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Russland: Besitzerwechsel und Meinungsmacht auf dem Zeitungsmarkt

2. August 2007

Es begann 2005 mit der Iswestija: Immer mehr führende russische Zeitungen wechseln die Besitzer – und damit häufig auch ihre redaktionelle Ausrichtung, meist hin zu kremlfreundlicher Berichterstattung. Ein Überblick.

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Bild: DW/Yuliya Siatkova

"Iswestija"

Die Veränderungen in der russischen Presselandschaft begannen im Juni 2005. Damals wechselte die Iswestija von der Gesellschaft Prof-Media, die Wladimir Potanin gehört, zur Aktiengesellschaft Gasprom-Media. Zu jenem Zeitpunkt fuhr die Zeitung keine Gewinne ein. Nach Meinung von Experten und der russischen Presse kaufte Gasprom die einflussreiche Zeitung im Blick auf die Präsidentschaftswahlen 2008. Der Leiter der Stiftung zum Schutz von Öffentlichkeit, Aleksej Simonow, erklärte damals in diesem Zusammenhang, das Geschäft habe keinen ökonomischen Beweggrund gehabt, es sei Teil der Strategie des Kreml, "Massenmedien unter seine staatliche Hand zu sammeln".

"Moskowskije nowosti"

Im Herbst 2005 kaufte der israelische Geschäftsmann Arkadij Gajdamak die Zeitung Moskowskije nowosti dem ukrainischen Geschäftsmann Wadim Rabinowitsch ab, der vorübergehend Eigentümer der Zeitung war. Bis dahin gehörte die Moskowskije nowosti dem in Ungnade gefallenen Oligarchen Leonid Newslin, der im Exil lebt. Im Interview für die Zeitung Kommersant sagte Gajdamak in jenen Tagen, die Zeitung werde regierungsfreundlich sein. Ihm zufolge sollen Zeitungen, die die öffentliche Meinung bilden, sich nicht gegen etablierte Strukturen richten.

"Nesawisimaja gaseta"

Ein anderes Schicksal ereilte die Nesawisimaja gaseta. Gleich nach der Iswestija wechselte im August 2005 auch bei dieser Zeitung der Besitzer. Boris Beresowskij verkaufte die Nesawisimaja gaseta an Konstantin Remtschukow, der Berater des Ministers für wirtschaftliche Entwicklung Russlands war. Der neue Besitzer versicherte damals, die Zeitung werde ihre demokratische Ausrichtung beibehalten. Im Februar 2007 verließ Remtschukow den Staatsdienst und wurde Generaldirektor und Chefredakteur der Zeitung. Im Interview für den Radiosender Majak sagte Remtschukow vor kurzem, dass seine Zeitung zu 100 Prozent vom Staat unabhängig sei und dass er selbst die redaktionelle Politik festlege.

"Kommersant"

In August 2006 erwarb der Generaldirektor der Gesellschaft Gasprominvestholding und Miteigentümer an der Holding Metalloinvest, Alischer Usmanow, 100 Prozent der Aktien am Verlagshaus Kommersant. Usmanow hatte zuvor kein besonderes Interesse an Massenmedien gezeigt. Bis dahin gehörte die Zeitung weniger als ein Jahr lang dem georgischen Geschäftsmann Badri Patarkazischwili, der sie wiederum seinem Freund Boris Beresowskij abgekauft hatte. Usmanows Geschäfte sind eng mit Gasprom verbunden. Er selbst ist an der Unterstützung des Staates für seine Projekte im Ausland interessiert. Deshalb ist nicht ausgeschlossen, dass Usmanow mit dem Kauf der Zeitung Kommersant gegenüber dem Kreml seine "soziale" Funktion erfüllt, nach den Medien zu schauen, so wie es Gasprom beispielhaft macht.

"Komsomolskaja prawda"

In September 2006 kaufte die Gruppe ESN im Auftrag der staatlichen russischen Eisenbahn Wladimir Potanins Prof-Media das Aktienkontrollpaket an der Zeitung Komsomolskaja prawda ab. Anfang Juli diesen Jahres wurde bekannt, dass Oleg Rudnow, Leiter der Baltijskaja mediagruppa aus St. Petersburg, zum Aufsichtsrat der Zeitung berufen wurde. Ihm wurde das Kontrollpaket der Aktien an der Komsomolskaja prawda übergeben. Wie die Zeitung Kommersant berichtete, ist Rudnow Geschäftspartner von Jurij Kowaltschuk, der größter Miteigentümer der Bank Rossija und Freund des russischen Präsidenten Wladimir Putin ist. Die Komsomolskaja prawda ist die größte Tageszeitung in Russland. Sie hat keine Probleme mit der Rentabilität. Als Boulevardblatt mit minimaler politischer Berichterstattung stellt sie für die Staatsmacht keine Gefahr dar. Sie gilt auch nicht als oppositionell. Ihr ehemaliger Besitzer, Wladimir Potanin, ist gegenüber dem Kreml loyal. Deshalb gab es für die Prof-Media weder ökonomische noch politische Motive für den Verkauf der Zeitung.

Was ist geblieben?

Direkt besitzt der Staat nur die Rossijskaja gaseta und die Parlamentskaja gaseta. Aber trotzdem gibt es nur sehr wenige Zeitungen, die nicht unter Kontrolle der Staatsmacht stehen. Dazu gehören die bislang auflagenstarke Boulevardzeitung Moskowskij Komsomoljez, die Pavel Gusjew gehört, die oppositionelle Nowaja gaseta, die von einer nichtkommerziellen Organisation gegründet wurde, sowie das Wirtschaftsblatt Wedomosti, das größtenteils dem russischen Verlagshaus Independent Media Sanoma Magazines gehört, das von der britischen Financial Times und der amerikanischen The Wall Street Journal gegründet wurde. Einer Studie des Russischen Journalistenverbandes zufolge besitzen derzeit der russische Staat und dessen Vertreter 92 Prozent aller Massenmedien des Landes, was dreimal mehr ist als im Jahr 2000.

Ökonomische Aspekte sind in Russland wohl kaum die Hauptmotive für den Kauf einer Zeitung. Nach einer Studie der Gesellschaft BDO Junikon für 2007 sind nur 12 Prozent der gesellschaftspolitischen Tageszeitungen in Russland gewinnbringend. Von den Zeitungen, die ihren Besitzer wechselten, war nur die Komsomolskaja prawda ein rentables Unternehmen. In den vergangenen drei Jahren sind die einflussreichen Zeitungen in der Regel in den Besitz staatlicher Konzerne oder in die Hände der Oligarchen übergegangen, die loyal zum Kreml sind und als Aufseher fungieren, damit ihre Zeitungen die russische Staatsmacht nicht kritisieren.

Sergej Guschtscha
DW-WORLD.DE/Russisch, 23.7.2007, Fokus Ost-Südost