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Richterliche Klatsche für EU-Asylpolitik

21. Januar 2011

Griechenlands Umgang mit Flüchtlingen aus Nicht-EU-Ländern ist menschenrechtswidrig, urteilt der europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Auch das EU-Asylsystem stellten die Richter indirekt in Frage.

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Flüchtlinge hinter einem Maschendrahtzaun: Ein Auffanglager in der griechsichen Grenzregion Evros (Foto: dpa)
Eingesperrt: Flüchtlinge in einem griechischen AuffanglagerBild: picture alliance / dpa

Die Große Kammer des Menschenrechtsgerichtshofs in Straßburg hat Griechenlands Umgang mit Asylbewerbern für menschenrechtswidrig erklärt. Sowohl das in Artikel 3 der Menschenrechtskonventionen verankerte Verbot unmenschlicher und erniedrigender Behandlung als auch das Recht auf wirksame Rechtsbeschwerde im Artikel 13 seien von Griechenland verletzt worden, erklärten die Straßburger Richter in einem Grundsatzurteil.

Auch die Überstellung von Asylbewerbern nach Griechenland stellt einen Verstoß gegen die Menschenrechtskonventionen dar, urteilten die Richter. Sie gaben damit der Beschwerde eines afghanischen Asylbewerbers Recht, der gegen Griechenland und Belgien Anklage erhoben hatte.

Schwerwiegende Vorwürfe und ein eindeutiges Urteil

Der afghanische Flüchtling hatte gegen die menschenunwürdigen Zustände in den griechischen Flüchtlingslagern und gegen seine Abschiebung von Belgien nach Griechenland geklagt. Er war 2009 über die Türkei und Griechenland nach Belgien eingereist und hatte hier Asyl beantragt. Die belgischen Behörden hatten ihn jedoch noch in demselben Jahr nach Griechenland zurückgeschickt. Grundlage für die Abschiebung war die seit 2003 geltende sogenannte "Dublin-II-Verordnung" des europäischen Asylrechts. Diese sieht vor, dass für ein Asylverfahren grundsätzlich der EU-Mitgliedsstaat zuständig ist, in dem ein Flüchtling die Schengen-Grenze überschritten hat.

Minderjährige Flüchtlinge protestieren durch die Gitterstäbe für ihre Freiheit(Foto: dpa)
Hoffnungslos überfüllte Lager - nur eines von Griechenlands AsylproblemenBild: Picture-Alliance/dpa

Wie die Richter in Straßburg erklärten, habe Belgien zwar nach geltendem EU-Recht gehandelt, nicht jedoch im Einklang mit der europäischen Menschenrechtskonvention. Durch seine Rückführung nach Griechenland habe der Mann herabwürdigende und unmenschliche Behandlung erfahren. Zudem droht ihm angesichts der gravierenden Mängel im griechischen Asylsystem die Abschiebung in seine Heimat Afghanistan, ohne eine angemessene Bewertung seiner Asylgründe, so die Richter. Darüber hinaus habe der Mann keine ausreichenden Möglichkeiten gehabt, gegen seine Abschiebung nach Griechenland rechtliche Schritte einzuleiten.

Nach Ansicht der Straßburger Richter hätten die belgischen Behörden die Lage in Griechenland vor der Rückführung des Flüchtlings prüfen müssen, zumal bereits damals eine Empfehlung des UN-Flüchtlingskommissariats vorlag, Überstellungen von Flüchtlingen nach Griechenland wegen der dort herrschenden Missstände auszusetzen.

Ein Urteil mit potenziell weitreichenden Folgen

Das Urteil der Straßburger Richter ist weit über den Einzelfall hinaus von Bedeutung, stellt es doch das derzeitige europäische Asylrecht und dessen Dublin-II-Verordnung aus menschenrechtlicher Sicht in Frage. Menschenrechtsorganisationen wie Pro Asyl bemängeln bereits seit Jahren, dass in der Europäischen Union die Verantwortung für den Flüchtlingsschutz pauschal den EU-Staaten an der Außengrenze des Schengener Abkommens zugeschoben wird. Auch die individuellen Bedürfnisse der betroffenen Flüchtlinge blieben dabei völlig außen vor, sagt Pro Asyl.

Anders sehen es dagegen die EU-Innenminister: Sie wollen vorerst an der Dublin-II-Verordnung festhalten, da sich diese grundsätzlich bewährt habe. Stattdessen plädieren die EU-Innenminister dafür, EU-Staaten wie Griechenland, in denen die Flüchtlingslage menschenrechtswidrig ist, dabei zu unterstützen, die vorherrschenden Missstände zu beseitigen. Großbritannien, Schweden, Norwegen und Island hatten bereits zu diesem Zweck wie auch aus humanitären Gründen, die Rückführung von Asylbewerbern nach Griechenland vorerst gestoppt. Mitte dieser Woche entschied sich auch Deutschland zu diesem Schritt.

Einjähriger Abschiebestopp

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (Foto: AP)
Bundesinneminister de Maizière will an der Dublin-II-Verordnung festhaltenBild: dapd

Angesichts der katastrophalen Bedingungen in den hoffnungslos überfüllten griechischen Flüchtlingslagern hatte Deutschland am Mittwoch die Rückführung von Asylsuchenden nach Griechenland für ein Jahr ausgesetzt. Bundesinnenminister Thomas de Maizière forderte die zuständigen Behörden in Griechenland auf, den einjährigen Abschiebestopp aus Deutschland zu nutzen, um die Situation der Flüchtlinge in Griechenland zu verbessern.

Die Zustände in den griechischen Auffanglagern sowie auch der Umgang der Behörden mit den Flüchtlingen seien "kritikwürdig" und entsprächen nicht den in der Europäischen Union selbstverständlichen Menschenrechtsstandards, sagte de Maizière.

Griechenlands Innenminister Christos Papoutsis betonte bei dem Treffen der EU-Innenminister am Donnerstag im ungarischen Gödöllö, dass sein Land bestrebt sei, die Situation in den Aufnahmelagern zu verbessern und das Asylverfahren des Landes zu modernisieren.

Autorin: Tanja Schmidt (dapd, dpa, epd, kna)
Redaktion: Fabian Schmidt