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Westbalkan braucht Reformen

Benjamin Pargan4. September 2015

Die Länder des Westbalkans haben nach wie vor eine klare EU-Perspektive. Aber politische Rabatte beim EU-Beitritt? Damit sei nicht zu rechnen, sagt Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt.

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Deutschland Symbolbild Flüchtlinge (Foto: Foto: Jens Büttner/dpa )
"Viele kehren ihrer Heimat den Rücken"Bild: picture-alliance/dpa/J. Büttner

DW: Die aktuelle Flüchtlingskrise hat noch einmal die Westbalkanländer auf der politischen Tagesordnung der EU nach oben geschoben. Nun wird noch mehr von der Notwendigkeit einer europäischen Integration gesprochen. Doch bisher kam dieser Integrationsprozess eher schleppend voran. Woran liegt das?

Roth: Die Länder des Westbalkans haben selbstbestimmt die Entscheidung getroffen, zur EU gehören zu wollen. Das begrüße und unterstütze ich, weil es in unser aller Interesse ist, wenn am Ende des Beitrittsprozesses weitere sichere, demokratische, sozial stabile und wirtschaftlich erfolgreiche Länder zur EU gehören. Je entschiedener erforderliche Reformen vorangetrieben werden, desto schneller schreiten die Verhandlungen voran. Die Perspektive auf Mitgliedschaft in der EU besteht nach wie vor ohne Abstriche. Aber es gilt: Politische Rabatte darf es bei den Bedingungen für die Mitgliedschaft nicht geben! Mir ist klar, dass es oft vor allem den jungen pro-europäischen Kräften nicht schnell genug geht. Diese jungen Menschen brauchen Chancen und Perspektiven in ihren Heimatländern. Deshalb haben wir beispielsweise die Westbalkan-Konferenz auf den Weg gebracht. Wir zeigen damit, dass die Beitrittsperspektive mehr ist als ein bloßes Versprechen, aber auch, dass wir konkrete Ergebnisse erwarten.

Bei der letzten Westbalkan-Konferenz in Wien wurde klar, dass die Länder in dieser Region unter anderem mehr Geld aus Brüssel erwarten. Sind diese Erwartungen realistisch?

Die Region braucht schnell einen massiven sozio-ökonomischen Schub. Das zeigt vor allem die Abstimmung vieler junger Leute mit den Füßen. Viel zu viele kehren ihrer Heimat den Rücken, obwohl sie dort dringend gebraucht werden. Für mich ist hier zweierlei vordringlich: Erstens müssen die Länder die Chance der konkreten Angebote zum Aufbau der regionalen Infrastruktur sinnvoll nutzen. Und zweitens: Voraussetzung für private Investitionen und Wachstum ist jedoch vor allem ein entschiedenes Vorgehen gegen Korruption sowie eine gute Regierungsführung.

Laut einer Studie der Universität von Nizza beträgt der Investitionsbedarf auf dem Westbalkan bis 2020 rund 110 Milliarden Euro. Die EU stellt nur einen Bruchteil dieser Summe zur Verfügung. Tut die EU zu wenig, um politisch und finanziell ihr Versprechen von Thessaloniki zu untermauern?

Wir tun eine Menge. Das EU-Mitglied Deutschland etwa ist der größte bilaterale Geldgeber in Serbien. Neben der EU sind zudem die internationalen Finanzinstitutionen auf dem westlichen Balkan aktiv, um beispielsweise die Anbindung der Region an die Verkehrsnetze der EU mitzufinanzieren. Wir müssen allerdings insgesamt noch sichtbarer vor Ort werden. Dass die EU der größte Geber in der Region ist, wird noch nicht überall wahrgenommen. Zunehmend haben aber europäische Vermittlungsbemühungen gefruchtet. Nicht nur, aber auch, weil sie auf prominenter politischer Ebene wahrgenommen wurden wie durch die Außenbeauftragte Federica Mogherini in den Verhandlungen zwischen Serbien und Kosovo.

Michael Roth, Staatsminister (Foto: Jänicke Knoll/DW)
Staatsminister Michael Roth: "Die Region braucht schnell einen sozio-ökonomischen Schub."Bild: Jänicke Knoll

Die Probleme in der Region sind dort am größten, wo die interanationale Gemeinschaft, damit auch die EU, seit Jahren den größten Einfluss sowie die faktische Verantwortung hat, wie etwa im Kosovo und in Bosnien-Herzegowina. Warum ist das so?

Auch dort, wo die Ausgangslage besonders kompliziert erscheint, haben wir in den vergangenen Jahren Fortschritte bei der Stabilisierung und der Stärkung von Demokratie und Rechtstaatlichkeit erlebt. Im politischen Dialog mit Serbien werden die Beziehungen zwischen Kosovo und Serbien Schritt für Schritt geklärt. Für alle Staaten des Westlichen Balkans gilt aber: Die Verantwortung dafür, die nötigen Reformprozesse voranzutreiben, liegt bei ihnen selber. Natürlich werden wir sie dabei weiterhin tatkräftig unterstützen.

In den serbisch-kosovarischen Beziehungen gab es letzte Woche einen kleinen Schritt nach vorne, das Abkommen aus dem Jahr 2013 wurde bestätigt und soll nun umgesetzt werden. Wie ist Ihre Einschätzung der gegenwärtigen Beziehungen zwischen Serbien und Kosovo?

Wir können durchaus von einem historischen Schritt sprechen. Mich freut es, dass es Serbien und Kosovo unter Vermittlung von Federica Mogherini gelungen ist, wesentliche Lücken bei der Umsetzung der Normalisierungsvereinbarung von 2013 zu schließen. Mit den Vereinbarungen zum kosovo-serbischen Gemeindeverband, zu Telekommunikations- und zu Energiethemen konnten schwierige Fragen im bilateralen Verhältnis geklärt werden. Das heißt natürlich nicht, dass wir uns auf den Vereinbarungen der vergangenen Woche ausruhen dürfen. Versöhnung muss vor allem gelebt werden, und zwar auf allen Ebenen. Ich bin zuversichtlich, dass auch der Normalisierungsprozess zwischen Serbien und Kosovo weitergehen wird.

In den Beitrittsverhandlungen mit Serbien soll es ein Kapitel 35 geben, darin ist die Rede von der vollständigen Normalisierung der Beziehung zwischen Serbien und dem Kosovo. Wie ist diesbezüglich die Position des Auswärtigen Amtes?

Wir möchten, dass neue Mitgliedstaaten der EU frei von bilateralen Konflikten mit ihren Nachbarn beitreten. Deshalb spielt das Verhältnis zu Kosovo in den Beitrittsverhandlungen mit Serbien eine besonders wichtige Rolle. Klar ist, dass Serbien und Kosovo ihr Verhältnis vor dem serbischen EU-Beitritt in Form einer rechtsverbindlichen Regelung umfassend normalisiert haben müssen. Ich bin jedoch zuversichtlich, dass die EU bald die ersten Kapitel in den Beitrittsverhandlungen mit Serbien wird öffnen können.

Michael Roth (SPD) ist seit Dezember 2013 Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt.