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Politik

Arktischer Rat: Wie wird Russland agieren?

Elena Barysheva | Andrey Gurkov
19. Mai 2021

Russland übernimmt in diesem Jahr den Vorsitz im Arktischen Rat. Was ist von davon zu erwarten und welche Interessen verfolgt Moskau in der Region? Einschätzungen dazu von russischen und deutschen Experten.

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Eisbrecher Jamal
Bild: picture-alliance/dpa/L. Fedoseyev

Am Mittwoch hat in Reykjavik ein Ministertreffen der Mitgliedsländer des Arktischen Rates begonnen und Russland übernimmt von Island den Ratsvorsitz für die nächsten zwei Jahre. Russland wird beim Treffen vom Außenminister Sergej Lawrow vertreten. Geplant ist, dass er am Rande des Treffens mit dem US-Außenminister Antony Blinken sprechen wird.  

Tags zuvor hatte Blinken Russlands Ambitionen in der Arktis kritisiert und sie als "rechtswidrige maritime Ansprüche" bezeichnet. Er forderte, eine Militarisierung der Arktis zu vermeiden.

Der Vorsitz im Arktischen Rat biete Russland Gelegenheit "eigene Interessen auf internationaler Ebene gemäß den Dekreten des Präsidenten voranzubringen", sagte im Vorfeld des Treffens in Reykjavik Alexej Tschekunkow, Russlands Minister für die Entwicklung des Fernen Ostens und der Arktis. Diese Dekrete stellen die offizielle Arktisstrategie Russlands bis 2035 dar. Ihr zufolge soll in der russischen Arktis zum Beispiel die Bevölkerung wachsen, die Löhne mehr als verdoppelt und damit der Wohlstand verbessert werden, was die Lebenserwartung steigern soll. Zudem soll die internationale und wissenschaftliche Zusammenarbeit ausgebaut werden. Darüber hinaus sollen dort mehr Waffen stationiert werden.

Der Nördliche Seeweg ist kürzer, aber länger und teurer

Große Hoffnungen setzt Russland in die Entwicklung des Nördlichen Seewegs, der Teil der Nordostpassage ist und von der Insel Nowaja Semlja zur Beringstraße führt. Dafür hat Russland eine spezielle Eisbrecherflotte aufgebaut. Im April 2021 sagte Präsident Wladimir Putin, der Nördliche Seeweg könnte schon in den nächsten Jahren ganzjährig befahren werden. Moskau strebt eine Zunahme des Verkehrsaufkommens bis 2035 auf 130 Millionen Tonnen pro Jahr an.

Nikolaj Petrow vom internationalen Thinktank Chatham House in London meint in diesem Zusammenhang, die Entwicklung des Nördlichen Seewegs passe zum Konzept, wonach Russland als geopolitische Größe gleichzeitig in allen Hemisphären präsent sei und als Brücke zwischen den alten und neuen Zentren des globalen Wachstums diene.

Gasmarkt | Novatek.Ru | Yamal LNG 2019
Flüssiggas-Lagerung im russischen JamalBild: NOVATEK.RU

Da die Arktis reich an natürlichen Ressourcen ist, will Russland dort auch die Produktion von Flüssigerdgas auf bis zu 91 Millionen Tonnen im Jahr 2035 verzehnfachen. "Das ist ziemlich teuer, aber die Produktion und Verflüssigung von Gas ist wohl der wichtigste, wenn nicht einzige Wachstumspunkt der russischen Wirtschaft. Dem Flüssiggas-Projekt haben sich Chinesen und Franzosen angeschlossen, und es gibt beeindruckende Erfolge", so Petrow.

Burkhard Lemper, Direktor des Instituts für Seeverkehrswirtschaft und Logistik in Bremen (ISL), meint, die Nutzung der Nordostpassage sei ratsam, wenn es um den Export von Rohstoffen geht, die in der russischen Arktis gewonnen werden. Er bezweifelt aber, ob der reguläre Transitgüterverkehr, hauptsächlich in Containern, wirtschaftlich und organisatorisch gerechtfertigt sein wird. "Die Begleitung von Fracht durch Eisbrecher erhöht die Transitkosten erheblich, nicht nur aufgrund der Bezahlung für diesen Service", so Lemper. Dadurch würde sich auch die Bewegungsgeschwindigkeit von Containerschiffen erheblich verringern. Auch nur im Sommer eingesetzte Schiffe würden eine Eisverstärkung benötigen, da unterwegs Eisschollen und Eisberge angetroffen werden können. "Das bedeutet nicht nur ernsthafte Investitionen. Aufgrund der zusätzlichen Verstärkung des Schiffsrumpfs ist er schwerer, seine Tragfähigkeit nimmt ab und der Kraftstoffverbrauch steigt", so Lemper.

