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Rumänischer Ministerpräsident sieht sein Land weiter auf Reformkurs

9. Juni 2005

Calin Popescu-Tariceanu war am 2. und 3. Juni zu Gast in Berlin. Im Interview mit DW-RADIO spricht er über den weiteren Weg seines Landes in die EU und die Rückkehrmöglichkeiten ausgewandeter Rumänien-Deutscher.

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Ministerpräsident Tariceanu und Bundeskanzler Schröder in BerlinBild: AP

DW-RADIO/Rumänisch: Herr Ministerpräsident, Ihr Besuch in Berlin findet in einem kritischen Moment hinsichtlich der Erweiterung und Vertiefung der EU statt, nachdem Frankreich und Holland gegen die EU-Verfassung gestimmt haben. Konnten Sie Ihre deutschen Partner von der Seriosität des europäischen Integrationsbestrebens Ihrer Regierung überzeugen?

Calin Popescu-Tariceanu: Während der Gespräche, sowohl mit Bundeskanzler Gerhard Schröder als auch mit Vertretern der Opposition, wie z.B. Frau Angela Merkel, der CDU-Vorsitzenden, oder Wolfgang Gerhardt, dem Vorsitzenden der FDP-Bundestagsfraktion, hatte ich die Gelegenheit, klar und deutlich zu wiederholen, dass nicht nur die rumänische Regierung, sondern die politische Klasse allgemein sowie die gesamte rumänische Gesellschaft gewillt sind, mit den nötigen Reformen fortzufahren, damit wir, gemäß der Vereinbarungen, der EU beitreten können. Und wir sind sehr wohl in der Lage, unsere Verpflichtungen zu erfüllen. Sicherlich ist zurzeit die Stimmung in Europa hinsichtlich der nächsten Erweiterungsrunde etwas angeschlagen. Entscheidend für uns ist aber die Beurteilung der EU-Kommission, und ich hoffe sehr, dass diese Beurteilung so wenig wie möglich von den internen Problemen beeinflusst wird, mit denen Länder wie Frankreich oder Deutschland gegenwärtig konfrontiert sind. Dabei meine ich nicht nur die schwierige wirtschaftliche und soziale Lage in diesen beiden Ländern, sondern natürlich auch die anstehenden Wahlen im Herbst, in der Bundesrepublik. Mit anderen Worten wünsche ich mir sehr, dass Rumänien einzig und allein aufgrund ihrer Fähigkeit, ihre Verpflichtungen zu respektieren und zu erfüllen, beurteilt wird.

Trotzdem, wie groß ist zurzeit die Gefahr der Verzögerung des geplanten EU-Beitritts Rumäniens am 1.Januar 2007?

Ich denke, man sollte diese Gefahr nicht überschätzen. Ich glaube nicht, dass wir von einer wachsenden Gefahr reden können, weil ich nicht zuletzt daran erinnern möchte, dass der Beitrittsvertrag Rumäniens von allen 25 europäischen Mitgliedstaaten, Deutschland inbegriffen, unterschrieben wurde. Dieser Vertrag umfasst sehr klare Verpflichtungen sowohl für die Mitgliedstaaten als auch für Rumänien. Weiterhin gelten für Rumänien - wie auch für Bulgarien, dadurch dass sie der EU nicht schon 2004 beigetreten sind - nun strengere Aufnahmebedingungen als für die anderen Länder. Die Erfüllung dieser strengen Bedingungen sollte allein schon als Garantie angesehen werden, dass Rumänien bei seinem Beitritt auch wirklich darauf vorbereitet sein wird. Die im Beitrittsvertrag ausgehandelten Bedingungen, die durch die Sicherheitsklausel zusätzlich verstärkt werden können, sollten als Ver- bzw. Zusicherung gelten, dass Rumänien erst dann der EU beitreten kann, wenn es dafür reif ist.

Gleich nach dem Referendum in Frankreich haben Sie zusammen mit ihrem bulgarischen Amtskollegen Simeon Sakskoburggotski die Lage analysiert. Gibt es eine gemeinsame Strategie des rumänisch-bulgarischen Tandems, damit die Aktivierung der Sicherheitsklausel in jedem Fall vermieden wird?

