1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Literatur

Robert Seethaler: "Ein ganzes Leben"

Jochen Kürten
9. Oktober 2018

Ein ganzes Leben eindringlich und einfühlsam zu beschreiben auf knapp 160 Seiten, das gelang 2014 dem Österreicher Robert Seethaler. Das schmale Buch entwickelte sich zu einem überraschenden Erfolg, auch im Ausland.

https://p.dw.com/p/2z5cN
Robert Seethaler
Bild: Urban Zintel

"Er hatte niemanden, doch er hatte alles, was er brauchte, und das war genug." 

Dies ist die Geschichte des Andreas Egger. Geboren um die Jahrhundertwende, aufgewachsen in einem dunklen Alpental, misshandelt als Kind. Es ist ein bäuerliches Milieu, in das uns der 1966 in Wien geborene Robert Seethaler geradezu hineinsaugt, eine düstere und unfreundliche Umgebung voller grober Menschen, rückständig in der Entwicklung.

Andreas Egger also ist auf sich allein gestellt. Doch dass er alles hat, was er braucht, das stimmt nicht so ganz. Einmal nämlich in seinem Leben, das uns Robert Seethaler so straff und doch mit großem erzählerischem Atem nahebringt, trifft Egger eine Frau, Marie, in die er sich verliebt und die ihn wohl, hätte das Schicksal es gewollt, in ein anderes Leben hätte führen können. Doch Marie stirbt früh, und so ist Andreas Egger wieder allein.

"Ein ganzes Leben" von Robert Seethaler

Andreas Egger trotzt den Härten des Lebens

"Andreas Egger galt zwar als Krüppel, aber er war stark. Er konnte anpacken, verlangte wenig, redete kaum und vertrug die Sonnenhitze auf den Feldern genauso wie die beißende Kälte im Wald. Er nahm jede Arbeit an und erledigte sie zuverlässig und ohne zu murren."

Die Züchtigung in der Jugend hat Andreas Egger ein verkrümmtes Bein beschert, doch er ist ein widerstandsfähiger Kerl, und so übersteht er die Kindheit ohne Spiel und Lachen ebenso wie erste Arbeitserfahrungen. Sein Geld verdient er sich vor allem als Seilbahn-Monteur. Später ist er auch noch Soldat, wird früh von den Russen gefangen genommen, verbringt Jahre in der Kriegsgefangenschaft in den Weiten des Kaukasus. Zurückgekehrt in die Heimat, wird Andreas Egger Fremdenführer, bis ihm irgendwann der Nachkriegstourismus zu viel wird.

"Er war nie in die Verlegenheit gekommen, an Gott zu glauben, und der Tod machte ihm keine Angst. Er konnte sich nicht erinnern, wo er hergekommen war, und letztendlich wusste er nicht, wohin er gehen würde. Doch auf die Zeit dazwischen, auf sein Leben, konnte er ohne Bedauern zurückblicken, mit einem abgerissenen Lachen und einem einzigen, großen Staunen."

Zweiter Weltkrieg Kaukasus, Von Rotarmisten verteidigtes Dorf
Als Kriegsgefangener verbringt Andreas Egger in "Ein ganzes Leben" Jahre im von den Deutschen verwüsteten Kaukasus Bild: picture-alliance/akg-images

Ein Jahrhundertleben - literarisch verdichtet auf wenigen Seiten

Robert Seethalers schmaler Jahrhundert-Roman ist ein kleines literarisches Wunder. Ein Buch wie aus der Zeit gefallen, durchmisst es doch auf relativ wenig Seiten die Jahrzehnte ebenso kühn mit großen erzählerischen Schritten wie es ihm gleichzeitig gelingt, das Geschehen und das Innenleben seines Protagonisten immer wieder auf den Punkt zu bringen und scharf zu umreißen.

Andreas Egger ist in diesem wenig romantischen und nie verklärenden modernen Heimatroman beides: eine Figur, die symbolisch für das Leben im Allgemeinen steht und existentielle Fragen menschlichen Handelns und Denkens thematisiert. Aber ebenso ein lebendiger literarischer Protagonist aus Fleisch und Blut, der einem beim Lesen sehr nahe kommt und ans Herz wächst.

 

Robert Seethaler: "Ein ganzes Leben" (2014), Carl Hanser Verlag

Robert Seethaler, 1966 in Wien geboren, ist Schriftsteller und Schauspieler. Seethaler besuchte die Schauspielschule in Wien und wurde vor allem als TV-Akteur bekannt. Seit 2006 veröffentlicht er Romane. In den vergangenen Jahren standen seine Bücher auch auf den Nominierungslisten renommierter internationaler Buchpreise.