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Rudolf Bindig: Missstände in Tschetschenien nicht nur kritisieren, sondern beseitigen

26. Januar 2006

Viele Jahre lang war Rudolf Bindig Berichterstatter für den Europarat. Im Interview mit DW-RADIO spricht er über seinen aktuellen Tschetschenien-Bericht, Kritik daran von russischer Seite und seine persönliche Zukunft.

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Rudolf Bindig scheut keine Kritik an RusslandBild: DBT

DW-RADIO/Russisch: Herr Bindig, schon im Vorfeld der Präsentation Ihres Berichts gab es Kritik von russischer Seite. Der Bericht sei tendenziös und nicht objektiv, urteilte etwa Walerij Grebennikov, der stellvertretende Leiter der russischen Delegation im Europarat. Können Sie diese Kritik nachvollziehen?

Rudolf Bindig: Eigentlich nicht, denn der Bericht ist sehr sorgfältig ausgefertigt worden. Er basiert auf einer Vielzahl von Informationsquellen - schließlich bin ich auch persönlich mehr als zwölf Mal in Tschetschenien gewesen. Ich glaube, kaum ein anderer westeuropäischer Politiker hatte eine solche Möglichkeit, sich auch vor Ort zu informieren. Wir haben dort sehr detailliert und präzise dokumentiert, dass weiterhin schwere Menschenrechtsverletzungen stattfinden. Unser Bericht ist, glaube ich, besser fundiert, als es manche der russischen Abgeordneten denken - denn die sind vielleicht schlechter informiert, wenn sie nur die russischen Medien verfolgen und glauben, was ihnen die Offiziellen erzählen.

Was für eine Reaktion würden Sie sich denn wünschen auf Ihren Bericht?

Ich habe detailliert über 140 Fälle von ungesetzlichen Tötungen, von gewaltsamen Verschwindenlassen, von Folter und illegaler Inhaftierung dokumentiert, von Geiselnahme, über Repressionen, Schikanierung von Menschen, die für die Menschenrechte eintreten oder sogar ihren Fall vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bringen.

Was ich mir wünsche, ist, dass dieses jetzt endlich einmal ganz ernst genommen wird, und dass die Russen nicht denjenigen kritisieren, der Missstände aufdeckt, sondern dass sie sich daran machen, die Missstände zu beseitigen, und dass es strikte Order gibt von höchster Stelle in Russland, dass sich die verschiedenen Akteure vor Ort an wichtige Prinzipien und Standards zu halten haben, dass die russische Delegation hier nicht mich kritisiert, sondern in der Duma einen Untersuchungsausschuss einsetzt, wieso es dazu kommen kann, dass diese schweren Verbrechen nicht hinreichend strafverfolgt werden - das wünsche ich mir.

In Ihrem Bericht listen Sie zahlreiche Beispiele für massive Menschenrechtsverletzungen auf und bemängeln, dass es noch immer ein Klima der Straflosigkeit in Tschetschenien gibt. Wie bewerten Sie aktuelle Ansätze zur Schaffung eines internationalen Strafgerichtshof für Tschetschenien, ein Vorschlag, den z. B. auch das Europaparlament auf seiner Sitzung am 19. Januar erörtert hat?

Ich hatte dieses auch schon einmal vorgeschlagen, und die Versammlung hat das unterstützt. Wichtig ist, dass die Aufmerksamkeit wieder gelenkt wird auf die noch weiterhin äußerst angespannte Menschenrechtslage in Tschetschenien, das ist unser Hauptanliegen. Wir wenden uns ja nicht nur an die Russen, wir wenden uns dieses Mal auch an die Regierungsseite hier im Europarat. Wir kritisieren auch diese, weil wir meinen, dass diese sich nicht hinreichend genug mit der Menschenrechtslage in Tschetschenien befasst.

Früher hat es einmal regelmäßige Berichte auf der Tagesordnung gegeben, man hat sich informiert, man hat versucht, auch Einfluss zu nehmen auf die Russen. Dies alles findet jetzt nicht mehr statt, und wir wollen deshalb auch die europäischen Regierungen aufrütteln, dass sie sich intensiver um Tschetschenien wieder kümmern, damit erreicht werden kann, dass nun endlich die neuen Menschenrechtsverletzungen eingestellt werden, und diejenigen zur Verantwortung gezogen werden, die schwere Menschenrechtsverletzungen begangen haben.

In Ihrem Bericht kritisieren Sie, das der Ministerrat und die Mitgliedstaaten des Europarats allgemein die Ereignisse in Tschetschenien nicht kritisch genug ansprechen. Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund das Verhalten der Bundeskanzlerin Merkel bei ihrem Besuch in Moskau?

Sie hat, und das ist sicherlich bemerkenswert, sich in der der Deutschen Botschaft mit Vertretern der Zivilgesellschaft getroffen, mit Menschenrechtsverteidigern. Das war sicherlich ein wichtiger Schritt. Allerdings muss ich sagen (vielleicht war das in der Öffentlichkeit nicht so bekannt): auch die frühere Regierung, also Bundeskanzler Schröder und Außenminister Fischer haben in den Vier-Augen-Gesprächen jedes Mal auch intensiv Menschenrechtsfragen in Tschetschenien angesprochen. Da das nicht erfolgreich war, muss man vielleicht jetzt mehr den Weg gehen, dass das auch öffentlich gemacht wird.

Sie sind am Montag (23.1.) aus dem Amt geschieden. Wie wird ihre künftige Rolle aussehen? Werden Sie sich weiter mit Tschetschenien auseinandersetzen?

Ja, ich habe viele Kontakte zu Nichtregierungsorganisationen in der Region. Ich will weiterhin aktiv sein und mich für die Verwirklichung der Menschenrechte in Tschetschenien, aber auch in der ganzen Russischen Föderation einsetzen.

Das Interview führte Britta Kleymann

DW-RADIO/Russisch, 25.1.2006, Fokus Ost-Südost