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Russland und Ukraine helfen der NATO

Roman Goncharenko22. September 2015

Seit zehn Jahren unterstützt ein russisch-ukrainisches Flugunternehmen die NATO dabei, schweres Gerät zu transportieren. Bisher überstand das SALIS-Projekt die Ukraine-Krise. Doch seine Zukunft scheint ungewiss.

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Triebwerke eines Großraumflugzeugs vom Typ Antonow werden in Leipzig gewartet (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/W. Grubitzsch

Es war das größte Manöver der russischen Armee in diesem Jahr, das am Sonntag am Ural zu Ende ging. Kurz davor führte die NATO in mehreren Ländern ihre größte Luftlandeübung seit dem Ende des Kalten Krieges durch.

Seit Beginn der Ukraine-Krise lassen beide Seiten immer wieder die Muskeln spielen. Die seit Dezember 2014 gültige neue Militärdoktrin Russlands sieht das Erstarken der NATO als Gefahr. Im August stufte die Ukraine in ihrer Militärdoktrin Russland als Gegner ein. Das westliche Bündnis baut seine Präsenz in Osteuropa aus, das sich von Russland bedroht fühlt. Vor diesem Hintergrund erscheint es umso überraschender, dass alle drei - Russland, die Ukraine und die NATO - auf einem Feld weiterhin eng zusammenarbeiten: bei den Lufttransporten.

SALIS von 13 NATO-Staaten genutzt

Von Leipzig aus fliegen russische und ukrainische Transportflugzeuge vom Typ Antonow-124 Ruslan schweres und übergroßes Gerät im Auftrag der NATO um die ganze Welt. Für die Bundesregierung brachten sie zuletzt am 18. September militärische Ausrüstung für eine internationale Übung nach Island.

Leipzig ist seit zehn Jahren Standort von Ruslan SALIS. So heißt das Gemeinschaftsunternehmen der privaten russischen Frachtfluggesellschaft Volga-Dnepr und des staatlichen ukrainischen Flugzeugbauers Antonow.

SALIS steht für Strategic Airlift Interim Solution, eine vorübergehende Lösung für strategische Lufttransporte. Als die alten Transall C-160 Flugzeuge nicht mehr ausreichten und das neue Airbus-Modell A400M noch nicht da war, suchte die NATO Hilfe bei Russland und der Ukraine, um seine Hubschrauber, Panzer oder LKWs zu transportieren. Der Vertrag wurde Ende 2005 unterzeichnet. Zwei Antonows sind permanent in Leipzig stationiert, vier weitere sind bei Bedarf abrufbar. Auch die Europäische Union nutzt das Projekt für zivile Zwecke.

Militärgüter werden in eine Maschine vom Typ Antonow verladen
Militärgüter werden in eine Maschine vom Typ Antonow verladenBild: picture-alliance/dpa/J.Woitas

Insgesamt wird SALIS von 13 NATO-Staaten eingesetzt. Die USA sind nicht dabei, der Hauptnutzer ist Deutschland. 2014 seien damit rund 14.000 Tonnen Material für insgesamt rund 67 Millionen Euro transportiert worden, teilte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums der DW mit. In diesem Jahr dürfte es weniger sein. Bis Mitte des Jahres habe Deutschland rund 21 Millionen Euro für SALIS-Dienste gezahlt.

Wachsendes Konfliktpotenzial

Seit der russischen Annexion der Krim 2014 hat sich die politische Lage für SALIS stark verändert. Dennoch steht die Bundesregierung hinter dem Projekt. Deutschland habe den Vertrag mit Ruslan SALIS und nicht mit einem russischen Unternehmen geschlossen, betont das Verteidigungsministerium. Ein Sprecher des Ministeriums verwies auf eine schriftliche Erklärung des russischen Partners vom März 2014, wonach "die Entwicklungen in der Ukraine keine Auswirkungen" auf das Geschäft hätten: "Dies wurde seitdem bei der Erfüllung aller Flugaufträge zuverlässig unter Beweis gestellt." Das bestätigte auch ein NATO-Sprecher gegenüber der DW.

Dabei ist das Konfliktpotenzial seit Beginn der Ukraine-Krise gestiegen. Kiew beendete jegliche Zusammenarbeit mit Moskau im militärischen Bereich. Der zivile ukrainische Flugzeugbauer Antonow wurde im April 2015 dem staatlichen Militärkonzern Ukroboronprom unterstellt. Nun gibt es offenbar erste Folgen. Die Regierung entschied Mitte September, dass Antonow aus einem Gemeinschaftsunternehmen mit dem staatlichen russischen Flugzeugbauer OAK aussteigen wird.

