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Politik

Riskante Evakuierungen in Kabul

21. August 2021

Die Bundeswehr fliegt weiter Menschen aus Afghanistan aus. Ziel ist das benachbarte Usbekistan. Die Evakuierung bleibt schwierig und gefährlich. Es ist ein Rennen gegen die Zeit.

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Afghanistan I Evakuierung am Flughafen Hamid Karzai
Am Kabuler Flughafen warten Tausende auf die Möglichkeit, ausreisen zu könnenBild: Mark Andries/US MARINE CORPS/AFP

Die Evakuierung von Menschen aus der afghanischen Hauptstadt Kabul durch die Bundeswehr ist inmitten chaotischer Verhältnisse am Flughafen zeitweise ins Stocken geraten. Zwei am Samstag gestartete deutsche Flieger konnten nur sieben beziehungsweise acht Personen nach Usbekistan bringen, wie die Bundeswehr auf Twitter mitteilte. Ein späterer Bundeswehr-Transporter nahm dann wieder deutlich mehr Schutzbedürftige an Bord. Er konnte 205 Menschen aus dem von den militant-islamistischen Taliban eroberten Land ausfliegen. "Wir nehmen jeden zu Schützenden mit, der am Flugzeug ist", erklärte das Verteidigungsministerium.

Helikopter nach Kabul verlegt

Um die Einsatzfähigkeit zu erhöhen, verlegte die Bundeswehr zwei kleinere Hubschrauber nach Kabul. Die wendigen Helikopter sollen "kleinere Gruppen im Stadtgebiet aufzunehmen und sicher zum Flughafen transportieren", teilte die Bundeswehr mit. Die Hubschrauber werden nach Angaben von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer in Abstimmung mit den Amerikanern und den anderen Partnerstaaten vor Ort eingesetzt.

Die Bundeswehr hatte Anfang der Woche ihre Evakuierungsaktion für Deutsche und afghanische Ortskräfte gestartet, bislang brachte sie nach eigenen Angaben rund 2100 Menschen in die usbekische Hauptstadt Taschkent. Von dort werden die Evakuierten weiter nach Deutschland gebracht.

Probleme bei der Evakuierung gibt es nach wie vor. Das Auswärtige Amt twitterte: "Sicherheitslage am Flughafen in Kabul ist weiterhin äußerst gefährlich, Zugang zum Flughafen häufig nicht möglich." Später hieß es vom Außenamt, die Tore würden kurzfristig geöffnet und geschlossen. "Situation bleibt gefährlich & volatil."

USA haben 17.000 Menschen ausgeflogen

US-Generalmajor William Taylor sagte im Pentagon, Eingangstore seien in den vergangenen 24 Stunden nur kurzfristig geschlossen worden, damit "die richtigen Leute" hätten passieren können. Die US-Streitkräfte hätten in den vorangegangenen 24 Stunden rund 3800 Menschen in Sicherheit gebracht. Seit Beginn der Evakuierungsmission in Afghanistan vor einer Woche hätten die US-Militärs 17.000 Menschen aus Kabul ausgeflogen.

Afghanistan I Evakuierung am Flughafen Hamid Karzai
Trotz Not und Angst in Kabul - es gibt auch berührende, schöne SzenenBild: Davis Harris/US MARINE CORPS/AFP

In Medienberichten heißt es, dass sich Menschen aus allen Gesellschaftsschichten am Flughafen Kabul befänden. Er habe Schauspieler in der Menge gesehen, bekannte Fernsehpersönlichkeiten, Jugendliche, Frauen mit neugeborenen Babys oder Menschen im Rollstuhl, sagte ein Augenzeuge. Der US-Sender CNN berichtete unter Berufung auf eine informierte Quelle, dass rund 14.000 Menschen am Flughafen seien.

Ein Sprecher des Pentagon sagte, es gebe eine geringe Anzahl von Amerikanern, die auf dem Weg zum Flughafen in den vergangenen Tagen von Taliban drangsaliert oder geschlagen worden seien. Das gelte auch für afghanische Unterstützer des US-Einsatzes. Die meisten Amerikaner würden aber durch die Checkpoints der Taliban gelassen. 

Was passiert im September?

Die USA wollen eigentlich zum 31. August den Abzug ihrer Truppen abschließen. Eine Fortführung des Evakuierungseinsatzes ohne die USA gilt als ausgeschlossen.

Vor knapp einer Woche hatten die Taliban Kabul eingenommen und die Macht übernommen. Seitdem fürchten Oppositionelle, Journalisten, Menschenrechtsaktivisten und auch Ortskräfte, die für westliche Staaten tätig waren, Racheaktionen. Wo sich Taliban-Führer Haibatullah Achundsada und seine Stellvertreter befinden, ist unklar. Seit Samstag soll sich der Vizechef der militant-islamistischen Taliban in Kabul aufhalten. Mullah Abdul Ghani Baradar wolle mit Taliban-Mitgliedern und weiteren Politikern über die Bildung einer neuen Regierung sprechen. Baradar wäre der bislang höchstrangige Taliban-Führer, der in Kabul eingetroffen ist. 

Spanien | Ursula Von der Leyen besucht ein Aufnahmelager für Evakuierte aus Afghanistan
EU-Kommissionspräsidentin Von der Leyen in Spanien beim Besuch eines Aufnahmelagers für Evakuierte aus AfghanistanBild: Juan Medina/REUTERS

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bestätigte, dass mit den Taliban gesprochen werde, um die Evakuierungen zu erleichtern. Die Verhandlungen bedeuteten aber keineswegs eine Anerkennung der neuen Regierung, betonte die Politikerin bei einem Besuch in Spanien. Sie stellte eine Erhöhung der humanitären Hilfe der Europäischen Union in Aussicht. Es werde allerdings keine Mittel für die Taliban geben, wenn diese nicht die Menschenrechte respektieren sollten.

Eingeständnisse und Vorwürfe

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach den Bundeswehrsoldaten in Afghanistan für den Einsatz zur Rettung von Deutschen und Ortskräften ihren "tiefen Dank" aus. Sie bezeichnete die Entwicklung in Afghanistan mit der Machtübernahme der Taliban als Drama und "Tragödie". "Wir wollten möglichst vielen Menschen in Afghanistan ein freies, ein gutes und selbstbestimmtes Leben ermöglichen", sagte Merkel. "Und da müssen wir einfach sagen: Das ist so nicht gelungen."

Afghanistan I Evakuierung am Flughafen Hamid Karzai
Die USA haben bislang 17.000 Menschen ausgeflogen, Deutschland rund 2.100Bild: Senior Airman Taylor Crul/U.S. Air Force/REUTERS

Die Opposition im Bundestag wirft der Regierung vor, die Ausreise der afghanischen Helfer von Bundeswehr und Bundesregierung verschleppt zu haben. Grünen-Chef Robert Habeck sagte: "Es ist nicht richtig, was aus der Bundesregierung gesagt wird, dass keiner wissen konnte, dass die Lage so eskaliert." Auch Unionskanzlerkandidat Armin Laschet warf Außenminister Heiko Maas (SPD) Versagen vor.

Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) räumte eine Fehleinschätzung der Bundesregierung angesichts des Vormarschs der Taliban ein: "Unsere Lageeinschätzung war falsch, unsere Annahmen über die Fähigkeiten und die Bereitschaft zum afghanischen Widerstand gegen die Taliban zu optimistisch."

haz/gri (dpa, rtr, afp)