1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Ricken: "Hohe Belastung für Jugendspieler"

Andreas Sten-Ziemons17. September 2013

Ex-Bundesliga-Profi Lars Ricken ist Jugendkoordinator bei Borussia Dortmund, deren U19 ab dieser Woche in der UEFA Youth League spielt. Eine sportliche Herausforderung, über die Ricken aber nicht sehr glücklich ist.

https://p.dw.com/p/19jSL
BVB-Nachwuchskoordinator Lars Ricken (Foto: Federico Gambarini/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

DW: Herr Ricken, ist die UEFA Youth League, die nun parallel zur Champions League startet, ein Fluch oder ein Segen?

Lars Ricken: Das muss man von Land zu Land differenziert betrachten. Wir sind gerade nicht besonders glücklich damit. Aber wir sind auch deutlich professioneller aufgestellt als andere Länder. Wir haben die Junioren-Bundesliga, Jugend-Nationalmannschaften und Verbandsauswahl-Maßnahmen. Wir kooperieren mit Schulen, um die Belastung der Jugendlichen besser steuern zu können. Dass sich Vereine aus anderen Ländern freuen, dass sie jetzt gegen international hochkarätige Mannschaften spielen können, ist klar. Aber wir haben ein bisschen Sorge, weil unsere Jungs schon jetzt sehr stark ausgelastet sind.

Die U19-Spieler sind zwischen 17 und 19 Jahren alt. Wie viel Zeit investieren diese Spieler in den Fußball?

Es gibt einen freien Tag in der Woche, ansonsten ist an jedem Tag nachmittags anderthalb bis zwei Stunden Training, dazu kommt am Wochenende jeweils ein Spiel. Wer darüber hinaus die Möglichkeit hat, trainiert zweimal in der Woche auch noch am Vormittag. Dazu kommt die allgemeine schulische Belastung, die man nicht unterschätzen darf: Die Jungs stehen in der Regel gegen 6:30 Uhr auf und fahren zur Schule. Dort lernen sie bis zum Nachmittag. Dann kommen sie zu uns zum Training. Das beginnt gegen 18 Uhr. Danach geht es wieder nach Hause. Da nicht alle in Dortmund leben, muss man hier noch die An- und Abfahrtswege berechnen. Unterm Strich sind die Jungs von morgens halb sieben bis abends halb neun aus dem Haus. Und das machen sie nicht nur einmal in der Woche sondern fünfmal. Daran sieht man schon, wie hoch die Belastung ist. Darüber hinaus haben alle vier deutschen Teilnehmer an der Youth League auch noch den einen oder anderen Jugend-Nationalspieler dabei. Die sind permanent auch mit den Auswahlmannschaften unterwegs. Mario Götze hat beispielsweise 2009 bei der U17-Europameisterschaft mitgespielt. Im halben Jahr vorher hat er in der Schule 200 vom DFB entschuldigte Fehlstunden gehabt, weil es vor der EM so viele Lehrgänge gab. Da fragt man sich schon: Wie will ein Schüler da noch sein Abitur machen?

Die Jugendspieler der U19-Mannschaft von Borussia Dortmund im Spiel gegen Rot-Weiß Oberhausen.
Viele Jugendspieler haben einen straff organisierten Tagesablauf:Bild: picture-alliance/augenklick/firo Sportphoto

Im Fall Julian Draxler hat der damalige Schalker Trainer Felix Magath empfohlen, die Schule abzubrechen. Gibt es Fälle, in denen es sinnvoll ist, sich sofort voll und ganz auf den Fußball zu konzentrieren?

Ich glaube, man muss jeden Fall individuell betrachten. Natürlich war der Aufschrei bei Julian Draxler groß, aber wenn man sich den Vertrag anschaut, den er bei Schalke unterschrieben hat, und seine Talentprognose, dann kann man sagen: Okay, er hat im Falle einer Verletzung immer noch die Möglichkeit, sein Abitur nachzumachen. Bei uns in Dortmund gab es den Fall Mario Götze. Er hatte das klare Ziel, Abitur zu machen. Aber seine Entwicklung verlief letztlich so schnell, dass er sich entschieden hat, nach der zwölften Klasse die Schule zu beenden. Damit hatte er zumindest sein Fachabitur. Anschließend hat er bei uns im Verein noch eine Ausbildung gemacht, sodass das Fachabitur auch angerechnet wurde. Ich glaube, bei Mario war das genau die richtige Entscheidung. Aber das würde man auch keinem Spieler raten, bei dem die Talentprognose so aussieht, dass er möglicherweise maximal in unserer U23 landet.

Wie läuft die Absprache mit den Schulen, wenn – wie jetzt durch die Youth League – Fehlzeiten entstehen?

