USA, Blogger und Autor, bezeichnet die Proteste damals als "Twitter-Revolution".

Nedas Tod auf Youtube (Foto: youtube.com)
Das Video, das Nedas Tod auf Youtube zeigtBild: youtube.com

Twitter funktioniert wie ein Kurznachrichtendienst, jeder Nutzer von Twitter kann 140 Zeichen lange Nachrichten ins Netz schreiben. Internetnutzer können die Nachrichten lesen und verbreiten. Sie verlinken die Nachrichten gegenseitig, antworten darauf und abonnieren die Einträge ihrer Freunde. Dadurch kann ein Schnellballeffekt entstehen. Dennoch hatten im Jahr 2009 zurzeit der Proteste schätzungsweise nur 0,02 Prozent aller Iraner ein Twitter-Konto. Die meisten Einträge waren auch in Englisch und nicht in Farsi. Kann man so eine Revolution in Gang setzen?

Evgeny Morozov (Foto: David Sasaki)
Erfand den Namen "Twitter-Revolution" - Evgeny MorozovBild: cc-David Sasaki-nc-sa.2.0

Evgeny Morozov sieht das heute skeptischer als damals. Twitter habe nur geholfen, die Informationen über die Ereignisse aus dem Land zu kriegen, sagt er. Es sei kein Hilfsmittel gewesen, um die Menschen auf die Straße zu bringen.

Als Anfang 2011 Menschen gegen die Regierungen in Tunesien oder Ägypten auf die Straße gehen, tauchte der Begriff der Internetrevolution wieder auf. Junge Menschen würden sich im sozialen Netzwerk Facebook verabreden und hätten so die Revolution gestartet, hieß es.

Flüsterpropaganda bleibt wichtig

Islamwissenschaftler Michael Lüders (Foto: dpa)
Islamwissenschaftler Michael LüdersBild: picture-alliance/ ZB

Nahost-Experte Michael Lüders sieht das Internet als Mittel der Kommunikation in unfreien Gesellschaften, wo die staatlichen Medien zensiert würden. Aber wenn die sozialen Proteste nicht in der Gesellschaft angelegt wären, dann würde das Medium Internet auch nichts nutzen, meint Lüders. Als wirksamster Katalysator einer Revolution fungiere immer noch die Mund-zu-Mund-Propaganda - gerade in Ägypten, wo nur gut ein Viertel der Bevölkerung online sind.

Dennoch fürchtete das ägyptische Regime den Revolutionsherd Internet so sehr, dass es gar das gesamte Land vom Netz nahm. Auch die Handynetze wurden gekappt. So verabredeten sich die Menschen ganz einfach und altmodisch per Festnetztelefon. Die Kommunikation fand wieder offline und direkt statt.

Gerade außerhalb von Kairo, in Alexandria, Suez oder auf dem flachen Land hätten die Menschen nicht unbedingt Zugang zum Internet. Sie seien sehr stark angewiesen auf die Flüsterpropaganda. Da müsse dann der Postbote die Nachrichten aus der Nachbargemeinde mitbringen, so Lüders.

Autor: Arne Lichtenberg
Redaktion: Kay-Alexander Scholz