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Politik

Putins "freie Künstler"

Nikita Jolkver | Roman Goncharenko
7. Juni 2017

Kaum ein Tag ohne Meldungen über russische Hacker. Nach neuen Enthüllungen zur US-Präsidentenwahl werden sie nun hinter der Katar-Krise vermutet. Ein Experte erklärt, wie Moskau zur Hacking-Macht wird.

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Symbolbild Cyberattacke
Bild: picture alliance/MAXPPP/R. Brunel

Sie sind wieder in den Schlagzeilen, angebliche russischen Hacker. Die aktuelle Katar-Krise könnte durch eine von Russen bei der staatlichen Nachrichtenagentur Katars platzierte "Fake-News"-Geschichte ausgelöst worden sein, berichtete am Dienstag der US-Sender CNN und berief sich auf das FBI. Mehrere Staaten der Region haben in den vergangenen Tagen diplomatische Beziehungen zum Golf-Emirat abgebrochen. Erst Stunden zuvor hatten neue Enthüllungen über die US-Präsidentenwahl 2016 für Aufregung gesorgt. Ein amerikanisches Medium veröffentlichte ein vertrauliches Papier des Geheimdienstes NSA, wonach der russische Militärgeheimdienst versucht haben soll, Cyber-Angriffe auf mindestens einen amerikanischen Software-Lieferanten für die Wählerregistrierung auszuführen.

Öffentlichen Einfluss steigern

Solche Berichte seien der wohl größte Erfolg für russische Hacker, sagt Andrej Soldatow. "Was sie tatsächlich können, ist, von sich reden zu machen", so der Experte in einem DW-Gespräch. Der 41-Jährige ist Chefredakteur des russischen Online-Portals "Agentura.ru", das sich Themen wie Geheimdienste, Aufklärung und Terrorismus widmet. Gewachsener Einfluss Moskaus sei das einzige Ergebnis der Hacker-Aktivitäten bei den Wahlen in den USA und neulich in Frankreich. "Es gelingt ihnen, Russland als ein Land darstellen zu lassen, das sich in europäische und andere Wahlen einmischen kann", sagt Soldatow. "Vielen in Russland gefällt das."

Andrei Soldatov, russischer Journalist
Soldatow: Russische Hacker versuchen, ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit und des Misstrauens in Europa zu verbreiten Bild: DW/Nikita Jolkver

Russland dementiert stets Vorwürfe, seine Hacker würden Wahlen weltweit emanipulieren. Auf staatlicher Ebene tue man so etwas jedenfalls nicht, versicherte erneut Präsident Wladimir Putin bei einem Pressegespräch Anfang Juni. Der Kremlchef räumte jedoch ein, dass es einige "patriotisch eingestellte" Hacker geben könne, die von sich aus "ihren Beitrag" gegen Russland-Kritiker leisteten. Hacker seien wie "freie Künstler", die morgens aufwachten, etwas über zwischenstaatliche Beziehungen läsen und aktiv würden, spottete Putin.  

Im Inland getestet, ins Ausland übertragen 

Das System sei in Wirklichkeit kompliziert und doch effektiv, sagt Soldatow über solche Äußerungen. "Es gibt ein paar Leute auf höchster staatlicher Ebene, die diese Arbeit (der Hacker – Anm. d. R.) koordinieren, sowie eine Gruppe informeller Akteure, sagt der Experte. "Das können PR-Agenturen oder einfach Menschengruppen sein, die keine Abstimmung mit diversen Ämtern vornehmen und direkt mit dem Kreml arbeiten." Das mache sie schneller und flexibler.

"Da diese Leute nicht Teil der staatlicher Bürokratie sind, können sie nicht als staatliche Vertreter die Verantwortung tragen." Diese Methode habe Russland Anfang der 2000er Jahre im Landesinneren gegen Oppositionelle und kritische Journalisten erfolgreich getestet. Später habe Moskau solche Einsätze auch ins Ausland übertragen, etwa im Frühling 2007 beim Cyberangriff auf Regierungsstrukturen in Estland. Später übernahmen Aktivisten der Kreml-treuen Jugendbewegung "Naschi" (Die Unseren) die Verantwortung dafür.

Erbe der Sowjetunion

Die Stärke russische Hacker sei eine Mischung aus Sowjeterbe und moderner russischer Staatspolitik, sagte Soldatow bei einem Vortrag in Berlin. Die UdSSR habe "die meisten Ingenieure weltweit" ausgebildet. Nach dem Zerfall des Sowjetreiches sorgten sie dafür, dass die russische IT-Branche heute zu den weltweit besten zähle, so der Experte. Diese Menschen hätten wie viele Russen das Gefühl gehabt, in den 1990er Jahren "vom Westen betrogen" worden zu sein. Das sei der fruchtbare Boden für diejenigen Hacker gewesen, die sich in den Dienst der Geheimdienste gestellt hätten.

Nach der russischen Krim-Annexion 2014 habe sich die Lage nochmals verändert. Es gebe eine engere Kooperation nicht nur zwischen kriminellen Hackern und Geheimdiensten, sondern auch zwischen staatlichen Strukturen und der IT-Branche. In einem Klima der Angst und der Mobilisierung sei die IT-Branche nicht in der Lage, nein zu sagen, wenn sie von Geheimdiensten um sensible Gefälligkeitsjobs wie etwa sogenannte DDoS-Angriffe (Blockade eines Internetdienstes durch mehrere Anfragen - Anm. d. R) gebeten werde.

Russland Karikatur zum Thema Russische Hacker in den USA
Moskau weist eine versuchte Einflussnahme auf die US-Präsidentenwahl immer wieder zurück

Nicht selten lassen sich Hacker patriotisch motivieren und der Staat nutze das aus, sagt Soldatow. Als Paradebeispiel dafür nennt er die Ereignisse im Jahr 2002 im sibirischen Tomsk, einer der IT-Hochburgen Russlands. Studenten der dortigen renommierten Universität legten aus Eigeninitiative eine Webseite lahm, die Informationen der islamischen Kämpfer aus dem Nordkaukasus verbreitete. Der russische Geheimdienst FSB lobte, sie hätten ihre "patriotische Pflicht" erfüllt, sagt Soldatow. "Damals hat der Kreml das für sich entdeckt."   

Vertrauensverlust als Ziel

Trotz des gestiegenen Einflusses russischer Hacker weltweit sieht Soldatow kein strategisches Ziel in ihren Aktivitäten. Moskau agiere taktisch und versuche, bestimmte Entwicklungen auszunutzen. Doch gebe es "eine Art gemeinsames Ergebnis. Der Effekt russischer Hacker besteht darin, dass sie in Europa ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit und des Misstrauens verbreiten wollen", sagt Soldatow. Das sei etwas, woran sich die russische Gesellschaft bereits gewöhnt habe.