Die Arktis in der russischen Militärdoktrin

In allen russischen Dokumenten zur Zukunft der Arktis heißt es, Russland werde seine militärische Infrastruktur ausbauen, neueste Technologien kaufen und die Kampfbereitschaft der Truppen aufrechterhalten. Schon die Militärdoktrin aus dem Jahr 2014 spricht von der Notwendigkeit, Russlands Interessen in der Arktis zu verteidigen.

Seit Jahren baut Russland daher seine militärische Präsenz in der Arktis aus und verstärkt seine Stützpunkte. Beispielsweise laufen derzeit Tests der Unterwasserdrohne "Poseidon" mit Nuklearantrieb. Von dieser "neuen Waffe" hatte Putin in seiner Rede vor der Föderalen Versammlung im Jahr 2018 gesprochen. Von einer "beispiellosen Militärmacht" Russlands in der Arktis berichtete im April dieses Jahres CNN, nachdem Journalisten Satellitenbilder russischer Stützpunkte ausgewertet hatten. Sie kamen zu dem Schluss, dass die Basen entlang der russischen Arktisküste in den letzten fünf Jahren stetig verstärkt wurden.

Russland Verteidigungsministerium testet neues Nuklear-Uboot Drohne
Russland Verteidigungsministerium testet die Unterwasserdrohne "Poseidon"Bild: picture-alliance/dpa/Tass

Wer bedroht Russland von Norden?

"Russlands militärische Vorbereitungen in der Arktis sind umfassender als die anderer Länder", sagt der russische Militärbeobachter Alexander Golz. Ihm zufolge will Moskau so zeigen, dass es in der Region aktiv ist, was zugleich einfacher und günstiger ist, als Bohrinseln zu bauen und Flüssiggas zu transportieren. Aus seiner Sicht entwickelt sich die militärische Konfrontation in der Arktis nach dem Muster des Kalten Krieges. Der kürzeste Weg für russische Raketen Richtung USA führe über den Arktischen Ozean. Golz meint, es gebe keinen anderen nachvollziehbaren Grund für die Stationierung von Waffen in der Arktis.

Michael Paul von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) findet, dass trotz einer aggressiven Rhetorik und Verhaltensweise Russlands strategische Ziele in der Region defensiv ausgerichtet sind. Moskau habe es jedoch versäumt, durch Transparenz und Vertrauensbildung um Verständnis für seine Arktispolitik zu werben. "So wird Russland als aggressive Militärmacht wahrgenommen, die auf die Sicherheitsinteressen anderer Staaten keine Rücksicht nimmt. Arktische Nachbarländer reagieren darauf, indem sie aufrüsten und sich auf Konflikte vorbereiten, die eskalieren könnten. Die Lage hat sich in den letzten zehn Jahren insofern fundamental geändert", schreibt Paul in einem Bericht zur neuen Arktisstrategie der EU.

Symbolbild Russland Anspruch in der Arktis
Russlands Fahne auf dem Grund des Nordpols als Zeichen des Anspruchs auf die ArktisBild: picture-alliance/AP Photo/Association of Russian Polar Explorers

Vorrang für Geopolitik statt Umweltfragen

Laut dem Politologen Nikolaj Petrow will Russland vor allem auf geopolitischer Ebene seine Ambitionen in der Arktis deutlich machen. Zum Beispiel führt es geologische Expeditionen durch, mit denen nachgewiesen werden soll, dass sich der Lomonossow-Kamm im Arktischen Ozean bis zum Nordpol erstreckt. Dies würde bedeuten, dass dies alles russische Hoheitsgewässer wären. "Andererseits ist es wichtig, dass sich das Land auch de facto an der Erschließung der Arktis beteiligt, weil dies eine sehr wichtige Investition in die Zukunft ist", meint der Experte.

Bekanntlich will Moskau in den nächsten drei Jahren 15 Milliarden Rubel (166,7 Mio. Euro) in die Entwicklung der Arktis investieren. Doch wie steht es um die Folgen des Klimawandels, der für die Arktis bereits katastrophale Folgen hat? Michael Paul von der SWP schreibt, auf Russlands Agenda stehe die nationale Sicherheitsvorsorge im Vordergrund. "Wenn Russland im Mai 2021 den Vorsitz im Arktischen Rat übernimmt, genießen Energiewirtschaft und Militär daher traditionell Vorrang, während Umweltfragen eher nachrangig sind", so Paul.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk