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Literatur

"Dem Lautsein Paroli bieten"

Sabine Peschel
6. September 2019

Was kann Literatur gegen Hetze, Lügen und verrohte Sprache leisten? Im Rahmen der 14. Deutsch-Israelischen Literaturtage diskutieren Schriftsteller den Umgang mit dem Populismus und Polarisierung.

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Priya Basil
Bild: Heinrich Böll Stiftung/Stephan Röhl

Veranstaltungen wie die Deutsch-Israelischen Literaturtage werden natürlich sorgfältig und mit langem Vorlauf geplant. Doch als hätte der politische Zeitgeist Regie geführt, erkrankte der zur Eröffnung eingeladene österreichische Schriftsteller Franzobel an einer Lebensmittelvergiftung - und schon fand sich statt seiner Priya Basil (Artikelbild) auf der Bühne des Deutschen Theaters in Berlin. Man hätte sich aktuell keine passendere Neubesetzung vorstellen können als die mit indischem Hintergrund in London geborene, in Kenia aufgewachsene, seit 2002 und inzwischen als deutsche Staatsbürgerin in Berlin lebende Schriftstellerin, Publizistin und Demokratie-Aktivistin.

Denn dass nicht immer am erfolgreichsten ist, wer seine Stimme am lautesten erhebt, lässt sich gerade im britischen Parlament beobachten. Schmerzvoll blickt Basil auf die gespaltene britische Gesellschaft, in der sich die Lage ständig ändere. "Man ist immer verzweifelter und verunsichert", bekennt sie im Gespräch mit dem israelischen Autor Sami Berdugo. Schon sind die beiden Schriftsteller mitten im Thema: Wie soll man umgehen mit den immer lauter werdenden populistischen Stimmen in Israel und in vielen Ländern Europas? Und welche Antwort kann die Literatur angesichts des steigenden Lärmpegels in demokratischen Ländern liefern? Was können Schriftsteller dazu beitragen, um eine zunehmende Polarisierung, möglicherweise sogar eine Spaltung in demokratischen Gesellschaften zu verhindern?

"Die Kultur wird in den Dienst der nationalen Erzählung gestellt"

"Lauter, immer lauter?", das als Frage formulierte Motto der Literaturtage klinge wie ein Kommentar zur europäischen Debattenkultur, meint Ellen Ueberschär. Die Theologin, eine von zwei Vorständen der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung, eröffnete gemeinsam mit dem Präsidenten des Goethe-Instituts Klaus-Dieter Lehmann die Literaturtage, bei der sich acht Autorinnen und Autoren in Berlin begegnen. Ihr Rezept: "Genaues Beschreiben, Hinsehen, Lesen, aber auch zuhören, reden, streiten."

Dr. Ellen Ueberschär
Die Theologin Ellen Ueberschär plädiert für "zuhören, reden, streiten"Bild: Heinrich Böll Stiftung/Stephan Röhl

Was Ueberschär als "Angebot, dem Lautsein Paroli zu bieten", formuliert, erscheint eine Selbstverständlichkeit. Wie schwierig eine unideologische Auseinandersetzung tatsächlich in der heutigen politischen Landschaft geworden ist, erläutert Klaus-Dieter Lehmann am Beispiel der Debatte um das Jüdische Museum in Berlin, bei der es um die Definitionsmacht des Jüdischen ging. Gehört zum Judentum neben dem Glauben auch die Offenheit zur kontroversen Diskussion, zur Kritik? Oder sollte das Museum eine reine Schau des Judentums sein, wie eine von der rechts-konservativen israelischen Regierung initiierte Kampagne immer lautstarker forderte? Wo populistische Parteien die Regierung stellten, ließe sich politische Einflussnahme auf den Kulturbetrieb beobachten. "Zensur oder Selbstzensur bestimmen, und nicht die Freiheit der Kunst." Das drohe aktuell auch in Israel.

"Wir müssen die eigene Stimme finden!"

Wie sieht das ein Betroffener? "Wir müssen wachsamer sein in Hinblick auf die Manipulationen der Sprache", fordert Sami Berdugo. Der 1970 als Sohn marokkanischer Einwanderer in Israel geborene Schriftsteller und Drehbuch-Autor bekennt sich zwar ganz und gar zu seinem Land, aber er ist wütend. "Die hebräische Sprache ist mein Zuhause, Sprache ist mein Lebensmittelpunkt." Doch der Populismus nutze die Sprache zynisch. "Alle schreien. Um uns herum wird es immer lauter. Wir können noch nicht einmal mehr uns selber hören. Wir sollten innehalten und unsere persönlichen Stimmen neu erfinden, um die eigenen Stimmen dem Populismus entgegensetzen zu können."

Sami Berdugo
Populismus nutze die Sprache zynisch, kritisiert der israelische Schriftsteller Sami BerdugoBild: Heinrich Böll Stiftung/Stephan Röhl

Seit zwanzig Jahren habe man eine Regierung, die immer rechter werde und die ihre Energie im Wahlkampf verschwende. "Ich habe das Gefühl, als entziehen sich die Parteispitzen und die Minister konsequent der inhaltlichen politischen Debatte." Genau hinsehen und hinhören, das fordert auch Berdugo, um sich nicht von Populisten verführen zu lassen, die scheinbar die Sprache des Volkes sprechen. "Das Volk darf keinen Pakt der Sprache und Identität mit der Herrschaft eingehen!"

"Wir sollten mutiger und freier sein!"

Anders, mutiger und freier zu sein, mehr und neue Räume für Begegnungen in der Politik zu schaffen, dafür setzt sich Priya Basil ein. Ein gemeinsamer europäischer Feiertag könnte eine Einladung dazu sein, glaubt sie. Die britisch-indisch-deutsche Kosmopolitin öffnete am Ende des Abends einen gedanklichen Freiraum, der die Abgrenzungen und den Lärm der Populisten in sich aufsog und zerstieben ließ.

Die Deutsch-israelischen Literaturtage sind eine Zusammenarbeit der Heinrich-Böll-Stiftung und des Goethe-Instituts. Zu Gast sind in diesem Jahr Dov Alfon, Friedrich Ani, Sami Berdugo, Maayan Ben Hagai, Franzobel, Dilek Güngör, Mati Shemoelof und Tijan Sila, die am 8. September die Diskussion fortsetzen.

Sami Berdugo lehrt Kreatives Schreiben an der Universität Tel Aviv. Sein preisgekrönter Roman "An Ongoing Tale Upon Land" erschien 2014. Er liegt auf Englisch vor, eine deutsche Übersetzung gibt es noch nicht.

Priya Basils neues Buch "Gastfreundschaft" (Be My Guest) - ein hybrider Text aus Essay und Memoiren - erschien im März 2019 bei Suhrkamp / Insel. Die englische Ausgabe erscheint im November 2019 in Großbritannien und in den USA. Sie ist Mitbegründerin von Authors for Peace, einer politischen Plattform für SchriftstellerInnen und KünstlerInnen, die 2010 gegründet wurde.