Gegenseitige Abhängigkeit

Die Partner beim SALIS-Projekt, Volga-Dnepr aus Uljanowsk und das Kiewer Antonow, sind voneinander abhängig. Medienberichten zufolge braucht das russische Unternehmen seinen ukrainischen Partner, um seine Flugzeuge im Ausland zu betreiben und zu modernisieren. Denn Antonow besitzt die Rechte an den von ihm entwickelten Flugzeugen. Die Ukrainer ihrerseits brauchen russische Verbindungen auf dem Weltmarkt, Ersatzteile und Logistikzentren. Nach dem Bruch mit Kunden in Russland ist SALIS für Antonow eine der wenigen Geldquellen. Nach Medienberichten verlängerte Antonow Betriebsgenehmigungen für russische Flugzeuge auch nach der Krim-Annexion, ohne das an die große Glocke zu hängen. Vertreter von Ruslan SALIS wollten der DW kein Interview zu diesem Thema geben, Sprecher von Antonow ließen die schriftliche Anfrage unbeantwortet, Volga-Dneper war nicht erreichbar.

Rainer Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion (Foto: dpa)
Rainer Arnold (SPD): "Kein schlechtes Zeichen"Bild: picture-alliance/dpa

SALIS beweist Gemeinsamkeiten

"Es ist kein schlechtes Zeichen, wenn trotz der Krise eine russisch-ukrainische Firma Bestand hat und diese Dienste für NATO-Staaten verlässlich anbietet", sagt Rainer Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Man wolle, dass sich der Konflikt wieder lege. Auch bei der Opposition gibt es Zustimmung. "Ich persönlich halte das auch in der jetzigen Situation für vertretbar, solange beide Seiten die Vertragsbedingungen erfüllen", so Tobias Lindner, Bundestagsabgeordneter der Grünen.

Wolfgang Richter von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) weist darauf hin, dass die NATO-Russland-Grundakte von 1997 weiterhin gültig sei. Darin heißt es: "Die NATO und Russland betrachten einander nicht als Gegner." Das SALIS-Programm zeige, dass es "neben den fundamentalen Änderungen in der Wahrnehmung europäischer Sicherheit dennoch Gemeinsamkeiten gibt".

Weniger Einsätze

Der SALIS-Vertrag wurde im Dezember 2014 um zwei Jahre verlängert. Der Grund dafür ist offenbar, dass die Flugzeuge weiterhin gebraucht werden. Der Airbus A400M wird zwar mit Verzögerung ausgeliefert, doch seine Kapazität liegt nur bei einem Drittel der Antonow-Maschine, die über 120 Tonnen transportieren kann.

Insgesamt gehen die Einsätze von Ruslan SALIS zurück. Doch einen Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt gebe es nicht, sagte ein NATO-Sprecher der DW. Wegen vieler Auslandseinsätze, vor allem in Mali, sei das Jahr 2013 mit mehr als 6600 Flugstunden ein Rekord gewesen, danach habe die Anzahl der Flüge abgenommen. Für 2015 und 2016 verpflichtete sich die NATO zu mindestens 1850 Flugstunden pro Jahr.

Ungewisse Zukunft

Ob der Vertrag nochmals verlängert wird, scheint unklar. Deutschland würde es wohl begrüßen: Ohne SALIS sei der kostengünstige Transport der übergroßen Fracht jetzt und in absehbarer Zeit "kaum realisierbar", sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Berlin.

Bei der NATO heißt es allerdings: "Ein neuer Vertrag wird in Betracht gezogen, der russische Firmen aus der Ausschreibung ausschließt." Nach Angaben eines NATO-Sprechers sei das "im Kontext der NATO-Entscheidung im vergangenen Jahr zu sehen, alle praktische Zusammenarbeit mit Russland wegen seines aggressiven Verhaltens gegenüber der Ukraine auszusetzen".

Auf die Frage, ob Ruslan SALIS von der Ausschreibung für die Zeit nach 2016 ausgeschlossen werden könnte, sagte der NATO-Sprecher: "Das ist eine Entscheidung der an SALIS teilnehmenden Nationen."