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Ruhrpott: Neues Leben dank Cybersicherheit

Klaus Deuse
16. März 2021

Die ehemalige Industrieregion mausert sich im digitalen Wandel zu einem Tech-Standort. Rund um Bochum ist ein Zentrum für Cybersicherheit entstanden - mit etablierten Unternehmen, Startups und Forschungseinrichtungen.

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Wegweiser Bochum
Bild: picture alliance/Zoonar

Cybersicherheit gibt es nicht zum Nulltarif. Etwas mehr als fünf Milliarden Euro wurden in Deutschland für IT-Sicherheit ausgegeben, der Markt wächst jährlich um zehn Prozent. Deutlich zurückhaltender ist man hierzulande bei Investitionen in Startups, die in diesem Bereich unterwegs sind. Umgerechnet auf die Einwohnerzahl werden lediglich 83 Cent pro Kopf investiert. Zum Vergleich: in Israel sind es 108 Euro pro Kopf. In Deutschland gibt es also noch viel Luft nach oben.

Als einer der wichtigsten Standorte für IT-Sicherheit gilt das Ruhrgebiet rund um Bochum. Nach einer Erhebung der Essener RAG-Stiftung haben rund zehn Prozent der deutschen Cybersecurity Startups ihren Sitz im Ruhrgebiet. Als extrem hoch bezeichnet Eric Weik, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Mittleres Ruhrgebiet, den Stellenwert der IT-Branche für seinen Kammerbereich. "Insbesondere die Firmen, die sich um das Thema IT-Sicherheit kümmern, haben eine große Bedeutung."

Weik schätzt diese knapp 100 Unternehmen nicht nur als wichtige Arbeitgeber, sondern auch für ihr Wachstumspotenzial. "Sie sind ein Standortfaktor, der weit über Bochum hinauswirkt. In Deutschland, Europa und in der ganzen Welt."

Cybersicherheit | Symbolbild
IT-Sicherheit ist ein Arbeitsschwerpunkt vieler Firmen im RuhrgebietBild: Getty Images/A. Sudchanham

Startup-Gründer Carsten Willems etwa versucht mit seinem jungen Unternehmen VMRay, Phishingmails mit neuen Viren zu erkennen, die normale Anti-Virenprogramme noch nicht entdecken können. Auch in den USA habe man mittlerweile von Bochum gehört, sagt Willems, wenn auch meist nur in Fachkreisen.

Den Mittelstand schützen

Und doch zahlt sich dieser gute Ruf zahlt sich aus. Das trifft insbesondere auf eine etablierte Branchengröße wie GData Cyber Defense zu. Als einer der führenden Hersteller von Sicherheitslösungen im IT-Bereich erzielt GData einen Jahresumsatz von rund 40 Millionen Euro. Am Standort Bochum beschäftigt das Unternehmen über 370 Mitarbeiter, europaweit sind es über 500.

Im Consumer-Bereich nutzen mehr als eine Million Kunden die Produkte von GData. Aber im Gründer und Vorstandsmitglied Andreas Lüning setzt zunehmend darauf, Unternehmen und deren Funktionsfähigkeit zu schützen.

"Mittlerweile gehen wir einen Schritt weiter und sehen, dass wir Verteidigungsfähigkeit in die Unternehmen bringen müssen. Schutztechnologie ist dabei ein Baustein."

Zur Verteidigung eines Unternehmens gehört nach Lünings Worten, bereits die Möglichkeit eines Angriffs in Betracht zu ziehen, um dann einen funktionierenden Notfallplan zur Hand zu haben. Gerade bei mittelständischen Unternehmen mit bis zu 250 Mitarbeitern sieht Lüning einen beträchtlichen Bedarf.

Ruhruniversität in Bochum
Die Ruhruniversität Bochum - eine der Quellen für Start-up-GründerBild: picture-alliance/ dpa

IHK-Hauptgeschäftsführer Eric Weik sieht verschiedene Gründe dafür, dass sich Bochum zu einem Schwerpunkt für Cybersecurity entwickelt hat. Dazu gehört die Präsenz von Schwergewichten wie GData, vor allem aber die zahlreichen Hochschulen und die Ruhr-Universität im Umfeld.

"Drum herum haben sich mit Spin-offs, mit Ausgründungen, aber auch mit Studenten, die sich selbstständig gemacht haben, viele spezialisierte Unternehmen entwickelt, die mit IT und IT-Sicherheit zu tun haben", so Weik.

Enormes Wachstumspotenzial

Zu diesen erfolgreichen Gründungen gehört zum Beispiel die Physec GmbH, die nur wenige Jahre nach dem Start beim Umsatz die eine Million-Euro-Marke übersprungen hat.

Die Wurzeln des Startups führen nach den Worten von Geschäftsführer Heiko Koepke zum Horst-Görtz Institut, der in Bochum ansässigen größten Ausbildungsstätte für IT-Sicherheitskräfte in Europa. Dort habe man ganz klassisch in einem Forschungsprojekt eine Grundlagentechnologie entwickelt.

Physec Dr. Christian Zenger (links) und Heiko Koepken
Heiko Koepke (rechts) und Christian Zenger, Gründer und Geschäftsführer von Physec Bild: PHYSEC

"Die wurde dann im Rahmen des Forschungstransfers des Wirtschaftsministeriums zu einem Produkt weiterentwickelt", sagt Koepke. "Und wir konnten diese Zeit nutzen, um erste Kunden und Kooperationspartner zu gewinnen."

Physec hat sich auf sogenannte IoT-Security spezialisiert. IoT steht für Internet of Things (Internet der Dinge), gemeint sind eingebettete Systeme, angefangen von Smart-Home-Geräten bis zu miteinander kommunizierenden Maschinen im Bereich Industrie 4.0 oder in der Telemedizin.

Am Horst-Görtz-Institut mit 1000 Studierenden forschen und lehren rund 200 Wissenschaftler. Pro Jahr beenden im Schnitt 100 Absolventen ihr Studium. Doch allein das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und die Cyber-Abteilungen der Bundeswehr suchen jährlich mehr neue Fachkräfte. Hinzu komme die stetig steigende Nachfrage von Großunternehmen, sagt der Görtz-Absolvent Heiko Koepke.

Facettenreiche Forschung

Das Institut gilt zudem als Sprungbrett in die unternehmerische Selbstständigkeit. Bislang konnten etliche ausgegründete Start-ups am Markt reüssieren. Dazu gehören Zynamics, Escrypt, Sirrix und Isits - erfolgreiche Newcomer, die später von Großunternehmen wie Google, Bosch oder dem TÜV Rheinland übernommen wurden.

Christoph Paar, einst Gründer von Escrypt, amtiert mittlerweile als Direktor des Max-Planck-Institutes für Sicherheit und Privatsphäre.

Cybersecurity besitzt am Standort Bochum viele Facetten. Dazu gehört auch der Lehrstuhl für "Human-Centered Security" an der Ruhr-Universität. Hier forscht man an Sicherheitskonzepten, die Menschen nicht überfordern und in die Arbeitsweise moderner Unternehmen integriert werden können.

Das Klischee von der grauen Maus unter den Städten, das Bochum lange anhaftete, passt nicht mehr. Dank Cybersicherheit wandelt sich die einstige Bergarbeiter-Stadt in einen Forschungsstandort mit wirtschaftlichem Wachstumspotenzial.

Anmerkung: Am Anfang des Artikels wurden die Zahlen korrigiert und ins richtige Verhältnis gesetzt.