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"Richter Tacheles"

Johanna Schmeller13. April 2012

Kein deutscher Richter hat mehr Terrorismus-Prozesse geführt als Ottmar Breidling. Bekannt ist er für seine klaren Worte und kreativen Ermittlungsmethoden. Jetzt ist er zwar Pensionär, bleibt aber juristisch aktiv.

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Richter Ottmar BreidlingBild: picture-alliance/dpa

Die "Kofferbomber", der "Kalif von Köln", 18 Mitglieder der Arbeiterpartei Kurdistans PKK: Vor keinem deutschen Richter saßen mehr Extremisten auf der Anklagebank als vor Ottmar Breidling. Schnell verpassten ihm die Medien den Titel "Richter Tacheles". Stolz sei er darauf nicht, sagt er, jedoch: "Ich stehe zu diesem Spitznamen, denn er trifft das, was ich möchte."

Seine Botschaft: Auch und gerade Terrorismusprozesse müssten so geführt werden, "dass nach außen sichtbar wird, dass ein wehrhafter Rechtsstaat mit solchen Herausforderungen umgehen kann." Wenn Ottmar Breidling über seine berufliche Vergangenheit spricht, fällt auf, wie klar und druckreif er erzählt. Ruhig berichtet er Fakten, mit Bewertungen oder persönlichen Informationen bleibt er zurückhaltend. In minutenlangen Sequenzen spricht er über seine "Leitlinien", über "Werte" und über "Regeln" - verliert dabei aber niemals den Faden.

Berufswunsch Arzt, dann Anwalt

"Sich einzusetzen für die Dinge, die man für richtig hält" hat für Ottmar Breidling einen familiären Hintergrund: So sei ein Patenonkel für ihn ein menschliches und moralisches Vorbild gewesen. Dieser hatte im Dritten Reich jüdische Bankhäuser vertreten. In der Reichskristallnacht war das Wohnhaus des Onkels verwüstet worden, ein Flügel wurde durch den Erker in den Garten geworfen und am nächsten Morgen stand die Schmiererei "Judenanwalt" an der Außenwand.

Metin Kaplan
Der selbsternannte "Kalif von Köln", Metin Kaplan - ein Fall von vielen für Ottmar Breidling.Bild: picture-alliance/dpa/dpaweb

Ottmar Breidling selbst wollte jedoch zunächst Arzt werden. Ein Semester Medizin in Köln hatte er schon hinter sich, als er 1967 einen Studienplatz in Berlin bekam. "Meine Eltern hatten Bedenken, ob dieses Getümmel das Richtige sei", bemerkt er. "Ich hatte diese Sorge eigentlich nicht". Dennoch nahm er lieber ein Jurastudium im Rheinland auf. Als ihm die Kanzleien, bei denen er sich nach seinem Abschluss vorstellte, rieten, zunächst ein bis zwei Jahre als Richter zu arbeiten, kam er an das Landgericht Düsseldorf – "und dort bin ich dann erst einmal hängen geblieben".

Rechtsextremismus im Osten

Im Justizministerium in Potsdam leitete Breidling anschließend das Referat für Bekämpfung von extremistischen Straftaten, führte dann die Fachaufsicht über Staatsanwaltschaft Potsdam, die sich vor allem mit rechtsextremistischen Verfahren befasst. Die ersten Vorfälle, die Breidling nachhaltig beeindruckt haben, waren daher Brandanschläge auf Asylbewerberheime in der ehemaligen DDR.

Oberlandesgericht Düsseldorf
Das OLG Düsseldorf: in den 80er Jahren Schauplatz des Verfahrens gegen Angehörige der PKKBild: Presse Oberlandesgericht Düsseldorf

Auch ein dunkelhäutiger Arbeiter, der mit seinem Wagen bis in einen Unfall gehetzt wurde und seither querschnittsgelähmt war, Aufmärsche von Rechtsradikalen vor den Geburtstagen von Nazigrößen – das sind Ereignisse, von denen er bis heute anschaulich erzählen kann.