Das Versäumte muss natürlich nachgearbeitet werden. Wenn es Probleme in der Schule geben sollte, sorgen wir als Verein für Nachhilfe und lassen unsere Spieler nicht alleine. Bei der Youth League werden wir es individuell halten. Wir haben eine sehr glückliche Auslosung erwischt. Spieler, die nicht zusätzlich in der Jugend-Nationalmannschaft spielen, müssen in erster Linie nur zweimal für zwei Tage aus der Schule. Jetzt für das Spiel in Neapel und im Dezember für das Spiel in Marseille. Das Spiel beim FC Arsenal im Oktober liegt in den Herbstferien. Und vier Fehltage in einem Halbjahr, das kann keine Ausrede sein, weshalb man seinen Abschluss nicht schafft. In der vergangenen Saison haben wir in der "Next Gen Series" gespielt, einer Art Vorgänger der Youth League. Dort haben unsere U19-Nationalspieler gar nicht gespielt und die U18-Nationalspieler nur zu 30 oder 40 Prozent, weil bei ihnen die Belastung ohnehin schon so hoch war.

Wenn man den Altersdurchschnitt der Bundesligamannschaften betrachtet, fällt auf, dass er in den vergangenen zehn Jahren um zwei Jahre auf etwas über 25 Jahre gesunken ist. Immer mehr junge Spieler tauchen in den ersten Mannschaften auf. Ist das eine Entwicklung, die sie begrüßen?

Wir wollen die Entwicklung natürlich immer so schnell wie möglich vorantreiben, aber es ist uns auch wichtig, dass die Jungs soviel Zeit bekommen, wie nötig ist und dass sie nicht in jungen Jahren schon verheizt werden. Aber, dass das Durchschnittsalter sinkt – und gefühlt ist es ja noch niedriger als 25 – ist die Konsequenz aus der Jugendarbeit der Vereine. Dadurch sind die Jungs viel früher in der Lage, einer Bundesligamannschaft zu helfen. Dort hat gleichzeitig auch ein Umdenken stattgefunden. Im Aufgabenprofil eines Bundesligatrainers steht ja heute ziemlich klipp und klar, dass es ein Ziel ist, Spieler aus dem eigenen Nachwuchs zu Bundesliga-Spielern auszubilden. Ich denke, Dortmund ist ein gutes Beispiel. Denn wenn bei uns vier oder fünf Spieler aus der eigenen Jugend auf dem Rasen stehen, dann schafft das eine ganz besondere Identifikation zwischen Mannschaft und Fans. Außerdem haben wir in diesem Sommer rund 40 Millionen Euro durch Transfers ehemaliger Jugendspieler eingenommen – einen Großteil davon natürlich für Mario Götze. Aber das alles ist heute im Bewusstsein der Vereine.

Mario Götze. (Foto: David Ramos/Getty Images)
Mario Götze fehlte wegen seiner Fußballkarriere oft in der Schule.Bild: Getty Images

Werden die jungen Spieler heute früher reif, weil sie in Leistungszentren ausgebildet werden und die Anforderungen so hoch sind?

Definitiv! Unreife Spieler werden es immer schwerer haben, sich in der Bundesliga durchzusetzen, weil man die ganzen eben genannten Belastungen nur wegsteckt, wenn man schon in jungen Jahren sehr erwachsen ist und denkt. Man muss sehr diszipliniert und fokussiert sein. Da sind ja heute keine Typen wie Mario Basler mehr dabei, die in der Halbzeitpause noch eine Zigarette rauchen. Und bei der Belastung und dem Tagesablauf, den die Jungs haben, ist das auch nicht mehr möglich. Deswegen sind die jungen Spieler heute auch im mentalen Bereich sehr stark, wenn sie im Seniorenbereich ankommen und sie haben dann auch Vorbilder, wie man sich verhalten muss – auch in der Öffentlichkeit. Das alles wissen die Jungs heutzutage.

Sie selbst sind mit 17 Jahren in die erste Mannschaft von Borussia Dortmund gekommen und haben ihre ersten Bundesliga-Spiele gemacht. War es aus ihrer Sicht damals oder heute schöner, als sehr junger Spieler diesen Schritt zu machen?

Das ist schwer zu beantworten. Als ich damals die ersten Male in die Kabine kam, war ich 17 und alle anderen waren um die 30. Das war nicht einfach. Nachdem ich mich dann in die Mannschaft gespielt hatte – und wir hatten Mitte der Neunziger eine sehr gute Mannschaft – ist es immer einfacher geworden. Wenn heute ein Achtzehnjähriger in die Kabine kommt, hat er mit Begrüßungshandschlägen bei gestandenen Profis kein Problem mehr. Jung und Jung verstehen sich dann auch gut. Deshalb ist es gerade bei Borussia Dortmund mit der Altersstruktur, mit den Typen und dem Trainer nicht undankbar, als junger Spieler in die Mannschaft zu kommen. Da kann man sich sehr schnell sehr wohl fühlen. Es ist schwer zu vergleichen, weil die Situation heute anders ist als bei mir vor zwanzig Jahren. Aber: Wenn du Qualität hast, dann setzt du dich am Ende immer durch.

Lars Ricken machte sein erstes von insgesamt 301 Bundesligaspielen für Borussia Dortmund im Alter von 17 Jahren. Er gewann in seiner Karriere unter anderem die U16-Europameisterschaft, die Champions League, den Weltpokal und er wurde dreimal deutscher Meister. Heute arbeitet er als Jugendkoordinator beim BVB und kümmert sich um den Nachwuchs der Schwarz-Gelben.

Das Gespräch führte Andreas Sten-Ziemons