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Russische Desinformation: Was droht Deutschland im Winter?

14. September 2022

Moskau könnte die Energiekrise und Angst vor Inflation nutzen, um soziale Unruhen zu schüren, warnt Grünen-Politiker Konstantin von Notz. Die Sorge sei angebracht, sagen auch andere.

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Symbolbild Cyberangriffe aus Russland
In den letzten zehn Jahren sind Social-Media-Plattformen zu einem der Hauptschauplätze geworden.Bild: Jakub Porzycki/NurPhoto/imago images

Russland könnte diesen Winter mithilfe von Online-Desinformationskampagnen versuchen, soziale Spannungen in Deutschland anzuheizen - so die Einschätzung des Vorsitzenden des parlamentarischen Kontrollgremiums des Deutschen Bundestages.

"Die Lage ist durchaus ernst", sagt Konstantin von Notz, der für Bündnis90/Die Grünen im Bundestag sitzt, der DW: "Die letzten Wochen haben erneut gezeigt, dass Deutschland anfällig für russische Einflussnahme ist."

Der Zeitpunkt seiner Warnung ist kein Zufall: Zunehmend spüren Menschen in Deutschland die Auswirkungen explodierender Energiepreise, nachdem Moskau als Vergeltung für westliche Sanktionen seine Gaslieferungen gestoppt hat.

Porträtfoto: Konstantin von Notz
Konstantin von Notz ist Vorsitzender des parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestages, das die Nachrichtendienste des Bundes kontrolliertBild: Thomas Trutschel/photothek/picture alliance

Als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine hat die Europäische Union weitreichende Strafmaßnahmen gegen Russland erlassen. Bisher unterstützt eine Mehrheit der Deutschen die Sanktionen. Doch Sicherheitsbehörden befürchten, dass Russland im kommenden Winter versuchen wird, Ängste vor einer Gas- oder Lebensmittelknappheit zu schüren, um so Widerstand gegen die Maßnahmen anzuheizen.

"Unsere Nachrichtendienste beobachten seit langem, dass pro-russische Akteure Kampagnen auf sozialen Netzwerken wie Telegram mit dem Ziel organisieren, öffentliche Diskurse zu vergiften und unsere Gesellschaft zu spalten", sagt von Notz: "Wir leben in Zeiten, in denen wir besonders aufmerksam sein müssen - das hat die Geschichte um das verfälschte Baerbock-Video gerade noch einmal gezeigt."

Der Fall Baerbock

Der Vorfall, auf den er sich bezieht, vermittelt einen Eindruck davon, was auf Deutschland zukommen könnte: Ende August sagte Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock während einer Podiumsdiskussion in Prag der kriegsgeplagten Ukraine ihre Unterstützung zu, "egal, was meine deutschen Wähler denken."

Die Bemerkung war Teil einer langen Antwort, in der Baerbock beispielsweise auch sagte, dass ihre Regierung Menschen in Deutschland helfen würde, mit steigenden Lebenshaltungskosten zurechtzukommen.

Doch innerhalb weniger Stunden begannen Aufnahmen ihres isolierten Satzes auf pro-russischen Accounts auf Telegram zu zirkulieren, so eine Analyse des Disinformation Situation Centers, eines Zusammenschlusses verschiedener Nichtregierungsorganisationen. Oft wurden die Videos dabei mit irreführenden Fragmenten oder falschen Überschriften ergänzt, um so die eigentliche Aussage Baerbocks zu verfälschen.

Porträtfoto:  Annalena Baerbock
Seit Jahren ist Außenministerin Annalena Baerbock Ziel russischer Desinformations-KampagnenBild: Thomas Trutschel/photothek/IMAGO

In Windeseile verbreiteten sich die Clips. Bald darauf tauchten sie auf anderen Social-Media-Plattformen wie Facebook, Twitter, Instagram und YouTube auf, wo sie vor allem von AfD- und Die Linke-Funktionären sowie rechtsextremen Accounts geteilt wurden. So erreichten die Videos ein Publikum in Deutschland - und nur einen Tag nach Baerbocks Auftritt in Prag begann auf Twitter ein deutschsprachiger Hashtag zu trenden, der ihren Rücktritt forderte.

"Der Vorfall zeigt, wie wichtig das Zusammenspiel von russischen, Kreml-freundlichen Akteuren und einheimischen Akteuren in Deutschland ist, um Desinformationen zu verbreiten", sagt Julia Smirnova vom Think Tank Institute for Strategic Dialogue, einer der Organisationen, die an der Analyse beteiligt waren.