Ich habe mit dem bulgarischen Premier die jüngsten Ereignisse besprochen, und wir sind beide der Ansicht, ohne mögliche Konsequenzen außer acht zu lassen, dass es für unsere Länder zu diesem Zeitpunkt wichtig ist, auf dem Weg zu bleiben, den wir eingeschlagen haben, jeder auf seine Art. Wir werden natürlich sehr eng zusammen arbeiten, vor allem bei unseren gemeinsamen, grenzüberschreitenden Projekten. Wir denken aber nicht, dass die Situation so gravierend ist, dass man eine gemeinsame Strategie erarbeiten muss, um diesen neuen Tendenzen entgegen zu wirken.

Heute haben wir die offizielle Stellungnahme des Bundeskanzlers Schröder gehört, der abermals wiederholte, dass es der Wille Deutschlands ist, auch weiterhin den Prozess der EU-Osterweiterung mit Rumänien und Bulgarien zu unterstützen. Ausgehend von diesen offiziellen Reaktionen glaube ich, dass unsere Aufgabe darin liegt, gewissenhaft unsere Arbeit zu tun. Wir haben ein gewaltiges Arbeitspensum zu bewältigen und wir arbeiten sehr eng mit der EU-Kommission zusammen. Wir müssen beweisen, dass wir in der Lage sind, den acquis communautaire zu übernehmen und umzusetzen, und die während der Beitrittsverhandlungen zu diesem Zweck vereinbarten Maßnahmen durchzuführen.

Um auf Ihren Besuch in Berlin zurückzukommen sowie auf die bilateralen deutsch-rumänischen Beziehungen – Ihre Regierung bedauert die Auswanderung der deutschen Minderheit aus Rumänien. Denken Sie dabei an konkrete Programme, um die ausgewanderten Rumänien-Deutschen dazu zu bewegen, eventuell in die alte Heimat, nach Siebenbürgen und in das Banat, zurückzukehren?

Ich gehöre zu den Leuten, die den herausragenden Beitrag der deutschen Minderheit in Rumänien stets hervorgehoben haben, sowohl im materiellen als auch im geistigen Sinne, nicht zuletzt bei der positiven Beeinflussung der rumänischen Mentalitäten. Deswegen bedauere ich es tatsächlich sehr, dass die Sachsen und Schwaben Rumänien verlassen haben. Ich glaube aber nun, nachdem wir letzte Woche ein Gesetzespaket zur Rückerstattung des Eigentums an die Alteigentümer verabschiedet haben, dass wir somit einen Anreiz geschaffen haben, damit die ausgewanderten Deutschen wieder heimkehren. Viele von ihnen werden ihre Besitztümer zurück gewinnen können, und die anderen, deren Eigentum nicht mehr vorhanden ist, werden gebührend entschädigt. Wir bieten ihnen also die Möglichkeit, ihre Rückkehr in Erwägung zu ziehen, vor allem denjenigen, die vielleicht in Deutschland gerade keine Arbeit finden, wenn man die hohe Arbeitslosenquote bedenkt. Die Rückerstattung des Eigentums könnte es einigen durchaus erlauben, sich selbständig zu machen.

So können sie zurückkommen, in ein Rumänien, das sie sehr gut kennen und das zurzeit einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt, das ihnen viel mehr Möglichkeiten und Chancen bieten kann als Deutschland, wo heute ein gnadenloser Wettbewerb herrscht. Sie sind jederzeit willkommen, und das natürlich nicht nur aus der Sicht der Regierung, sondern der ganzen Bevölkerung, die, wie Sie wissen, sehr offen und gastfreundlich ist. Die Rumänen hätten selbst davon zu profitieren. Sie werden viel zu lernen haben von denen, die heute mit einer echten europäischen Mentalität wieder zurückkommen. Rumänien braucht diese Bereicherung, diese Wandlung in ihrer Entwicklung. Somit wäre der Beitrag der Rumänien-Deutschen, im Falle ihrer Rückkehr, einmal mehr entscheidend und prägend für den Prozess der Annäherung Rumäniens an Europa.

Das Gespräch führte Robert Schwartz

DW-RADIO/Rumänisch, 4. 6.2005, Fokus Ost-Südost