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Rot-rot in Berlin

Marcel Fürstenau 18. Januar 2002

Der 17.Januar 2002 wird einen festen Platz in den Geschichtsbüchern einnehmen. An diesem Tag wählte die Mehrheit der Abgeordneten des Berliner Parlaments die erste sozialdemokratisch-sozialistische Regierung.

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SPD und PDS Seit' an Seit' in der deutschen Hauptstadt - ein fürwahr historisches Ereignis. Die Geschicke werden künftig von einem Bündnis geleitet, das auch von den Koalitionären selbst noch vor einem Jahr für völlig unmöglich gehalten wurde.

Damals regierte die seit 1991 amtierende Koalition aus Christ- und Sozialdemokraten. Deren Bilanz nach zehn Jahren fiel zuletzt verheerend aus: Den Verdiensten um die organisatorische Zusammenführung der beiden höchst unterschiedlichen Stadthälften steht ein finanzieller Offenbarungseid gegenüber: Jeder vierte Steuer-Euro geht mittlerweile in den Schuldendienst, weil es SPD und CDU am Mut mangelte, den Menschen die bittere Wahrheit zu sagen: dass die deutsche Hauptstadt kurz vor der Pleite steht. Hinzu kam eine unappetitliche Banken-Affäre, hauptsächlich verursacht von CDU-Politikern. Die Folge: noch ein paar Milliarden mehr Schulden. Auch diese Zeche müssen jetzt die Bürger zahlen, denen Kürzungen in allen Bereichen bevorstehen.

Umgesetzt werden sie von SPD und PDS. Rot-Rot in Berlin, der Stadt, die von 1961 bis 1989 durch eine Mauer geteilt war, deren Erbauerin die PDS-Vorgängerin SED war. Auf den ersten Blick klingt das wie ein schlechter, makaberer Scherz. Im Jahre 13 nach dem Scheitern des real existierenden Sozialismus in ganz Europa kehren in der einstigen Frontstadt also des Kalten Krieges die Erben einer Partei von Verlierern, Versagern und zum Teil auch Verbrechern als Teilhaber an die Macht zurück. Eine Zumutung für viele Menschen, die unter dem Unrechtsregime der DDR gelitten haben. Für etliche eine Demütigung, insbesondere für die Mauer-Opfer und deren Angehörige.

Den berechtigten Vorbehalten steht allerdings ein demokratisch zustande gekommenes Wahl-Ergebnis gegenüber. Gemeinsam kommen SPD und PDS auf 52,3 Prozent der Stimmen. Eine ausreichende linke Mehrheit im Abgeordnetenhaus, in dem das bürgerliche Berlin, wenn man darunter Christdemokraten und Liberale versteht, zusammen gerade einmal auf 33,7 Prozent kommt. Wenn man die oppositionelle Partei der Grünen dem linken Lager zurechnet, kommt dieses politische Spektrum auf fast zwei Drittel der Stimmen, während das konservativ-liberale nur ein Drittel stellt.

Allein diese Kräfte-Verhältnisse sollten jenen zu Denken geben, die unter Verweis auf die Vergangenheit noch immer davon reden, SPD und PDS in Berlin gefährdeten die innere Einheit. Dass sich die Menschen in Ost und West heute eher fremder sind als kurz nach dem Mauerfall, haben die bislang Verantwortlichen nicht verhindern können. Ein deutlicher Hinweis darauf, dass es ihnen an Ideen mangelte, oft aber auch am Willen. Politisches Personal aus dem Osten spielte die ganze Zeit über eine stark untergeordnete Rolle. Das wird sich jetzt ändern, denn die PDS stellt drei von acht Senatoren. Darunter Gregor Gysi, Deutschlands bekanntester sozialistischer Politiker. Der wird künftig für die Wirtschaft zuständig sein, was besonders grotesk anmutet.

Ein Ex-Kommunist an der Spitze jener Behörde, die Investoren und damit Arbeitsplätze in die Stadt holen soll. Doch schlechter als seine Vorgänger kann es Gysi auch nicht machen. 17 Prozent Arbeitslosigkeit, seit Jahren das geringste Wirtschafts-Wachstum aller 16 Bundesländer. Da will Gysi, da will die rot-rote Koalition den Hebel ansetzen. Und die Wirtschaft selbst gibt sich gelassen. Zum Teil so gelassen, dass es Gysi gelungen ist, einen Fachmann aus diesem Metier als Staatssekretär zu gewinnen: den Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer, Volkmar Trauch.

Der ist öffentlich zwar völlig unbekannt. Aber dass es der PDS gelungen ist, einen Fachmann und dann noch mit SPD-Parteibuch für einen solchen Posten zu gewinnen, zeigt, wie pragmatisch die rot-rote Koalition die Probleme in Berlin lösen will und wie gering auch die Berührungsängste sogar in jenen Teilen der Gesellschaft sind, die mit der PDS wenig bis gar nichts anfangen können. Kein schlechter Anfang für ein Bündnis, das viele für verwerflich halten.