Der Ukraine-Krieg im Fokus

Versuche aus Moskau, die öffentliche Meinung in Deutschland zu beeinflussen, sind kein neues Phänomen: Seit dem Kalten Krieg gilt das Land als eines der Hauptziele sowjetischer beziehungsweise russischer Informationsoperationen.

In den letzten zehn Jahren sind Social-Media-Plattformen zu einem der Hauptschauplätze geworden. Allein zwischen 2015 und 2021 haben Forscher mehr als 700 russische Desinformations-Kampagnen identifiziert, die es zum Ziel hatten, existierende Spaltungen in der deutschen Gesellschaft zu verstärken oder neue zu schaffen.

Wie man Russlands Propaganda durchschaut

Sie bezogen sich auf Dutzende verschiedener Themen, von Einwanderung bis zu den Menschenrechten. Das habe sich geändert, seit im Februar russische Panzer in die Ukraine eingerollt sind, so Forscherin Smirnova. Seitdem drehten sich Moskaus Desinformations-Bemühungen fast ausschließlich um den Krieg.

Zusätzlich hätten pro-russische Akteure "schon früh nach Beginn des russischen Angriffskrieg die Frage einer Energieknappheit in Europa aufgegriffen und sie als Konsequenz westlicher Sanktionen - und generell als Konsequenz der Solidarität des Westens mit der Ukraine - dargestellt."

"Die russische Propaganda verbreitet das Narrativ, dass Deutsche wegen der Ukraine frieren müssen," sagt Smirnova: "Und jetzt, da der Winter vor der Tür steht, hat dieses Narrativ das größte Potenzial Menschen zu erreichen, die legitime Ängste und Sorgen haben."

"Ein Kraftakt" 

Die Recherchen anderer Organisationen stützen diese Einschätzung. Pia Lamberty vom Berliner Forschungsinstitut CeMAS sagt, sie erwarte eine weitere Zunahme russischer Desinformations-Kampagnen im Winter.

"Die Erfahrung hat uns gelehrt, dass Russland in Zeiten sozialer Spannungslagen seine Einfluss-Operationen nochmal weiter hochfährt, um Demokratien so noch weiter zu destabilisieren", sagt die Sozialpsychologin. Ähnliches sei zu beobachten gewesen, als 2015 Hunderttausende von Menschen aus dem Krieg in Syrien nach Deutschland flüchteten.

Immer dann, wenn Länder vor großen sozialen Herausforderungen wie der drohenden Energiekrise im Winter in Deutschland stünden, so Lamberty, "besteht die Möglichkeit, dass Menschen solidarischer werden und enger zusammenrücken''.

"Häufig passiert aber das Gegenteil - dass es einen Anstieg an Nationalismus und Egoismus gibt," betont sie: "Nun arbeitet Desinformation oft sehr gekonnt mit der Psyche des Menschen, setzt genau dort an, und versucht, diese Tendenzen zu verstärken."

Protest gegen steigende Energiepreise und steigende Lebenshaltungskosten: Demonstrierende in Leipzig
Demonstrierende in Leipzig protestieren am 5. September 2022 gegen steigende PreiseBild: Christian Mang/REUTERS

Bislang waren die Proteste in Deutschland gegen steigende Lebenshaltungskosten und insbesondere Energiepreise verhältnismäßig klein. Doch das könnte sich nun - da nun die ersten kalten Herbstnächte anstehen - ändern. Parteien an den politischen Rändern haben schon einen "heißen Herbst" mit regelmäßigen Montagsdemonstrationen angekündigt.

Gleichzeitig könnten pro-russische Akteure versuchen, diese Proteste mit gezielten Desinformationskampagnen zu radikalisieren, befürchtet der Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz.

"Damit kein Missverständnis entsteht: Jeder hat in unserem Land das Recht, gegen steigende Preise zu demonstrieren und diesen Protest auf die Straße zu bringen, Gott sei Dank," sagt er. "Aber wir alle - Politiker, Journalisten, Bürger - müssen aufpassen, dass wir uns dabei nicht unbewusst instrumentalisieren lassen von Akteuren, die nichts Gutes für unsere Gesellschaft im Sinn haben. Und das wird zweifellos ein Kraftakt."

 

Kommentarbild Janosch Delcker
Janosch Delcker Chefkorrespondent für Technologie