"Auf alles vorbereitet sein"

Beim Oberlandesgericht Düsseldorf war Ottmar Breidling schließlich in den 1980er Jahren am aufsehenerregenden Verfahren gegen Angehörige der PKK beteiligt. Sechs Tage die Woche kam er zu dieser Zeit ins Büro, um sich ungestört durch die Aktenberge zu schaufeln, und auch später bleibt ihm diese Gewohnheit erhalten – den Beschwerden seiner Ehefrau zum Trotz. "Für uns Richter war der PKK-Prozess ein berufliches Straflager", berichtet er. "Wir waren zu fünft, dazu zwei Ergänzungsrichter, und es gab bis zu 60 Anwälte und viel mehr Angeklagte, als in den Verfahren zuvor." Über viereinhalb Jahre beschäftigen ihn die Vorwürfe gegen die PKK, ihre Morde und Straftaten – aber auch die Strategien der Verfahrensführung gegen Terroristen. "Ich denke, dass wir hier eine Verhandlungsart entwickelt haben, die uns erlaubt, die Verfahrensherrschaft zu behalten: Das Gericht sagt, wo's langgeht."

Schritt für Schritt setzt Breidling klare Regeln durch, auch in den folgenden Prozessen gegen islamistische Führer: Den Attentäter, der am Kölner Hauptbahnhof einen Koffer mit Sprengstoff abgestellt hatte, verurteilte er 2008 zu lebenslanger Haft. Im "Sauerland-Verfahren" verhängte er langjährige Freiheitsstrafen gegen die vier Angeklagten der Terrorgruppe "Islamische Jihad Union", weil sie Anschläge auf amerikanische Einrichtungen in Deutschland geplant hatten.

Wenn Richter den Raum betreten, haben die Angeklagten aufzustehen. Während der Prozesstermine wird im Gerichtssaal nicht laut gebetet. Störer lässt Breidling entfernen. Und nicht nur über die Frage, ob "Häkelmützchen" aus religiösen Gründen getragen werden müssten, gibt er ein Gutachten bei einem Islamwissenschaftler in Auftrag.
"Ich versuche, auf alles vorbereitet sein, jedes mögliche Szenario bereits im Geiste durchgespielt zu haben, bevor es eintritt", fasst er zusammen. "Das erfordert Fleiß, ermöglicht es aber, schnell zu handeln. Man darf sich von nichts überraschen lassen."

Mit Technik gegen Terror

Daneben beschäftigt sich Breidling mit modernsten Ermittlungsverfahren. Wer heute den Computer "nur mehr als bessere Schreibmaschine" nutze, sei in der Terrorbekämpfung sicher falsch. Bei den Ermittlungen gegen die Anti-Imperialistische Zelle lässt er erstmals GPS-Verfahren als Ermittlungsmethode zu - eine Entscheidung, in der ihn Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht im Nachhinein bestärken.

Im Kofferbomberprozess habe er erfahren, welche Bedeutung die Bildüberwachung öffentlicher Räume habe: "Ohne die Videoüberwachung des Bahnhofs in Köln wäre es nicht möglich gewesen, die Täter zu überführen", sagt Breidling bestimmt. Heute sei vor allem die Verbesserung der Bildraumüberwachung von Privatwohnungen nötig: "Da würde ich mir sehr wünschen, dass man die für Rechtsanwender handhabbarer macht".

Seine Erfahrungen und Ratschläge will der 65-Jährige jetzt in Seminaren weitertragen. Vor allem aber will er jungen Kollegen "Mut machen, alle Möglichkeiten der Strafprozessordnung auszunutzen". Ein Amtsstübchen im Oberlandesgericht Düsseldorf ist ihm dafür erhalten geblieben. Etwa zwei Tage pro Woche sitzt er derzeit darin. Geändert, sagt er, habe sich in den ersten Wochen seines Ruhestandes nur sein "Sonntagabend-Gefühl". Aber: "Ich werde auch jetzt nicht an sieben Tagen der Woche Golf spielen", scherzt er. Eher werde er ein Handbuch für Richter und Staatsanwälte schreiben – über jene Themen, die ihn sein ganzes Leben begleitet haben.

Kofferbomberprozess
Der Angeklagte im Kofferbomberprozess, Youssef El H., im GerichtssaalBild: picture-alliance/dpa